Mythos Alltag Der Letzte-Hilfe-Kurs

Sterben ist ein Teil des Lebens – doch wie kann man sich darauf vorbereiten?
Sterben ist ein Teil des Lebens – doch wie kann man sich darauf vorbereiten?

Im öffentlichen Diskurs ist der Tod meist nur die abstrakte Ziffer in einer Statistik – zu beobachten in der Corona-Pandemie. Eine Zahl, die uns nicht betrifft. In Deutschland wird das Sterben noch sehr oft verdrängt. Es geht aber auch anders.

Wenn jeder Vorwand, jede List

Ihm zu entgehen, vergebens ist

Wenn ich, wie ich's auch dreh und bieg

Den eignen Tod nicht schwänzen kann

Wie ein Baum, den man fällt

Eine Ähre im Feld

Möcht ich im Stehen sterben

In den 70er Jahren beschrieb Reinhard Mey, auf welche Art und Weise er gerne von dieser Welt gehen würde. Sterben ist ein Teil des Lebens – ein Satz, leicht dahin gesagt. Ein Satz, dem jeder zustimmen muss, denn das Leben ist endlich. Mehr als 900.000 Menschen sterben jährlich in Deutschland, dementsprechend viele müssen sich also zwangsläufig mit dem Tod auseinandersetzen, sei es mit dem eigenen oder dem eines Angehörigen. Doch Tod und Sterben haben im Alltag vieler Menschen keinen Platz, sie werden verdrängt. Wohl ein natürliches Verhalten. Irgendwann jedoch trifft es jeden – noch so eine Binsenweisheit. Kann man sich aber überhaupt auf Sterben und Tod vorbereiten?

Jeder kennt den Erste-Hilfe-Kurs, zu absolvieren vor der Führerscheinprüfung. Sein Ziel: Basiswissen zu vermitteln, um das Überleben eines Verletzten oder Kranken zu sichern. Doch wie ist es um das Wissen für eine gute Sorge am Lebensende bestellt? Beim Nachdenken stellt sich heraus: Es besteht Nachholbedarf. Und den kann der Letzte-Hilfe-Kurs, ein Angebot des Bildungswerkes Hospiz Elias in Ludwigshafen liefern – in vier Unterrichtseinheiten je 45 Minuten.

Bierdeckel, Pipette, Schwämmchen am Stiel

Nach der Anmeldung findet sich im Briefkasten ein großes Kuvert, darin eine Mappe mit unterschiedlichen Utensilien: ein Bierdeckel, beschriftet mit der Frage „Was bedeutet für Dich Glück?“; Wattestäbchen mit Zitronengeschmack, lichtgeschützt verpackt; ein Teebeutel Italienische Limone; eine Pipette; ein grünes Schwämmchen am Stiel; eine Postkarte, darauf ein Koffer und ein Aufkleber „Mein Koffer für die letzte Reise“. Alles Dinge, die man braucht, um sich auf Sterben und Tod vorzubereiten?

Konzipiert hat den Letzte-Hilfe-Kurs der Palliativmediziner Georg Bollig. Das Ziel ist, Menschen die Angst vor dem Tod zu nehmen und Tipps zu geben, wie man todkranken Angehörigen die letzte Etappe ihres Lebens so angenehm wie möglich gestalten kann. Also gewissermaßen das Einmaleins der Sterbebegleitung. Und das beginnt mit der Selbstreflexion und Fragen wie: Was ist mir wichtig am Lebensende? Wer soll für mich entscheiden? Wo und wie würde ich gern sterben? Was muss ich in die Wege leiten? Fragen, auf die sich in 45 Minuten keine Antworten finden lassen. Fragen, die wohl jeden länger umtreiben.

Vorsorge zu treffen, ist wichtig

Bevor man ins Grübeln kommt, gibt es eine geballte Ladung an Informationen, wer im Falle einer schweren Krankheit, die zum Tod führen wird, helfen kann: allgemeine ambulante Palliativversorgung, eine spezialisierte mit 24-stündiger Rufbereitschaft, ambulanter Hospizdienst, Hospiz, und Palliativstation. Bei all dem geht es nicht darum, Lebenszeit zu gewinnen, sondern Lebensqualität zu erlangen und zu erhalten. Damit dies in meinem Willen geschieht, muss ich tätig werden – Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht für Gesundheitsangelegenheiten, Betreuungsverfügung, Vollmacht für Rechtsgeschäfte aller Art. Der Kopf schwirrt, aber es ist klar geworden: Vorsorge zu treffen, ist wichtig. Und genauso wichtig ist es, mit denen, die einem nahestehen, darüber zu sprechen.

Anweisung zur Sterbebegleitung

Dann klärt sich auf, was es mit den Materialien von der Pipette bis zur Ahoi-Brause auf sich hat. Überschrieben ist das Modul mit dem Satz „Körperliche, psychische, soziale und existenzielle Nöte lindern“. Eine Art Anweisung, wie man einen Sterbenden begleiten kann. Denn niemand sollte nach dem Tod eines geliebten Menschen sagen müssen: Wenn ich nur das oder jenes gewusst hätte, hätte ich vieles anders gemacht ...

Nicht medikamentöse Systembehandlung nennt sich das, was Angehörige oder enge Freunde dem Sterbenden noch Gutes tun können. Oder wie es auch heißt: „Wenn nichts mehr zu tun ist, können wir noch ganz viel machen.“ Nämlich da sein, zuhören und aushalten, berühren, Musik spielen, Rituale wie singen oder beten vollziehen oder die Mundpflege übernehmen. „Wenn ein Mensch nicht mehr essen oder trinken will, ist die Mundpflege eine praktische letzte Hilfe“, macht Kursleiterin Miriam Ohl Mut. Da sind die Zitronen-Wattestäbchen, mit denen das Durstgefühl gelindert werden kann; das in Flüssigkeit getunkte Schwämmchen am Stiel, mit dem Mund, Lippen und Zunge benetzt werden können oder Brause über die Zunge gestrichen wird, etwas, was bei dem ein oder anderen Kindheitserinnerungen weckt; die Pipette, mit der einem Patienten ein bis zwei Milliliter des geliebten Milchkaffees, des Lieblingsrotweins oder des bevorzugten Fruchtgetränks in den Mund geträufelt wird – wenn gewünscht auch 20 Mal am Tag. Letzte Liebesdienste, um sich als Angehöriger nicht hilflos zu fühlen.

Nach den vier Modulen an zwei Abenden weiß man mehr über wichtige Medikamente am Lebensende, über die Bedeutung von Essen und Trinken – „Man stirbt nicht, weil man aufhört zu essen und zu trinken, sondern man hört auf zu essen und zu trinken, weil man stirbt“ –, über die Sterbephasen, den Moment des Todes, über Abschiednehmen und Trauer. Ist man jetzt gewappnet?

Das Wort Lebensqualität

Auf dem Schreibtisch liegt die Postkarte mit dem Koffer für die letzte Reise. Ich google, was Menschen, die an dem Projekt teilnahmen, so alles einpackten: Teller, Messer, Hut, Würfel, Kerzenleuchter, Bibel, Tagebücher, Rosenkranz, Gummibärchen ... Mein Koffer bleibt leer – aber nur für den Betrachter. Denn er ist gefüllt mit vielen Erinnerungen, mit all dem, was mich als Person ausmacht.

Über der zweiten Aufgabe grübelt man länger: Auf einem Zettel steht in Großbuchstaben das Wort Lebensqualität. Zu jedem Buchstaben – so der Tipp der Kursleiterin – soll man einen Begriff finden, der für einen persönlich Lebensqualität ausmacht. Dann könne es einem leichter fallen, für den eigenen letzten Weg vorzusorgen. Erster Buchstabe L wie ...

Kurse

Angebote zu Letzte-Hilfe-Kursen finden sich unter www.hospiz-elias.de in der Rubrik Bildungswerk oder unter www.letztehilfe.info/kurse/

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