Kultur Hängepartie

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Was man im Sommer zwischen zwei Bäumen machen kann? Hängematte spannen, reinlegen, fertig. Dabei ist das baumelnde Bett ein Zwitter, symbolisch betrachtet. Für die einen bedeutet es Entspannung, für die anderen Faulheit.

Chillen ist zu einem Standardbegriff geworden, der längst nicht mehr nur von Leuten gebraucht wird, die gerade ihren Führerschein machen oder mit Clearasil ihre Pickel behandeln. Auch ältere Herrschaften, die sonst gerne Heino hören und sowieso zur englischen Sprache ein eher distanziertes Verhältnis pflegen, chillen. Übersetzt bedeutet das Wort ja so viel wie sich entspannen, rumhängen, abhängen. Und wo lässt es sich besser abhängen als in einer Hängematte.

Hammocking

Wer im Sommer in New York durch den Central Park streift, der wird sie mit großer Sicherheit entdecken: Menschen, die in Hängematten liegen. Beim „Hammocking“, abgeleitet vom englischen „hammock“ für Hängematte, werden leichte, flexible Exemplare überall dort, wo es gerade passt, aufgespannt, um abzuhängen. Bei manchen sieht das vielleicht so aus, als müssten sie danach zum Chiropraktiker, aber sie hängen aus Überzeugung. Gestresste Uni-Professoren, die mit Rotstift Fünfen auf Matheklausuren kritzeln, und ihre weltvergessenen Studenten mit Kopfhörern, die sich in eine andere Welt schaukeln. Fakt ist: Hängematten liegen im Trend. In den USA steigt die Nachfrage rapide, die Umsätze haben sich in den vergangenen drei Jahren mehr als verdoppelt. Auf 53 Millionen Dollar.

Gut geeignet für Seefahrer

Die Geschichte der Hängematte beginnt abseits von Stadtneurotikern und gestressten Büromenschen. Als vermutlich erster Europäer entdeckte Christoph Kolumbus, der ja eigentlich nach Indien wollte und in Amerika an Land ging, 1492 die Hängematte auf Inseln, die heute Bahamas heißen. Den Indigenen dienten die schnell aufzubauenden Schlafgelegenheiten als Schutz vor Schlangen und Ratten. „Betten und Decken, auf denen jene Leute schliefen, sind eine Art Wollnetze“, notierte der Mann aus Genua. Es dauerte nicht lange, bis Seefahrer die Vorteile der Hängematte erkannten. Sie kann nicht nur platzsparend unter Deck verstaut werden. Das Schwanken des Schiffs wird durch die Bewegung des gespannten Tuchs ausgeglichen. Wenn die See besonders rau ist, muss man sich deshalb keine Sorgen machen, herauszufallen, wie es bei einem normalen Bett der Fall wäre. Ziemlich praktisch übrigens, auf Schiffen wird ja gerne mal Rum vernichtet. Es ist erstaunlich, dass die Hängematte ihre Renaissance erlebt in einer Zeit, in der Bewegungslosigkeit als Makel gilt. In Kreisen, in denen der soziale Status über die gesammelten Flugmeilen und die tägliche Joggingstrecke bemessen wird, ziehen Menschen, die sich einfach mal hängen lassen, verächtliche Blicke auf sich. Nicht umsonst ist die soziale Hängematte zur Metapher für einen Grundsicherungstourismus von Menschen geworden, die sich angeblich gerne in den gesichtslosen Räumen der Arbeitsagenturen aufhalten, um Stütze zu kassieren. „Man kann doch nicht sagen, es gibt Millionen von Menschen, die suchen nur die soziale Hängematte“, hat der heutige Kardinal Reinhard Marx mal in einem Interview gesagt. Dabei dient das baumelnde Bett schon ziemlich lange als Zeichen für Armut und Faulheit, als stereotypes Merkmal für sonnengegerbte Spanier, die lieber Siesta halten als die Kelle auf dem Rohbau in die Hand zu nehmen. Vielleicht kann die Hängematte als Gegenentwurf zum Laptop gelesen werden. Wer sich in ihr breitmacht, steht nicht im Verdacht, während der Einschulungsfeier der Tochter Geschäftsmails zu beantworten. Die digitale Avantgarde empfindet Stillstand als Todesurteil. Dabei „tun wir liegend so einiges: Wir schlafen und träumen, lieben, denken nach, geben uns melancholischen Stimmungen hin, dämmern und leiden. Nur eines tun wir liegend kaum: uns bewegen. In der Horizontalen kommen wir dem, was man seltsamerweise als Stillstand bezeichnet, sehr nah“, hat Bernd Brunner in seinem wunderbaren Buch über „Die Kunst des Liegens“ geschrieben. Man muss kein Logikseminar besucht haben, um erkennen zu können, dass nur derjenige, der Stillstand kennt, Fortschritt denken kann. Bewegungslosigkeit ist die Bedingung für Bewegung, ihr Startpunkt, von dem aus eine Stoßrichtung gesucht wird. Fehlt das eine, verpufft das andere. Oft genug führt dieser Tempofetischismus in die Irre. Heinrich Heine zum Beispiel war in seinen letzten Lebensjahren in Paris wegen seiner Krankheit ans Bett gefesselt. In der Matratzengruft, wie er es nannte, schrieb er liegend sein literarisches Spätwerk. Der Schriftsteller Mark Twain verfasste seinen Huckleberry Finn freiwillig in der Horizontalen.

Sein und Zeit verändern sich, wenn das Leben zum Liegen kommt

Die Hängematte ermöglicht vielleicht eine besondere Version des Liegens. Sie ist ein transportables Bett, lässt sich schnell aufschlagen, ist leicht und gut verstaubar. Ihre Phänomenologie entspricht dem Anforderungsprofil unserer Bewegungsgesellschaft. Hängematten baumeln zwischen zwei Bäumen, wir schwanken in ihnen durch die Welt. Auf eine eigentümliche Weise macht sie uns klar, wie es ist, zu schweben. Der französische Philosoph Roland Barthes hat diesen Zustand mal umschrieben als „einen Raum bewohnen, ohne sich an einen festen Platz zu binden“. Sein und Zeit verändern sich, wenn das Leben zum Liegen kommt. In der Horizontalen, besonders in einer Hängematte, umgeben von Natur, verändert sich unsere Wahrnehmung. Am Strand hören wir, wie die Wellen in immer gleichem Takt an den Strand laufen, wie der Wind über die Deiche pfeift. Im Wald hören wir das Rauschen der Blätter und das Gezwitscher der Vögel in den Bäumen. Wir frieden uns ein in eine Landschaft und kommen dabei einem Zustand näher, den man als das Ursprüngliche bezeichnen kann: Das Ich und die Welt. Wenn so der Perspektivenwechsel beginnt, wird das Liegen als kontemplative Übung sinnhaft. Die Mainzer haben diesen Sinn offenbar schon erkannt. Im Juli lagen 269 Menschen am Rheinufer zur selben Zeit in Hängematten. Am Ende stand ein Eintrag im Guinness-Buch der Rekorde. Vielleicht ist das der Beweis für alle Berufsrennfahrer, dass auch mit Entspannung Weltrekorde möglich sind. In einer Hängematte.

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