Kultur Am Herzschlag der Moderne: Frühwerk Hans Hofmanns

Hans Hofmanns Tuschearbeit „Ohne Titel (St. Tropez)“ ist im Jahr 1929 entstanden.
Hans Hofmanns Tuschearbeit »Ohne Titel (St. Tropez)« ist im Jahr 1929 entstanden.

Und noch so eine Schau! Das Museum Pfalzgalerie Kaiserslautern, eine Hochburg delikater Kunstpräsentationen inzwischen, zeigt das zeichnerische Frühwerk von Hans Hofmann (1880 bis 1966). Rund 90 Arbeiten. Der Deutsch-Amerikaner aus Franken ist einer der ganz großen Künstler-Künstler, einflussreichen Lehrer und Avantgardisten des 20. Jahrhunderts. Wichtig wie Jackson Pollock, aber ohne dessen Popstar-Leben. „Hofmanns Wege“ heißt die stille, reiche Ausstellung. Eine Universität des Sehens.

Der Begriff Abstrakter Expressionismus zum Beispiel verdankt sich Hans Hofmann. Ohne sein direktes Zutun. Der Kritiker Robert Coates erfand das Avantgarde-Label bei einer am 18. März 1946 eröffneten Einzelschau des deutschen Emigranten in der New Yorker Mortimer Brandt Gallery. Coates traute seinen Augen nicht. „Splatter-and-daub style of painting“, schrieb er entwaffnet im „New Yorker“ über Hofmanns kontrollierten Aufruhr der Farben: Spritz-und-Klecks-Malerei. Und erfand dafür den Ausdruck Abstrakter Expressionismus, der einer Kohorte US-Künstler/innen zu Weltruhm aufhalf. Hofmann, dem das Museum Pfalzgalerie jetzt eine wunderbar sublime Schau widmet, kuratiert von Annette Reich, war eine Erfindergestalt per se. In seiner mit 16 begonnenen ersten Karriere im bayerischen Staatsdienst entwickelte er Dinge wie eine elektromagnetische Rechenmaschine. Gleichzeitig interessierten den im Alter von sechs Jahren nach München gekommenen Beamtensohn aus dem 18.000-Einwohner-Kaff Weißenburg Kunst und Gesang. Er schrieb sich in einer privaten Kunstschule ein, lernte seine spätere Frau Maria Miz Wolfegg kennen, sein Lieblingsmodell. Ein Mäzen sponserte ihm ein zehnjähriges Intermezzo als lerngieriger Pariser Bohemien. Hofmann verkehrte mit der Kunst-Hautevolee, den Delaunays, Matisse, Braque, Derain und Picasso et cetera pp. Auch den Pfälzer Hans Purrmann traf er oft. Retour in München, randvoll mit neuen Ideen, gründete er 1915 eine eigene Kunstschule, die bald zur Anlaufstelle der internationalen jungen Szene avancierte. Als er 1932, auf der Flucht vor dem anstehenden Nazi-Irrsinn, endgültig in New York siedelte, war ihm sein Ruf als Lehrerguru vorausgeeilt. 1915 bis 1932, das ist so ziemlich genau der Zeitraum, den die Kaiserslauterer Schau abdeckt. Sie zeigt, wie Hofmann geradezu zwangsläufig vom klassischen Lehrling zum freigeistigen Großmeister mutiert, der ganz verschiedene Handschriften eigensinnig überschreibt, um zu sich selbst zu werden. Hans Hofmann School of Fine Arts nannte er seine bald überlaufene Akademie in der Nähe des Central Parks, in der er seine Überlegungen einem späteren Who’s who der Kunstszene einflüsterte mit Vehemenz. Dass Reduktion Reichtum entfaltet etwa. Eine Maxime, der auch die auf wenige Themenkomplexe wie Akt, Porträts, Ansichten von Saint-Tropez, kalifornische Landschaften konzentrierte Schau in Kaiserslautern folgt. Zwei Linien, so eine andere Vorstellung, können für den Betrachter Sternschnuppen sein. 1944 waren von ihm in der New Yorker Galerie Art of this Century kleine, vollgetröpfelte Gemälde ausgestellt, deren popkulturelle Tragweite der Besucher Jackson Pollock als „Jack the Dripper“ später ausschöpfte. Hofmann selbst, den die Kritiker-Legende Clement Greenberg einmal „die wichtigste Figur der amerikanischen Kunst nach 1935“ nannte, wurde als Maler wuchtiger, farbstrotzender Abstraktionen berühmt. Als eine Art Mondrian-Kandinsky, der grüne, orangefarbene, rote, blaue, gelbe Rechtecke auf Farbteppiche spachtelt. Als sei ein Bild eine zweidimensionale Buttercremetorte aus Informel und geometrischer Abstraktion. Die Wurzeln dieser Malerei sind jetzt in der Pfalz zu sehen. „Push and pull“, schieben und ziehen, nannte er sein Dynamisierungsverfahren, mit dem er leuchtende Bildflächen in eine illusionistische Vorwärts-Rückwärts-Bewegung versetzte. Seine Gemälde stellen so etwas dar wie: metaphysische Magie. Seine Zeichnungen: von Neuerungswillen aufgeladene Exerzitien. Es ist nicht so, dass Hofmann ein Unbekannter blieb, trotzdem figuriert er eher als „Bahnbrecher aus der zweiten Reihe“ (Georg Imdahl). 1959 Documenta-Teilnehmer, ein Jahr später Vertreter der USA bei der Venedig-Biennale. Das MoMa widmet ihm 1963 eine Einzelschau. Die wichtigste Ausstellung der jüngsten Jahrzehnte in Deutschland aber war die 2013 mit rund 30 seiner besten Bilder aus der Nachkriegszeit in der Pfalzgalerie. Die Schau jetzt ist so etwas wie deren nachgeholter Teil eins. Auch dieses Mal wieder angestoßen und unterstützt vom maßgeblichen Renate, Hans and Maria Hofmann Trust, erklärt Direktorin Britta Buhlmann. Gezeigt wird, wie Hofmann die Zeichnung als Experimentierfeld aufreißt. Als Terrain zur Erprobung akuter Ideen und Stile wie Kubismus, Futurismus oder Surrealismus, durch sich das Geistige der Kunst paust. Ein Schwung wie von Matisse, die vibrierende Energie des Futuristen Gino Severini, eine souverän die Korrektheit überbietende Cézanne-Konstruktion. Wie die Impressionisten variiert Hofmann ein und dasselbe Motiv gleich mehrmals, dekliniert, was das Zusammenspiel von Kubus, Fläche und Linien hergibt. Aus leise einschraffierten Akzentverschiebungen früher Aktdarstellungen in Richtung Räumlichkeit entwickelt sich später ein erhitztes Durcheinander, das trotzdem kühl kontrolliert wirkt. Ein Kreuz-Und-Quer an geschwungenen Liniaturen, ins Bild schießender Diagonalen und Peitschenhieben. Punkte defilieren im Windschatten von Wolken, ein Werk ist mehr als die Summe seiner ganz verschiedenen Areale. Die Schiffe, die auf einer Zeichnung noch vor sich hin dümpeln, werden in einer anderen Version allein durch Wellenlinien zu haifischigen Rennbooten. Wie ein gestrandeter Tanker liegt Saint-Tropez auf einer Zeichnung im gesplitterten Eismeer. Dann wieder löst sich der Ort auf in eine Ansicht von Paul Klee und eine Landschaft wird Abstrakter Expressionismus. Und einmal sieht man eine traumversonnene Dame im schwarzen Kleid, fast im Stil der Neuen Sachlichkeit gezeichnet. Mit übereinandergeschlagenen Beinen sitzt sie da. Aber auf was eigentlich? Ihre Sitzgelegenheit ist ein Ereignis. Bei dieser Schau heißt es also: noch einmal hinschauen, bitte näher herantreten. Dafür ist man auch ganz dicht dran am Herzschlag der Moderne. Die Ausstellung „Hofmanns Wege“, Eröffnung heute, 19 Uhr. Bis 9. September. Info: www.mpk.de. In der Edition Cantz ist ein sehr schöner Katalog zur Ausstellung erschienen (24,80 Euro).

Bleistiftzeichnung von Hofmann.
Bleistiftzeichnung von Hofmann.
„Nacktstudie“, Tusche, circa 1928.
»Nacktstudie«, Tusche, circa 1928.
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