Kolumnen Kolumne: Sinnlose Hitze-Ratgeber

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Gestern wollte ich gerade von 12 bis 14 Uhr bei 35 Grad komplett untrainiert zwei Stunden lang Extremsport machen, ohne Mütze, ohne Sonnencreme, ohne was zu trinken. Zum Glück habe ich vorher noch einen Blick in ein herumliegendes Magazin geworfen, das davon dringend abriet.

Bei hohen Temperaturen, so wurde dort empfohlen, sei die Mittagshitze zu meiden, der Schatten aufzusuchen und, wenn das nicht geht, ein Sonnenhut aufzusetzen. Sportliche Aktivität sei in die Morgen- oder Abendstunden zu verlegen. Die Haut, vor allem die helle, brauche Creme mit hohem Lichtschutzfaktor, und man müsse viel, sehr viel trinken, noch mehr als sonst, mindestens drei Liter am Tag.

Wieder raus aus der Skihose

Puh, gerade noch mal gutgegangen, dachte ich da, und zog die Skihose wieder aus, die ich zum Ironman-Training hatte tragen wollen. Gut, dass es Ratgeber gibt, sonst wären im Sommer die Straßen gepflastert mit krebsroten, Blasen werfenden, dehydrierten und vom Hitzeschlag zusammengeklappten Menschen.

Eng an den Gartenzaun pressen

Und alle Pflanzen würden eingehen. Die brauchen an heißen Sommertagen mehr Wasser als sonst. Hab‘ ich woanders gelesen. Gottseidank. Kann man ja nicht wissen. Ich vermute, unser Nachbar hat dieselbe Mahnung gelesen, denn seit gestern hat er einen Rasensprenger installiert. Das ist praktisch. Wenn meinem Wasserhaushalt jetzt noch 350 Milliliter zu den empfohlenen drei Litern Flüssigkeit fehlen, muss ich mich nur ganz eng an den Gartenzaun pressen, den Kopf in den Nacken legen und den Mund aufmachen. Die mikrofeinen Tröpfchen wehen rüber, und kaum steht man mal ein Dreiviertelstündchen so da, schon ist der Durst gelöscht. Jetzt überlege ich, ob ich auch mal einen Ratgeber schreiben sollte. „Im eigenen Haushalt Wasser sparen ohne zu verdursten“ könnte er heißen. Allerdings bin ich keine Wissenschaftlerin. Da weiß ich jetzt nicht, ob das geht.

Frau ohne Hut

In den ratschlagenden Texten, die man so liest, wird regelmäßig erwähnt, dass es sich um wissenschaftliche Erkenntnisse handelt. Oder noch besser: um medizinische Erkenntnisse. Was das viele Trinken angeht, werden gerne Allgemeinärzte zitiert, wenn’s die Haut betrifft Dermatologen. Apropos: Am Gartenzaun die Sonnencreme nicht vergessen, sonst ist der Durst zwar weg, aber Brand an anderen Stellen. Das ist ja schon wieder ein Wahnsinnstipp. Ich wäre echt gut als Ratgeberin. Vielleicht schreibe ich erst mal den Ratgeber „Wie man Binsenweisheiten an den Mann bringt ohne Wissenschaftlerin zu sein“. Ich sehe es schon ganz oben auf der Sachbuch-Bestsellerliste. Gleich hinter „Deutschland verdummt“ von Michael Winterhoff und „Bin im Garten“ von Meike Winnemuth. Offensichtlich weiß auch Frau Winnemuth nicht, wie man sich bei Sonnenschein im Garten verhält. Auf dem Buchcover trägt sie keinen Hut. Aber sie ist auch keine Wissenschaftlerin. Woher sollte sie das dann wissen?

Regen? Schirm mitnehmen!

Da man nicht davon ausgehen kann, dass alle bei allem immer auf dem neuesten Stand sind, fange ich am besten vor dem Buch schon mal mit Verbal-Ratschlägen an. Wenn‘s draußen regnet, empfehle ich, einen Schirm mitzunehmen. Wenn’s drinnen regnet, rate ich zur Dach-Reparatur. Muss jemand aufs Klo, empfehle ich, dieses aufzusuchen. Hunger? Essen! Müde? Schlafen! Haustürschlüssel weg? Suchen! Ich gehe allen auf den Sack mit meinen scharfsinnigen Ratschlägen? Das Weite suchen! Der Nachbar hat den Rasensprenger ausgeschaltet, obwohl mir noch ein halber Liter Flüssigkeit fehlt. Trinke ich halt noch ein Eimerchen Absinth. Doch was muss ich da lesen? Mit viel trinken bei viel Hitze ist Wasser gemeint, kein Alkohol!? Sapperlot. Da muss man erst mal drauf kommen.


Die Autorin Sigrid Sebald (50) ist seit 2000 RHEINPFALZ-Redakteurin in Zweibrücken, wo sie mit Mann und Tochter auch lebt. Über die Beiträge für die „Zweibrücker Rundschau“ hinaus schreibt sie regelmäßig in der RHEINPFALZ-Sommererzählreihe sowie Weihnachtsgeschichten. Die Kolumne Christine Kamm und Sigrid Sebald schreiben abwechselnd in der Online-Kolumne "Ich sehe das ganz anders" über die großen und kleinen Überraschungen sowie Absurditäten des Alltags


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