Kultur Im Rausch der Welt

T. C. Boyle inszeniert sich immer auch wenig wie ein Rockstar.
T. C. Boyle inszeniert sich immer auch wenig wie ein Rockstar.

T. C. Boyle, der im vergangenen Dezember seinen 70. Geburtstag feiern konnte, gehört noch immer zu den jungen Wilden der amerikanischen Gegenwartsliteratur. Der Rocker, der Punk unter den US-Schriftstellern. Mit einer riesigen Fangemeinde auch in Deutschland. Sein jüngster Roman „Das Licht“ jedenfalls erschien diese Woche bereits auf Deutsch. Die englischsprachige Ausgabe für den US-Markt folgt erst im April.

Die Reise – oder soll man sagen das Abenteuer? – beginnt mit dem Buchcover. Wenn man etwas länger darauf schaut, beginnt sich alles zu drehen. Eine knallbunte Karussellfahrt im Kopf. Es sind die Farben und Formen jener psychedelischen Kunst, welche die 1960er Jahre nicht selten im LSD-Rausch hervorgebracht hat. Eine wilde Epoche, eine, die Freiheit versprach, mit Lichtgestalten wie J. F. Kennedy oder Martin Luther King. Die Jugend, keineswegs nur in den USA, begehrte auf. Strebte nach Entgrenzung, nach dem endgültigem Bruch mit der Eltern-Generation. Und sei es nur mit Hilfe bewusstseinserweiternder Drogen. T. C. Boyle hat sich wieder eine Episode der jüngeren US-Geschichte ausgesucht und sie zu einem von Dirk van Gunsteren ins Deutsche übersetzen Roman umgeformt, der vielleicht sogar noch viel mehr über die USA der Gegenwart erzählt, über die Sehnsüchte, die Ängste der heutigen Amerikaner als über die 1960er Jahre. Es gibt einen fiktiven Helden, den irischstämmigen Fitzhugh Loney, der es mit Hilfe eines Stipendiums nach Havard schafft, wo er in Psychologie promovieren will. Und es gibt eine historisch verbürgte Hauptfigur: Timothy Francis Leary (1920-1996). Psychologe, Guru, Sektenanführer, Indienreisender. Ein Leben im Dauerrausch. Als nicht enden wollender Trip. Der für Fitz bald zum Höllentrip wird. Für den jungen Wissenschaftler, der als Lehrer seine Familie mehr schlecht als recht über Wasser halten konnte, ist dieses Stipendium wie ein Lottogewinn. Er kann es schaffen, er kann die ärmlichen Verhältnisse, in denen die Loneys seit Generationen verstrickt sind, hinter sich lassen. Er will den Kreislauf des ewig Schlechten durchbrechen, den Makel des immerwährenden Verlierens abstreifen und seiner Frau Joanie und seinem Sohn Corey ein besseres Leben bieten. So der Plan. Bis er dem jugendlich wirkenden Harvard-Gastprofessor Tim Leary begegnet und an einer von dessen samstäglichen Sessions teilnimmt. Fitz und Joanie sind danach komplett geflasht, euphorisiert, vollgepumpt mit Glückshormonen. Sie hatten auf LSD den intensivsten Sex ihres Lebens. Von da an will Fitz dazugehören, will Teil des innersten Kreises um Tim sein, von dem er glaubt, dass er die Wissenschaft revolutionieren werde. Sie folgen Tim blind, auch als dieser längst von der Universität entlassen wurde, nach Mexiko ebenso wie in ein riesiges Haus in Millbrook im US-Bundesstaat New York, wo sie mit Frauen und Kindern eine Kommune gründen. Es ist ein Ausbrechen aus dem Alltag, ein Einbrechen, ganz wörtlich, in eine völlig fremde Welt, die kein anderer Mensch vor ihnen – glauben sie zumindest – je erfahren hat. Sie wollen das Ich überwinden, sich verlieren, aufgeben: In der Gemeinschaft. Im Alkohol. Im Sex – der natürlich als von der Gesellschaft argwöhnisch beobachtete freie Liebe praktiziert wird. In der Droge, die überhaupt die Voraussetzung dafür ist, dass alle Hemmungen fallen. Es geht um genau jene gefährliche Tendenz zur Selbstaufgabe, die mit der deutschen Romantik erstmals in voller Wucht in Erscheinung trat und dann auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs zur Katastrophe führte. Aber eben auch um eine urmenschliche Sehnsucht – nach Ich- und Weltverlust, nach Auf- und Eingehen in einer höheren Macht, einer größeren Gruppe, in der Masse; nach der Erlösung quasi vom eigenverantwortlichen Handeln und Denken. Das übernehmen dann andere. Die Gruppe. Der Führer. Der Guru. Die Droge. Das Leben als eine einzige Party, jeder neue Morgen bringt den schlimmeren Kater. Von Wissenschaft kann bald längst keine Rede mehr sein. Fitz verliert sich völlig an eine Welt, die er nur noch im Drogennebel als solche erkennen kann. Eine Schattenwelt, in der er sich in die 18-jährige Lori wie ein Besessener verliebt, mehrfach mit ihr schläft, und dann nicht damit zurechtkommt, dass sie die Kommune verlässt. Er verliert schließlich auch seine Frau und seinen Sohn: „Ich habe alles satt. Diesen ganzen Ort. Es macht uns kaputt.“ Joanie zieht die Reißleine und quartiert sich mit dem gemeinsamen Sohn bei ihren Eltern ein. Fitz bleibt zurück. Immer tiefer versinkt er in dem Sumpf aus LSD, Marihuana und Alkohol. Wie ein geprügelter Hund schleicht er schließlich zu Tim, um das „Sakrament“, wie sie die Droge nennen, außerplanmäßig zu erhalten. Denn Tim kontrolliert den Zugang zum Licht, verfügt alleine über die Macht. „Ich will das Zweite Licht sehen, ich will Gott sehen.“ Fitz bittet und bettelt. Immer noch folgt er seinem Guru, ist überzeugt, dass Tim auf seinen Trips in sein Innerstes genau diese Erfahrung eines entgrenzten Bewusstseins gemacht hat. Aber da ist Nichts. Kein Erstes Licht. Kein Zweites Licht. Kein Gott. Keine Entgrenzung. Nur die blanke Sucht, der Drogen-Höllentrip, der Fitz zerstören wird. „Scheiß auf Gott“, sagt Tim zu ihm. „Gehen wir auf Trip!“ Lesezeichen T. C. Boyle: „Das Licht“; Roman; aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren; Verlag Hanser, München; 380 Seiten; 25 Euro.

x