Snooker Tanz um den goldenen Ball: Weltmeisterschaft im Schatten der Saudi-Arabien-Debatte

Weltmeister Luca Brecel zeigte am Samstag gegen David Gilbert zwar ab und zu brillantes Snooker, aber auch wilde Fehl- und einig
Weltmeister Luca Brecel zeigte am Samstag gegen David Gilbert zwar ab und zu brillantes Snooker, aber auch wilde Fehl- und einige Glücksschüsse. Am Ende reichte es knapp nicht zum Sieg.

Titelverteidiger Luca Brecel scheidet zum Auftakt der Snooker-Weltmeisterschaft im Crucible-Theatre in Sheffield aus. Superstar Ronnie O’Sullivan plädiert für Saudi-Arabien als Austragungsort der Zukunft – er hat einen Sponsoringdeal mit dem Königreich.

Der „Fluch des Crucible“ hat am Samstag, 23.35 Uhr, wieder zugeschlagen. Gemeint ist damit das von Reportern über Jahrzehnte beschworene Schicksal eines jeden erstmaligen Snooker-Weltmeisters, im Jahr darauf den Titel nicht verteidigen zu können. Im kommunalen Crucible Theatre im englischen Sheffield wird seit 1977 jährlich die Snooker-WM ausgetragen. Und zum Auftakt des 17-tägigen Wettbewerbs hat der gesundheitlich angeschlagene belgische Weltmeister von 2023, Luca Brecel, knapp gegen den Engländer David Gilbert verloren – 9:10 nach einem Entscheidungs-Frame und vorheriger 9:6-Führung. Nach der ersten Session der Partie am Morgen hatte Brecel mit 6:3 geführt. „Es soll keine Ausrede sein – jeder wird mal krank“, sagte Brecel nach dem Spiel im „Eurosport“-Interview. „Wow – ich bin überglücklich“, sagte Gilbert nach seinem erstaunlichen Comeback. Kämpferqualitäten seien eigentlich „nicht gerade meine Stärke“.

Das polternde Teetablett

Das Jahr über Theaterspielstätte, ist das „Crucible“ von Mitte April bis Anfang Mai der Nabel der Snookerwelt, um den sich unzählige Geschichten ranken. Doch möglicherweise werden nicht mehr viele neue hinzukommen. Der Vertrag der Stadt Sheffield mit dem Weltverband läuft bis 2027. Wie es danach weitergehen könnte, davon gab es im März einen Vorgeschmack.

Es ging vor sechs Wochen um satte 500.000 US-Dollar (470.000 Euro) – mehr Geld gibt’s im Snooker nur für den WM-Titel. Der vierfache Weltmeister John Higgins, ein Schotte, hatte diesen Lohn vor Augen bei einem Showturnier für die zehn besten Snookerspieler der Welt in der saudischen Hauptstadt Riad. Er war nah dran, einen eigens für das Saudi-Event neu eingeführten goldenen Ball zu versenken. Plötzlich hielt er inne, schaute ins Publikum, schüttelte den Kopf und lachte ungläubig. In dem mit ein paar Handvoll Zuschauern besetzten Saal ließ sich ein saudischer Ehrengast ein Tablett mit Tee bringen. Es polterte, während der Sitznachbar lautstark telefonierte. Higgins – wie alle Spieler ein mucksmäuschenstilles Publikum gewohnt – verschoss gelb. Die 500.000 Dollar lösten sich in Luft auf.

Die Szene beim staatlich finanzierten „Ryadh Season World Masters of Snooker“ zeigte eine mögliche Zukunft des Snookersports auf. Es war ein hoch dotiertes Showturnier in einem Land, dessen Führung wegen Morden und Menschenrechtsverletzungen in der Kritik steht und sich mit „Sportswashing“ in ein besseres Licht rücken will. Und es interessierte kaum jemanden im Königreich und im Saal, was am Snookertisch passierte. Im August soll nun ein „Saudi Masters“ folgen, dann für 128 Spieler. Und diese Woche hat die World Snooker Tour einen WM-Sponsorenvertrag mit Saudi-Arabien bekanntgegeben.

Geht es nach dem besten Snookerspieler aller Zeiten, ist Saudi-Arabien ohnehin der perfekte Ort für die WM – wegen „der Atmosphäre und wegen der Kultur“, wie der exzentrische und widersprüchliche englische Superstar Ronnie O’Sullivan, siebenfacher Weltmeister, im März in Riad sagte. Seit dieser Woche ist klar: Auch O’Sullivan persönlich hat einen Sponsorendeal mit den Saudis: für drei Jahre, samt Spielverpflichtung, PR-Besuchen und Schulungen für Einheimische.

Die „spirituelle Heimstätte“ des Snooker

Würden O’Sullivans Wünsche wahr, wäre die WM 2024, zum 48. Mal im „Crucible “ ausgetragen, also eine der letzten ihrer Art. Dabei sehen viele Snookerfans das „Crucible“ so, wie es der „Master of Ceremonies“ Rob Walker vor jeder Spielrunde dort gebetsmühlenartig wiederholt: als „die spirituelle Heimstätte“ dieses Sports. Ein Betonbau mit nur 980 Sitzen in rotem Plüsch, wo die Zuschauer in den ersten Reihen so nah am Tisch sitzen, dass sie den Spielern den Queue entreißen könnten. Dem Australier Neil Robertson, Weltmeister von 2010, gefiel diese Enge lange Zeit nicht. Er fühle sich im „Crucible“ unwohl, sagte er, bevor ihm 2022 dort ein „Maximum“ gelang, eine perfekte 147-Punkte-Serie. Er wurde minutenlang von Fans umjubelt, die zuvor ihren Herzschlag hatten hören können. Dieses Jahr scheiterte „Robbo“ in der Qualifikation.

Enger – und intimer – geht’s kaum: „Master of Ceremonies“ Rob Walker beim Ansagen der Spieler im 980 Zuschauer fassenden „Crucib
Enger – und intimer – geht’s kaum: »Master of Ceremonies« Rob Walker beim Ansagen der Spieler im 980 Zuschauer fassenden »Crucible«.

O’Sullivan könnte dagegen im „Crucible“ erneut noch nie Dagewesenes schaffen, wenn ihm nicht Mitfavoriten wie Judd Trump (England) oder Mark Allen (Nordirland) in die Quere kommen. O’Sullivan hat in dieser Saison bereits die beiden ersten der drei Triple-Crown-Turniere, die Grand Slams im Snooker, gewonnen. Mit dann acht Weltmeistertiteln könnte er alleiniger Rekordhalter werden und auch noch alle Triple-Crown-Titel einer Saison auf sich vereinen – mit 48 Jahren. Doch O’Sullivan, den es offenbar drängt, stets das zu plappern, was die Zuhörer am meisten nervt, redete vor dem Turnier mit der britischen Zeitung „The Sun“ lieber über Saudi-Arabien oder – als Alternative – China. „Mir gefällt das Crucible nicht“, sagte O’Sullivan, der das Theater nach seinem siebten Sieg 2022 noch gefeiert hatte.

Lukas Kleckers nicht dabei

Fakt ist: Saudi-Arabien und auch China haben einfach viel mehr Geld zu bieten als die Organisatoren der meisten Turniere im Snooker-Mutterland Großbritannien, wo vor allem die Spieler abseits der absoluten Weltspitze finanziell auf keinen grünen Zweig kommen. Der deutsche Lukas Kleckers, 76. der Weltrangliste, kam in den vergangenen beiden Saisons zusammen auf 50.000 Euro Preisgeld, davon muss er leben sowie die Kosten für Reisen und Training begleichen. Für die WM ist er nicht qualifiziert, für die nächste Saison auch (noch) nicht.

„Spirituelle Heimstadt“ des Sports, „Theater der Träume“ oder auch „Kathedrale des Snooker“: Die Massen strömen in das 1971 eröf
»Spirituelle Heimstadt« des Sports, »Theater der Träume« oder auch »Kathedrale des Snooker«: Die Massen strömen in das 1971 eröffnete Theater.

Aber: O’Sullivan erntet auch Widerspruch, zum Beispiel vom vierfachen Weltmeister Mark Selby (England), für den das „Crucible“ die beste aller Spielstätten ist. Dessen Landsmann Gary Wilson, in dieser Saison zweifacher Turniersieger, sagte in dieser Woche gegenüber „Sporting Life“: Würde die Weltmeisterschaft Sheffield hinter sich lassen, „es würde den Ruf ruinieren, es würde die ganze Geschichte des Turniers ruinieren.“

Auch der „Fluch des Crucible“, der in diesem Jahr den 30-jährigen Titelträger Brecel ereilt hat, würde sich mit einem Auszug aus dem „Theater der Träume“ in Sheffield für immer in Luft auflösen.

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