Interview Sängerin Gitte Haenning: „Ich will das Leben erleben“

Findet den heutigen, humofreien Schlager öde: Gitte Haenning.
Findet den heutigen, humofreien Schlager öde: Gitte Haenning.

Gitte Haenning holt in diesen Tagen Konzerte nach, die eigentlich schon vor zwei Jahren hätten stattfinden sollen. „Still crazy“ nennt sie das Programm – als „still crazy“ beschreibt sie aber auch sich selbst. Wie es die in Dänemark geborene Sängerin mit dem Humor hält und warum sie auch mit 76 noch nicht in Rente gehen kann, hat sie Christian Hanelt erzählt.

Ihr Programm, mit dem Sie am 25. November auch in Pirmasens sind, heißt „still crazy“ („Immer noch verrückt“). Entspricht das Ihrem Lebensmotto?
Ja. Und deshalb war mein Leben auch nie langweilig. Humor ist dabei sehr wichtig – und der ist spontan. Wahrhaft lustige Menschen, sind nicht die, die ständig einen Witz auf Lager haben.

Singen Sie in den Konzerten dann auch das Lied „Still Crazy After All These Years“ von Paul Simon?
In einer verkürzten Version beende ich damit den ersten Konzertteil. Ich will damit die Menschen daran erinnern, dass sie in ihrem Leben gerne ein bisschen verrückt sein dürfen.

Bis in die 60er Jahre hatte der Schlager noch viel Humor. Danach ist er irgendwie verloren gegangen.
Das finde ich auch. Humor ist im Schlager mittlerweile nur noch ganz selten vorhanden, deswegen ist diese Musik auch so öde geworden. Das langweilt mich vehement, und ich kann nicht begreifen, dass intelligente Leute – und davon gibt es doch bestimmt auch in der Schlagerbranche noch welche – keinen Humor und keine Selbstironie mehr haben. Dieses mehrdimensionale Denken ist nicht mehr vorhanden, und das macht für mich das Verhältnis zum Schlager heute so schwierig. Ohne Humor, Selbstironie oder Poesie oder auch ohne musikalisches Wagnis, wodurch man auch vom Publikum etwas fordert, ist die Musik einfach öde. Das Schlimme ist zudem, dass man im deutschen Musikregime immer noch das E und U kultiviert. Dadurch erzieht man das Volk zum eindimensionalen Denken und Fühlen.

Hat nicht auch der deutsche Pop der letzten Jahre eher einen weinerlichen Grundton, bei dem irgendwann alles gleich klingt?
Da bin ich gar nicht orientiert, denn meine Musikanlage ist kaputt – und das seit Jahren. Ich komme nicht dazu, Musik zu hören. Da muss ich wirklich etwas machen – vielleicht diese kleinen Lautsprecher fürs Handy anschaffen. Aber ich bin leider ein technischer Idiot. Deshalb habe ich auch schon meinen Nachbarn gefragt, ob er mir helfen kann. Aber leider vergisst er mich ständig.

Haben Ihnen die Fans den Imagewechsel vom Schlager in Richtung Jazz und Chanson übel genommen, oder haben Sie Ihre Fans mitnehmen können?
Viele Fans sind sehr sehr treu und sind mitgegangen. Das ist unglaublich. Sie kommen auch von überall zu den Konzerten angereist. Weil ich schon immer berühmt war – ich war ja ein sogenannter Kinderstar –, ist es für mich nicht so entscheidend, Fans zu haben. Deswegen schaue ich mir auch nie an, was auf Fanseiten oder so steht. Ich will das Leben erleben und nicht die Berühmtheit.

War der Weg weg vom Schlager auch ein Schritt hin zum künstlerischen Erwachsenwerden, weg von Gitte hin zu Gitte Haenning?
Es ist erlösend für mich, Gitte Haenning zu sein. „Tell Me On A Sunday“ – „Bleib noch bis zum Sonntag“ – wollte ich zuerst gar nicht in deutscher Sprache machen, weil ich das Musical in London gesehen hatte und es kleinbürgerlich und bieder fand. Mein Produzent hatte es für mich eingekauft und ich dachte nur, „wenn ich etwas Neues beginnen möchte, dann doch nicht so etwas“. Doch dann bin ich darauf gekommen, dass ich, wenn ich dieses Ein-Personen-Musical mache, ich diese Figur ja spielen kann und ich dann weg bin von Gitte. Und tatsächlich hat es mir sehr sehr viel Spaß gemacht. Daraus haben sich die nächsten Sachen entwickelt, denn das Prinzip stand nun. Und das haben wir auf den nächsten Platten weiter verfolgt.

Ich habe dann in Zusammenarbeit mit dem Ghostwriter Michael Kunze verhältnismäßig intelligente Texte gesungen – wobei man natürlich immer diskutieren kann, was intelligent in dem Zusammenhang ist. Da das irgendwann andere auch machen wollten, ist es für mich als Künstlerin nach einer gewissen Zeit langweilig geworden, denn ich habe keine große Lust, Wiederholungen zu machen. Und als ich schließlich überall um mich herum Kopien von mir gehört habe, wollte ich weg davon. Aber das war nicht so leicht, weil mein Produzent schon Lieder von Joni Mitchell und Burt Bacharach für mich eingekauft hatte. Ich sagte aber „nee, das mach’ ich nicht, denn die sind im Original so gut, davon mache ich keine zweite oder dritte Version“. Daraufhin sind der Produzent, der Ghostwriter und ich auseinandergegangen.

Sie sind auch als Jazz-Sängerin sehr geschätzt. Warum haben Sie damit nicht schon früher angefangen?
Ich bin in meinem Elternhaus mit Jazz aufgewachsen, aber das heißt aber noch lange nicht, dass ich Jazz auch singen kann. Geprägt bin ich von Pop – ich bin eine Pop-Sängerin mit Jazz im Hinterkopf.

Haben Sie musikalische Wünsche, die Sie sich unbedingt noch erfüllen wollen?
Also ich habe keine Lust, ins Studio zu gehen. Ich habe das schon gemacht mit mir fremden Musikern, die dann alle darauf aus waren, Hits zu machen, was mich doch sehr gestört hat. Ich liebe Musik zu sehr, um ins Studio zu gehen und nur daran zu denken, ob etwas ein Hit werden könnte. Meine Inspirationen sind sehr abstrakt – diese Musik würde man wahrscheinlich gar nicht verkaufen können. Wenn ich ins Studio gehen würde, dann würde es schwierig, Menschen für das zu motivieren, was ich gerne machen würde. Insofern erzähle ich lieber Geschichten auf der Bühne und hole dabei das eine oder andere Lied raus. Ich bin Fatalist und warte ab, was passiert. Auf keinen Fall lasse ich mich von irgendwelchen Äußerlichkeiten dirigieren. Das Leben ist spannend und interessant und will gelebt und erlebt werden.

Sie haben ja schon als Kind auf der Bühne gestanden. Bis wann waren Sie da fremdbestimmt?
Meine ganze Familie war entzückt und überrascht, dass ich so erfolgreich war. Deshalb hat man mich, weil ich das mochte, auch ein bisschen Blues singen oder eine Big-Band-Geschichte machen lassen, was ich sehr genossen habe. Ich habe auch Theater und in einem Musical gespielt. Die Aufgaben waren also interessant genug, um mich nicht zu langweilen. Aber mit 14 habe ich zu meinem Vater gesagt, „ich möchte nicht mehr, dass du zu meinen Jobs mitkommst“. Das war nicht angenehm für ihn, aber ich wollte mich von ihm lösen.

Verfolgt man Ihre Karriere anhand von Fotos, fallen die vielen unterschiedlichen Frisuren auf. Mireille Mathieu hat bis heute immer die gleiche.
Das war auch ein Teil des Rebellischen in mir. ich wollte gegen den Strom schwimmen, hatte rote oder grüne Haare oder auch mal diese Indianer-Frisur.

Auffällig ist, dass Sie auf den Fotos fast immer lachen.
Ich sehe mich als eine merkwürdige Mischung aus Lady Di und einem Rebellen. Ich versuche, lieb und nett auszusehen, weil ich Fotos von mir nicht anschauen mag. Deswegen habe ich versucht, so breit zu lachen.

Sie haben in vielen Sprachen gesungen: Deutsch, Dänisch, Schwedisch, Englisch. In welcher Sprache fühlen Sie sich heimisch?
Das ist schwer zu beantworten, da ich in Deutschland schon länger wohne als in Dänemark. Dennoch ist Deutschland für mich eine fremde Kultur geblieben. Um der Sprache näher zu kommen, hatte ich mir sogar eine Zeit lang die „Zeit“ abonniert. Deutsch spreche ich auf jeden Fall besser als Englisch, wobei meine Aussprache im Englischen sehr sehr gut ist. In meinem englischen Wortschatz aber bin ich sehr limitiert.

Sie sind jetzt 76. Können Sie sich vorstellen, eines Tages mit der Musik aufzuhören und in Rente zu gehen?
Das Problem ist, dass ich keine Rente bekomme, weil ich nicht in die Rentenkasse eingezahlt habe.

Aber ich nehme an, dass Sie nicht verarmt sind?
Ich leere immer mein Bankkonto, wenn ich etwas machen will, was mir wichtig ist. Ich bin keine „Nummer sicher“ – überhaupt nicht.

Wenn es mal ganz eng werden sollte, hätte ich noch eine günstige Souterrain-Wohnung für Sie.
Klingt gut – schau’n wir mal. Wo ist das...?

Konzert

Gitte Haenning und Band: Freitag, 25. November, 20 Uhr, Pirmasens, Festhalle.

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