Bad Dürkheim Das Tempo macht die Musik

Die Drehorgel ist ein Instrument mit langer Tradition. Dennoch können auch moderne Popsongs und Opernarien auf ihr gespielt werden, sofern es das passende Lochband dazu gibt. Friedrich Clemens aus Bad Dürkheim kennt sich mit der Mechanik im Holzkasten aus und spielt seit elf Jahren selbst.

Ein Vorurteil gegenüber diesem Instrument besagt, dass das Drehrad nur Zierde ist und der Kasten von ganz alleine Musik macht. Falsch! Vorurteil Nummer zwei: Mehr als Jahrmarkt-Gedudel und Schlager bringt das Instrument nicht zustande. Friedrich Clemens steht in seinem Hausflur und spielt gerade den Gefangenenchor aus Giuseppe Verdis „Nabucco“ – auf einer Drehorgel – und widerlegt damit auch das zweite Vorurteil in bester Manier. Schon als kleines Kind habe er auf dem Wurstmarkt fasziniert vor den Drehorgeln gestanden. Aber erst 2003 verwirklichte er seinen Wunsch nach dem ersten eigenen Instrument. Seitdem spielt er regelmäßig bei privaten Festen und Feiern genauso wie bei öffentlichen Veranstaltungen. Gemeinsam mit musikalischen Partnern gibt Friedrich auch Konzerte. Immer spielt er dabei für den guten Zweck. Meist ist das die José-Carreras-Leukämie-Stiftung. Was die erwähnten Vorurteile angeht sagt Clemens nur: „Sie können nicht falsch spielen, aber Sie können trotzdem grauslig spielen.“ Die Drehorgel gehört zu den mechanischen Musikinstrumenten. Das Drehen am Rad erzeugt Wind – „Orgelspieler sprechen von Wind statt von Luft“ –, der im Inneren des Holzkastens auf die Pfeifen trifft. Die einzelnen Musikstücke sind auf Lochbändern gespeichert. Wenn sich das Band bewegt und Loch auf Loch trifft, öffnet sich ein Ventil und ein Ton erklingt. „Grauslig“ spielt der Drehorgelspieler zum Beispiel dann, wenn das Tempo nicht zur Stimmung des Stückes passt. Denn durch die Bewegung steuert der Musiker auch die Geschwindigkeit – zumindest wenn es sich nicht um eine voll-elektronische Drehorgel handelt. „Die Instrumente haben keine Seele“, ist Clemens’ Meinung dazu. Er genießt es sichtlich, wenn er dem „Nabucco“-Chor je nach Dramatik mehr Nachdruck geben oder ihn ein anderes Mal etwas entschleunigen kann. Ein Fuß steht dann angewinkelt und wippt manchmal sogar mit. Clemens’ Blick ist konzentriert. So ist es, wenn er bei Auftritten auf seinem speziellen Konzert-Instrument spielt. Bei der Geburtstagsfeier darf es dann aber gerne auch der Schunkel-Hit vom MIDI-File sein. 650 verschiedene Lieder hat er so auf seiner „klassischen Straßendrehorgel“ gespeichert, wie er sie nennt. Die kann neben handgesteuerter Mechanik nämlich auch elektronisch. Am meisten gefragt ist „Marmor, Stein und Eisen bricht“. Neben dem Drafi-Deutscher-Evergreen dürfte im Moment wohl auch Helene Fischer beliebt sein. Da schränkt Clemens aber ein: „Atemlos“ gebe es noch nicht für Drehorgel. Denn bevor er losspielen kann, braucht es das passende Band mit den kleinen, wohlgeordneten Löchern darin. Dafür gibt es spezielle Arrangeure, die sich überlegen, wie sie komplizierte Melodien auf 20 Tonstufen bringen können. „Es gibt Dinge, die gehen einfach nicht“, betont Clemens. Mit aktuellen Hits seien die Arrangeure ohnehin vorsichtig. Denn wer weiß, ob das Stück in zehn Jahren noch gewünscht wird. „Es ist wichtig, dass die Ergonomie stimmt“, nennt der Dürkheimer einen anderen Aspekt des Instruments. Sonst könne das stundenlange Spiel, also stundenlange Drehbewegungen, anstrengend werden. Einmal im Monat ist Friedrich Clemens beim Pfälzer Drehorgel-Stammtisch. Die Liebhaber des Instruments sind eine eigene Gemeinschaft, spielen sie doch auf einem Musikmacher mit Tradition. Schon Wolfgang Amadeus Mozart und Joseph Haydn haben für mechanische Musikautomaten komponiert, damals für die sogenannte Flötenuhr. „Die Straße ist die klassische Bühne der Drehorgel“, sagt Clemens. Dann bleiben die Leute stehen, Kinder strecken begeistert die Arme aus und fragen: „Darf ich auch mal?“ Das ist es, was der 64-Jährige besonders mag. Am 5. Oktober ist Friedrich Clemens mit seinem Instrument wieder auf den Dürkheimer Straßen zu hören. Dann ist verkaufsoffener Sonntag und er konzertiert gemeinsam mit Kollege Martin Junger. Und wie möchte er dann angesprochen werden? „Leierkastenmann“ sei ein gängiger Begriff, sagt Clemens. „Aber Drehorgelspieler ist mir doch lieber“, ergänzt er nicht ohne Stolz.

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