Panorama Kommerz statt Christus

Tokio. Im kaum christlichen Japan ist Weihnachten eines der beliebtesten Feste des Jahres. Verliebte Paare beschenken sich gegenseitig, Eltern überhäufen ihre Kinder. Und abends gibt es frittiertes Hähnchen.

Seit Monaten hat sich Lyno Takashima auf diese Tage gefreut. „Weihnachten ist die schönste Zeit des Jahres“, strahlt sie, bepackt mit Einkaufstaschen, und marschiert durch die Ginza-dori, eine der größten Shoppingstraßen Tokios. Es wimmelt vor Kommerz: Glitzernde Fassaden überall, davor schlendern Pärchen, ausnahmsweise mal händchenhaltend, glücklich die Passagen entlang. Auch die 26-jährige Buddhistin Takashima hat seit kurzem einen neuen Freund, heute kauft sie Geschenke für ihn. „Ich schenke ihm lieber viele kleine Sachen als eine einzige große“, denkt sie laut. „So kann ich besser zeigen, wie gut ich ihn schon kenne.“ Ein Hemd, ein Buch, Parfüm, eine Sonnenbrille … Es muss schon was kosten. Gut 200 Euro will sie ausgeben. „Es gibt auch einfach so viele Produkte zu dieser Zeit!“ Beinahe noch mehr als in anderen Ländern ist Weihnachten in Japan ein Riesengeschäft. Diverse Branchen arbeiten monatelang auf die Saison hin, starten Werbekampagnen mit kitschigen Liebesbotschaften, designen eigens Mode, die nur für wenige Wochen aktuell bleibt, machen alle möglichen Weihnachtsangebote. Eine religiöse Anknüpfung gibt es nicht, einen gesetzlichen Feiertag ebenso wenig. Fast alle Japaner sehen sich dem Shinto und dem Buddhismus zugehörig, nur zwei Prozent sind Christen. Weihnachten wurde trotzdem populär, als sich das Land in den Boomjahren der 1980er nach Trends aus der weiten Welt umsah, die heimische Kaufkraft zudem hoch war. Unternehmen vermarkteten Weihnachten aggressiv als das große Schenken – ähnlich wie es Blumen- und Schokoladenverkäufern zuvor beim Valentinstag gelungen war, an dem Frauen ihren Männern eine Aufmerksamkeit machen, und einen Monat später beim „White Day“, wenn sich die Herren revanchieren müssen. Das passt zum Land. Im stark auf Harmonie und Würdigung bedachten sozialen Leben Japans spielen Geschenke eine wichtige Rolle. Wer verreist, sollte den Daheimgebliebenen etwa immer ein „omiyage“ mitbringen, ein Andenken. Gastgeschenke sind üblich, und auch zu allen möglichen Anlässen wird etwas geschenkt. Oft ist dabei die Verpackung ebenso wichtig wie der Inhalt. „Ich verpacke jedes Geschenk einzeln“, sagt Lyno Takashima , als sie zufrieden aus einem Laden kommt mit Parfüm für ihren Freund. „Ich weiß noch nicht, ob er die Geschenke vor meinen Augen öffnen wird. Und so sieht er auf jeden Fall, dass ich viele verschiedene Ideen hatte.“ Was ihm gefallen könnte, hat sie recherchiert wie üblich: „Es gibt Hitlisten der beliebtesten Geschenke der Saison. Das ist immer ein guter Anhaltspunkt.“ Im Gegensatz zu westlichen Ländern ist Weihnachten in Japan also quasi ganz offiziell ein rein kommerzielles Spektakel. Kindern ist mittlerweile auch die Geschichte vom Weihnachtsmann geläufig, sodass der Nachwuchs so lange beschenkt wird, wie er an den weißbärtigen Typen im roten Mantel glaubt. Eltern bekommen aber nichts von ihren Kindern. Da die Jüngeren kaum viel Geld für Präsente ausgeben würden, macht kaum ein größeres Geschäft entsprechende Angebote – und so gibt es diese Tradition einfach nicht. Denn in Japan bestimmt eben nicht der kulturelle Hintergrund, was zu Weihnachten angesagt ist, sondern findige Geschäftemacher tun das. So schaffte es der US-amerikanische Fast-Food-Konzern Kentucky Fried Chicken (KFC) vor 40 Jahren, kurz nach Markteintritt im Land, den Japanern beizubringen, es sei eine ur-weihnachtliche Sitte, zu Heiligabend frittiertes Hühnchen aus einem Pappkarton zu essen. Bis heute zieht diese Masche, die Umsätze von KFC liegen in Japan um die Weihnachtszeit um die Hälfte höher als sonst im Jahr. „So endet der perfekte Tag“, findet auch Lyno Takashima. „Erst treffen wir uns nach der Arbeit in einem Café, tauschen Geschenke aus. Dann machen wir einen Spaziergang und am Abend bestellen wir uns Hühnchen auf unser Hotelzimmer.“ Die Hotels sind übrigens Monate im Voraus ausgebucht, für all die Pärchen, die an diesem Abend, an dem es nicht um Gott, höchstens um japanisch interpretierte Nächstenliebe geht, ja irgendwo bleiben müssen.

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