Kultur Sinnenzauber und Leidenschaft

Retteten kurzfristig die Aufführungen: Tatjana Serjan und Migran Agadzhanyan.
Retteten kurzfristig die Aufführungen: Tatjana Serjan und Migran Agadzhanyan.

Nun heißt es ein Jahr warten. Im Juli 2019 wird Anna Netrebko zum Abschluss der Intendanz von Andreas Mölich-Zebhauser einen Liederabend im Festspielhaus Baden-Baden geben. Ihren für die Sommerfestspiele dieses Jahres geplanten Auftritt in der Oper „Adriana Lecouvreur“ von Francesco Cilea musste die russische Primadonna krankheitsbedingt absagen. Da laut Auskunft des Festspielhauses die ganze Familie von einem Virus befallen war, konnte auch Ehemann und Tenor Yusif Eyvazov nicht kommen. Es wurde trotzdem ein packender Opernabend.

Die 1902 uraufgeführte Oper des Puccini-Zeitgenossen Francesco Cilea ist außerhalb Deutschlands bekannter als bei uns. Die deutsche Erstaufführung der Nachkriegszeit war erst 1983 am nahen Badischen Staatstheater in Karlsruhe, wo es jüngst schon eine zweite Inszenierung des Stücks gab. In den 1990er-Jahren gab es auch einmal eine Produktion mit der damals sehr populären Sopranistin Katia Riccarelli im Pfalzbau in Ludwigshafen. Nun ist die in Theater- und Adelskreisen in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Paris spielende Oper sehr dankbar für die Sänger – und attraktiv für das Publikum mit einer Mischung aus anmutigen Genrebildern, lyrischen Bekundungen der Liebe (auch der zur Kunst) und dramatischen Situationen. Besonders dicht in der Stimmung ist der vierte Akt, der in einigen Punkten an das letzte Bild aus Verdis „Traviata“ erinnert. Beim aktuellen Gastspiel des St. Petersburger Mariinsky-Theaters in Baden-Baden bekam das Publikum an zwei Abenden im Festspielhaus zwar leider nicht die erwartete Starsängerin zu hören, die diese Partie schon andernorts gesungen hat, aber eine vor allem musikalisch sehr starke Opernaufführung war diese „Adriana“ schon. Am wenigsten dazu tat die Inszenierung von Isabelle Partiot-Pieri. Diese verband Konvention mit ein paar modischen Videospielen, war aber vor allem in der Personenregie eher unverbindlich. Immerhin gab es eine Drehbühne, die für szenische Abwechslung sorgte, und im Schlussakt ein atmosphärisch stimmiges Bühnenbild. Da gingen von Valery Gergiev als Dirigent des Mariinsky-Orchesters ganz andere Impulse aus. Wie immer war er ein souveräner Sachwalter am Pult, der bei dieser italienischen Oper der Zeit um 1900 besonders deren klangliche Reize herausarbeitete. Cileas „Adriana Lecouvreur“ ist ja bei aller Leidenschaft kein Opernschocker, sondern ein kunstvolles Werk über eine große Künstlerin mit vielen delikaten Wendungen und schwelgerischen Melodien. Die Sinnlichkeit der Musik Cileas wurde von Gergiev und seinem Orchester aufs Schönste zur Wirkung gebracht. In nur zwei Tagen fand das Festspielhaus neue Protagonisten – und vorzügliche dazu. Tatjana Serjan war in der Titelrolle eine Tragödin von Rang, die über eine breite Palette an sängerischen Ausdrucksmitteln verfügt und diese hier effektiv einsetzte. Ganz zarte Töne waren ebenso ihre Sache wie dramatische Ausbrüche. Im großen Duett des zweiten Aktes mit der Fürstin traf sie in Ekaterina Semenchuk auf eine fulminante Kollegin, die einen prachtvollen Mezzosopran hören ließ und sich mit Furor in Eifer- und Rachsucht hineinsteigerte. Ein feinsinniger lyrischer Stilist ist Migran Agadzhanyan nicht gerade, aber als Maurizio brillierte er durch einen durchschlagkräftigen und in allen Lagen sicher geführten klangprächtigen Tenor. Die kleineren Partien waren ohne Ausnahme glänzend besetzt. Besonders fiel Alexander Mikhailov als Abbé durch seine prägnante Charakterisierung auf.

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