Philosophie War Michel Foucault ein Kinderschänder?

„Nimm mich, nimm mich“, sollen Knaben zu ihm gesagt haben: Philosoph Michel Foucault.
»Nimm mich, nimm mich«, sollen Knaben zu ihm gesagt haben: Philosoph Michel Foucault.

Kommt jetzt die Wahrheit über den 1984 verstorbenen Autor von „Sexualität und Wahrheit“ ans Licht? Laut einem Augenzeugen bestellte Michel Foucault zu Ostern 1969 an seinem Wohnort in der tunesischen Stadt Sidi Bou Saïd acht- bis zehnjährige Kinder nachts in den lokalen Friedhof und verging sich auf den Gräbern an ihnen. Bei einem Besuch von Journalisten seien Kinder dem homosexuellen Philosophen nachgerannt und hätten gerufen: „Und ich? Nimm mich, nimm mich!“ Foucault habe ihnen darauf Geld zugeworfen.

Der Augenzeuge ist nicht irgendwer, sondern Guy Sorman, ein liberaler, in Paris bekannter Essayist. In Interviews erklärte er, die Szenen auf dem Friedhof nicht selber gesehen zu haben; doch habe er auf der fraglichen Journalistenreise selber gehört, wie sich Foucault mit den Knaben „um 22 Uhr am üblichen Ort“ verabredet habe.

Die Indizien

Warum Sorman seine Beobachtungen in Sidi Bou Saïd erst jetzt bekanntmacht, begründet er mit der MeToo-Bewegung, die in Paris mit der herrschenden „Doppelmoral“ aufräume. Etliche Pariser Starintellektuelle sind in letzter Zeit bloßgestellt worden – der Politologe Olivier Duhamel etwa wegen Inzest oder der Schriftsteller Gabriel Matzneff wegen Sex mit Minderjährigen. Und jetzt Michel Foucault, der Philosoph, der Größte unter den seinen? Was er in Tunesien vollbracht habe, „hätte er in Frankreich nie zu tun gewagt“, befindet Sorman.

Beweise für seine schweren Anschuldigungen hat der 77-jährige Essayist nicht vorzuweisen. Zwei Stimmen sprechen für ihn: Die Journalistin Chantal, offenbar eine frühere Lebenspartnerin Sormans, berichtete, sie habe in Sidi Bou Saïd mitgekriegt, wie Foucault einen 18-jährigen Tunesier, der dem Philosophen Liebhaber verschaffte und ihm selbst entlohnte Sexarbeit leistete, vor anderen als „Hure“ abkanzelte. Der wohl genaueste, heute verstorbene Foucault-Biograf David Macey beschrieb, wie der Philosoph in Sidi Bou Saïd eines frühen Morgens mit Kindern erwischt worden sei.

Keine Belege oder Opfer aufzuspüren

Die Zeitschrift „Jeune Afrique“ hat sich in dem – bei Parisern einst sehr beliebten – Künstlerdorf nördlich von Tunis umgehört. Belege oder gar Opfer hat sie nicht gefunden; Einwohner betonten nur Foucaults Vorliebe für „17-jährige Epheben“. Der Foucault-Spezialist Philippe Chevallier behauptet nämlich, der Philosoph habe Sidi Bou Saïd schon 1968 verlassen, auch wenn nicht auszuschließen sei, dass er 1969 für kurze Perioden an seinen früheren Wohnort zurückgekehrt sei.

In Paris werfen die Anschuldigungen weniger Wellen, als man erwarten würde. Das Vordenkerblatt „Le Monde“ schweigt nicht als einziges zur Infragestellung des „Philosophenkönigs“, wie ihn Sorman nennt. Das Medienportal „Arrêt sur images“, das in Sachen Pädophilie sonst unerbittlich ist, tut die Foucault-Affäre als „Erregung rechter und ausländischer Medien“ ab. Dabei stammt die fundierteste, wenngleich unergiebige Nachrecherche von der deutschen Wochenzeitung „Die Zeit“.

Der koloniale Aspekt

Angelsächsische Medien berichten derweil mit einer gewissen Verlegenheit: Gerade für die derzeit Ton angebende „Woke“-Bewegung in den USA ist Foucault, früher Mitglied der maoistischen „Gauche prolétarienne“, ein Pionier des „dekolonialen“ Denkens. Sorman hebt den politischen Aspekt seiner Behauptungen selbst hervor: Foucault, der Kritiker jedweder Machtstrukturen, der Kämpfer für die Entrechteten von Palästina bis in die französischen Kolonien – er habe mit dem Kauf tunesischer Knabenkörper dem „Imperialismus der Weißen“ nachgelebt.

Falls die Behauptungen denn stimmen. Unbestreitbar ist nur eines: Foucault hatte sich 1977 mit anderen Intellektuellen in einer Petition für drei strafrechtlich verfolgte Pädophile sowie für straflosen Sex mit willigen Unter-15-Jährigen eingesetzt. Die heute nicht mehr denkbare Petition, die Kindern ihr Einvernehmen überlässt, hatte etwas sehr Ambivalentes. Zu den Unterzeichnern gehörten unbelastete Namen wie Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir oder Jacques Derrida, aber zum Beispiel auch der nachmalige Kulturminister Jack Lang, dem schon verschiedentlich Teilnahmen an Sexorgien mit Minderjährigen in Marokko vorgehalten wurden. Urheber der Petition war der Autor Gabriel Matzneff, der in seinen Büchern detailreich vom Sex mit Kindern auf den Philippinen berichtete. Das Frappierende daran: Niemand in Paris fand etwas an diesen teils preisgekrönten Romanen.

Die Kindersex-Petition

Dass Foucault die Kindersex-Petition unterschrieb, war kein einmaliger Floh gegen die etablierte Ordnung: Es passte in einem gewissen Sinn zum Konzept seiner Tetralogie „Sexualität und Wahrheit“. Der zweite Teil namens „Der Gebrauch der Lüste“ (Deutsch bei Suhrkamp) beschreibt die Sexualität im antiken Griechenland und widmete sich dabei auch dem „Verhältnis zu Knaben“. Von diesen Indizien allein auf die Pädophilie Foucaults zu schließen, wäre allerdings ein gewagter Schritt. Denn Sormans Vorwürfe der Pädophilie und des Sextourismus’ lasten schwer und haben das Zeug, die ganze Foucault-Exegese zu überschatten.

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