Kultur Weites Land, Wolkentheater, toller Jazz

Beeindruckte auf der Klosterruine Limburg mit abstrakt-schönem Modern Jazz: Trompeter Ambrose Akinmusire.
Beeindruckte auf der Klosterruine Limburg mit abstrakt-schönem Modern Jazz: Trompeter Ambrose Akinmusire.

Nach gut zwei Monaten und acht Konzerten ist die 21. Auflage von Palatia Jazz zu Ende gegangen. Rund 5000 Besucher verzeichnet das Pfälzer Jazzfestival. Das Finale in Herxheim brachte die Begegnung mit einer jungen Band aus Paris, die Jazzbassist Etienne Mbappé um sich geschart hat. Und die beiden Konzerte auf der Limburg hatten mit Martin Tingvall einen Publikumsliebling und mit Ambrose Akinmusire einen Rising Star aus den USA zu bieten.

Der in diesem Jahr sehr launische Sommer hatte beim Abschlusskonzert keine Überraschungen mehr parat. Auf dem Weg nach Herxheim war alles perfekt: weites Land, hoher Himmel, 3D-Wolken im Seitenlicht der untergehenden Sonne. Und dann trat hier eine Band an, die mit ihrer mitreißenden Musik das Publikum bis gegen Mitternacht in ihren Bann zog. Sogar der Aufforderung, eine vertrackte Melodie über einem Siebenvierteltakt nachzusingen, wurde von den begeisterten Menschen mutig in Angriff genommen. Etienne Mbappé stammt aus Kamerun, kam als Jugendlicher nach Frankreich, wo er Musik studierte, als Bassist in Jazzorchestern spielte und zu einem gefragten Sideman wurde, den auch Ray Charles in seiner Band haben wollte. Längere Zeit gehörte er Joe Zawinuls Fusion-Ensemble Syndicate an, mit dem er 2002 auch bei Palatia Jazz auf der Limburg dabei war, später spielte er auch in John McLauglins 4th Dimension und bei Steps Ahead. Auch mit seiner eigenen Band The Prophets, die der 53-Jährige vor drei Jahren gegründet hat, bewegt er sich in der Welt des elektrischen Jazz. Der Einfluss von Zawinul und Weather Report ist nicht zu überhören, aber es ist doch eine neue, weltmusikalisch weit ausgreifende Musik, wo auch Platz ist für eine irische Fiddle oder einen afrikanischen Song. Zu Mbappés Markenzeichen sind die seidenen Handschuhe geworden, die er beim Konzert trägt. Das ist mehr als ein modischer Gag, gibt seinem Spiel eine fast schwebende Geschmeidigkeit. Der Bandleader kann aber auch kraftvoll hinlangen, ist jederzeit Motor und Getriebe dieses mit zwei Bläsern, Violine, Keyboard und Schlagzeug fast orchestral besetzten Ensembles. Und er bereitet den Boden für seine exzellenten Musiker, allen voran den Trompeter Arno de Casanove, der eine verhangene Ballade in ein brodelndes Fusion-Gebräu im Stile eines Miles Davis zu steigern weiß. Ein anderer Trompeter hatte den Abend eingeleitet. Der Mannheimer Thomas Siffling und seine neue Band Flow spielen sozusagen die aktuelle Version des elektrischen Jazz, die Rhythmen kommen hier nicht mehr aus Rock und Funk, sondern aus den Musikclubs. Der smarte Groove ist supercool und tiefenentspannt, hat dennoch viel treibende Energie und liefert den spannenden Kontrast zu Sifflings melancholisch-dunklen Trompetenimprovisationen. Dass Festivalleiterin Yvonne Moissl in diesem Jahr mit weniger Terminen und weniger Standorten plante, hat sich bewährt. Bei jedem Konzert zwei Ensembles auftreten zu lassen, war ebenfalls eine gute Entscheidung. Das gab regionalen Künstlern wie Thomas Siffling ein Podium für neue Projekte, stellte aber auch vielversprechende internationale Bands vor. Da ist der israelische Pianist Omer Klein zu nennen, der inzwischen in Deutschland lebt und sich mit seinem Trio sehr virtuos und mit hoher Intensität zwischen Klassik und Jazz bewegt. Omer Klein konnte man auf der Klosterruine Limburg erleben, dort hatte auch das Tingvall Trio seinen mittlerweile sechsten Auftritt bei Palatia Jazz. Der schwedische Pianist ist mit seinem melodischen Modern Jazz zum Publikumsliebling geworden. Nordische Kühle, getränkt mit Folklore-Heiterkeit verbindet sich hier mit den tänzerisch-temperierten Basslinien des aus Kuba stammenden Omar Rodriguez Calvo und dem rockig-geerdeten Spiel des Hamburger Schlagzeugers Jürgen Spiegel. Gespielt wurden vor allem Stücke des neuen Albums „Cirklar“, das dieses Konzept weiterentwickelt. Und live ist diese Band ohnehin jedesmal ein Erlebnis. Während Martin Tingvall noch fasziniert das zum Glück folgenlose Wetterleuchten rund um den mittelalterlichen Spielort beobachtet hatte, war am folgenden Abend beim Auftritt von Ambrose Akinmusire nur dramatisches Wolkentheater am bewegten Himmel geboten. Der 35-jährige US-amerikanische Trompeter nigerianischer Abstammung macht es seinem Publikum nicht ganz so leicht. Das liegt nicht nur daran, dass er ein eher wortkarger Typ ist. Akinmusire hat mit Avantgarde-Jazzern wie Steve Coleman, Vijay Iyer und Jason Moran gearbeitet, sein Modern Jazz wirkt erst mal spröde und abstrakt, entwickelt dann aber spannungsreiche Interaktionen und kraftvolle Intensität. Akinmusires Improvisationen brauchen Zeit, erzählen keine einfachen Geschichten, sondern komplizierte Gedankengänge. Hitziger Groove ist dabei nicht ausgeschlossen, darüber der stets verhangene, wie abgedämpft wirkende Trompetenton des Bandleaders, dem manchmal eine simple Pendelharmonik reicht für große Kunst. Strahlende Schönheit ist hier keine großzügig verteilte Gabe, sondern ein mühsam errungenes Kleinod. Dass seine Alben regelmäßig mit Kritikerlob überhäuft werden, ist nachvollziehbar. Und dass sein Quartett mit dem Kontrabassisten Harish Raghava, Schlagzeuger Marc Gilmore und dem Pianisten Sam Harris exzellent besetzt war, machte den Auftritt zum Ereignis.

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