Theaterfestival Hundekot-Affäre und Endzeit-Ödipus beim „Heidelberger Stückemarkt“

Fusioniert antike Tragödie mit drohendem Klimakollaps: „Forecast: Ödipus“ von Thomas Köck.
Fusioniert antike Tragödie mit drohendem Klimakollaps: »Forecast: Ödipus« von Thomas Köck.

Wer wissen will, welche Themen Theaterdichterinnen und -dichter unserer Tage umtreiben, welche Texte auf deutschsprachigen Bühnen viral gehen, der ist beim „Heidelberger Stückemarkt“ richtig. Seit 40 Jahren rückt das Festival Gegenwartsdramatik in den Fokus; Gastland der 41. Ausgabe, die vom 26. April bis 5. Mai stattfindet, ist Georgien.

Herzstück des „Heidelberger Stückemarkts“ ist der Autorenwettbewerb (Sa/So 27./28.4. jeweils ab 13.30 Uhr im Zwinger 3). Sechs Dramatikerinnen und Dramatiker lesen dabei aus neuen, noch nicht aufgeführten Stücken. Dem Verfasser des am Ende von einer Fachjury gekürten Textes winkt ein mit 10.000 Euro dotierter Preis. Dieses Jahr sind Anaïs Clerc, Arad Dabiri, Julie Guigonis, Lars Werner, Leonie Ziem und das Kollektiv „Frankfurter Hauptschule“ für den Wettbewerb nominiert. Ihre Stücke, die aus 100 Einsendungen ausgewählt wurden, „zeigen eine große Bandbreite an gesellschaftlich relevanten Themen wie Integration, Familientraumata, Trauerarbeit, künstliche Intelligenz oder die drohende Rechtsradikalisierung“, verraten die Festivalmacher des Theaters Heidelberg.

Aus Wien: „Die vielen Stimmen meines Bruders“.
Aus Wien: »Die vielen Stimmen meines Bruders«.

Uraufführungsfestival

Doch nicht das Wort allein bestimmt den „Stückemarkt“ – es gibt auch viel zu sehen: Andere deutschsprachige Bühnen, 16 an der Zahl, gastieren mit bereits inszenierten Uraufführungen am Neckar. So zum Beispiel das Wiener Schauspielhaus, das mit „Die vielen Stimmen meines Bruders“ ein inklusives Theaterstück präsentiert, in dessen Mittelpunkt der 1998 in Bonn geborene, an der Glasknochenkrankheit leidende Schauspieler Leonard Grobien steht (So 28.4., 20.30 Uhr, Alter Saal). Das Theaterhaus Jena reist mit der „Hundekot-Attacke“ an, einem Theaterprojekt, das den Skandal um den Choreographen Marco Goecke, der 2023 eine Kritikerin mit den genannten Exkrementen beschmierte, reflektiert (So 28.4., 18 Uhr, Zwinger 1, ausverkauft). Und die Schaubühne Berlin zeigt mit Yana Thönnes’ „In Memory of Doris Bither“ ein Drama, das zwischen True Crime und Mystery Thriller changiert. Denn besagte Doris Bither, die damals in Kalifornien lebte, gab 1974 zu Protokoll, von einer „unsichtbaren Wesenheit“ in ihrem Haus vergewaltigt zu werden (Fr 3.5., 20.30 Uhr, Marguerre-Saal).

Mit Lina Beckmann: „Anthropolis II: Laios“ von Roland Schimmelpfennig.
Mit Lina Beckmann: »Anthropolis II: Laios« von Roland Schimmelpfennig.

Fortschreibungen antiker Mythen

Hoch im Kurs bei zeitgenössischen Theatermachern stehen außerdem Fort- und Überschreibungen antiker Mythen und Tragödien, insbesondere von Sophokles’ „König Ödipus“. Thomas Köcks „Forecast: Ödipus“ – schön schrill inszeniert von Stefan Pucher am Schauspiel Stuttgart – überblendet die Geschichte vom Sphinx-Bezwinger, der mit seiner Mutter Inzest begeht, mit unserem „Leben auf einem beschädigten Planeten“. Da tritt ein Chor der „Wohlstandswutschnaubenden“ auf, dem die prophetische Pythia kündet, „dass das Gesetz, mehr von allem zu besitzen, jetzt finally an seine Grenzen stößt“ (Di 30.4., 18 Uhr, Marguerre-Saal).

In „Anthropolis II: Laios“, einem Gastspiel des Deutschen Schauspielhauses Hamburg, rollt Roland Schimmelpfennig derweil die Geschichte der Ödipus-Eltern auf; die famose Lina Beckmann trägt den multiperspektivischen Monolog, der Fragen nach Schuld, Verantwortung und individueller Freiheit umkreist (So 5.5., 19 Uhr, Marguerre-Saal).

Mythologie 2.0 aus Georgien: „Medea s01e06“ des Dramatikers und Regisseurs Paata Tsikolia.
Mythologie 2.0 aus Georgien: »Medea s01e06« des Dramatikers und Regisseurs Paata Tsikolia.

Mythen und Märchen spielen auch eine wichtige Rolle in den Gastspielen aus Georgien. Hier ist es, unter anderem, Medea, die Zauberin aus Kolchis am Schwarzen Meer, die durch Paata Tsikolia eine moderne Neuinterpretation erfährt. Tsikolias Mix aus Schauspiel und Tanz macht Medea zu einer Umstürzlerin, die nicht mit Jason flüchtet, sondern die Familie ihres Vaters und die kolchische Kultur zerstören will (Sa 4.5., 20.30 Uhr, Alter Saal).

41. Heidelberger Stückemarkt: 26.4. bis 5.5., Theater Heidelberg, Karten: 06221 5820000, heidelberger-stueckemarkt.de, theaterheidelberg.de

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