Kultur Kommt ruhig näher

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Das Darknet, die dunkle Seite des Internets, ist als Tummelplatz für Kriminelle verschrien. Doch Studien zeigen: Hier sind auch viele normale Nutzer unterwegs, die surfen wollen, ohne dass ein Online-Krake ihre Daten abgreift.

Es gibt eine Welt, in der man sich anonym bewegen kann und in der kein Online-Krake Daten über einen sammelt: das Darknet, die dunkle Seite des Internets. Drogen werden hier zum Verkauf angeboten, aber auch Waffen. Und sogar Killer soll man anheuern können. Polizei und Justiz greifen hart durch. So wurde Ross Ulbricht, Gründer des inzwischen geschlossenen, illegalen Marktplatzes „Silk Road“, 2015 in den USA zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt, ohne eine Chance auf Bewährung. Außerdem fordert die Staatsanwaltschaft von ihm 184 Millionen Dollar zurück, den geschätzten Gesamtwert der auf Silk Road gehandelten Drogen und gefälschten Papiere.

Über ein Drittel der Angebote werden legal genutzt

Doch an einer solchen Schwarz-weiß-Malerei stören sich inzwischen nicht nur Menschenrechtler, sondern auch Wissenschaftler. Eine Anfang Februar 2016 veröffentlichte Studie des britischen International Institute for Strategic Studies stufte zwar 57 Prozent der untersuchten Seiten im Darknet als illegal ein. Aber über ein Drittel der Angebote würde legal genutzt von Usern, die einfach ihre Privatsphäre schützen wollten. Auf verschlüsselte Netzwerke greifen etwa Aktivisten oder Journalisten zurück, die sich vor dem Zugriff eines rigiden Regimes oder ihre Quellen schützen müssen, beispielsweise im Iran, in Syrien und China. Entstanden ist das Darknet aus dem Forschungsprojekt einer US-Behörde, das die militärische Kommunikation schützen sollte: 2002 stellte das United States Naval Research Laboratory „The Onion Router“ vor, abgekürzt Tor. Bei diesem Verfahren werden die Daten über drei Tor-Knoten geschickt, dabei immer wieder verschlüsselt und mit einer neuen IP-Adresse, der Gerätekennung, versehen. Wie in den Schalen einer Zwiebel – englisch: onion – liegen die Informationspakete und sind vor fremden Blicken verborgen. Um auf die Knoten zugreifen und die Dienste dort abrufen zu können, braucht man einen speziellen Tor-Browser. Den gibt es ganz legal im Internet kostenlos zum Herunterladen. Er macht allerdings die Verbindung langsamer. Silk-Road-Gründer Ross Ulbricht führte die Währung Bitcoin im Darknet ein, mit der sich anonym bezahlen lässt. Die Kunden schicken die Adresse, wo sie die Ware abholen wollen, verschlüsselt an den Online-Händler. Und ein Bewertungssystem ähnlich dem von Ebay stellt sicher, dass sich im Darknet nur kommerziell halten kann, wer zuverlässig und in guter Qualität liefert.

Darknet wissenschaftlich untersucht

Diesen Aspekt sehen Wissenschaftler wie Judith Aldridge und David Décary-Hétu von den Universitäten Manchester und Montreal durchaus positiv. Im Mai 2014 veröffentlichten die beiden eine Studie, in der sie die Drogenangebote auf dem Marktplatz Silk Road auswerteten. Ergebnis: Die Anonymität des Darknets verringere die Gewalt und die Begleitkriminalität, die normalerweise in der Szene eine große Rolle spielt, weil man nicht an zwielichtige Orte gezwungen werde, um an Cannabis oder Aufputscher heranzukommen, und weil man darüber hinaus nicht erst durch Aufnahmerituale oder eine einschlägige Knastkarriere Vertrauen bei den Verkäufern schaffen müsse. Probleme, die sich aus dem Nichtbezahlen der Ware ergeben wie Einschüchterung, Repressalien oder neue Abhängigkeiten würden durch die Online-Plattform reduziert, denn es wird nicht geliefert, bevor das Geld nicht eingegangen ist. Außerdem führe der starke soziale Druck durch die Netz-Bewertungen dazu, dass weniger verunreinigte Drogen über das Internet verkauft würden. Eine Einschätzung, die auch die Europäische Drogenbeobachtungsstelle EMCDDA Anfang 2016 bestätigt hat. Als Hauptabnehmer im Darknet haben die Forscher kleinere Dealer ausgemacht, unter denen sie viele sonst unauffällige Bürger vermuten. Die Theorie vom Drogen-Ebay für jedermann stimme insofern nicht, betonen Aldrige und Décary-Hétu. Und: Kartelle, die Kokainmengen von 100 Kilogramm und mehr feilbieten, werden ihrer Einschätzung nach auch weiterhin nicht im Darknet aktiv sein. Zwar hätten sich die Verkäufe auf Silk Road zwischen 2012 und 2013 von 14,4 Millionen auf geschätzte 89,7 Millionen Dollar gesteigert. Der Drogenmarkt im Darknet wird derzeit mit 12 bis 21 Millionen Dollar monatlich veranschlagt. Doch das internationale Geschäft mit illegalen Substanzen ist aufs Jahr gerechnet Hunderte Milliarden Dollar schwer.

Ursprünliche Idee der Tor-Server: Ohne Überwachung kommunizieren können

Die Tor-Server sind nur die Pforten zum Darknet und werden oft von Idealisten betrieben. Dass es im Separet des Netzes auch ums Dealen, um Geldwäsche, Datenklau, Kinderpornografie oder Hacker-Zubehör geht, das bestreitet niemand. Aber das sei, heißt es, eine Pervertierung der ursprünglichen Idee: ohne Überwachung kommunizieren zu können. Um ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen, betreibt die Universität Linz seit Ende 2015 einen eigenen Tor-Server zu Forschungszwecken. Die Wissenschaftler um René Mayrhofer vom Institut für Netzwerke und Sicherheit (INS) interessiert unter anderem, wie sich die Nutzer der Verschlüsselungstechnologie verhalten – welchen Anteil machen Chats aus, wo sich ungestört plauschen lässt, wie oft werden E-Mails über das Tor-Netzwerk verschickt, wie groß ist der Anteil an Downloads, welche Seiten laden die User anonym, in welche Länder fließen die meisten Daten? Erste Resultate gibt es: „Der weitaus größte Teil des von uns gesehenen Verkehrs geht in EU-Länder und in die USA“, sagt Mayrhofer. Das habe wahrscheinlich damit zu tun, dass der Server in Österreich steht. Viele griffen auf ganz normale Dienste zu, das Hauptziel sei Google und weitere typische Rechenzentren. Für Mayrhofer ein Indiz, dass diese Nutzer nur unbeobachtet surfen wollen. Ein bisschen auffälligen Datenverkehr habe man ebenfalls registriert, der „vermutlich mit Angriffsversuchen oder deren Vorbereitung“ zu tun hat.

Praxistexts an der Uni Linz

Mayrhofer: „Unser Tor-Server transportiert derzeit über ein Terabyte pro Tag, sodass die Statistik zwar nur einen kleinen Teil des gesamten Tor-Verkehrs erfasst, aber dennoch repräsentativ sein sollte.“ In letzter Zeit nehmen die Berichte zu, dass nicht nur auf Datenklau spezialisierte Hacker versuchen, sich in die Tor-Server einzuschleichen, sondern auch Geheimdienste und Strafverfolger, die außerdem selbst Tor-Knoten betreiben sollen. Das ist ein zweischneidiges Schwert: Denn dabei werden nicht nur illegale Machenschaften aufgedeckt, es besteht auch die Gefahr, dass harmlose Nutzer in die Mühlen der Justiz geraten. René Mayrhofer hat bislang keinen direkten Hinweis darauf, dass sein Tor-Server das Ziel von Behörden oder Hackern war, „wir beschäftigen aber auch kein Security-Team, um konstant den Netzwerkverkehr zu überwachen“, schränkt er ein. „Trotz unserer Sicherheitsmaßnahmen gibt es daher sicherlich Organisationen, die vermutlich ohne unser Wissen einen solchen Einbruch durchführen könnten.“  

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