Ludwigshafen Grimms Märchen

«Ludwigshafen.» Es ist ein fester Händedruck. Ein packender. Ein vereinnahmender. Es ist ein Händedruck, der einiges über einen Menschen aussagt. Es ist der Händedruck von Philipp Grimm. Philipp Grimm ist Handballer der TSG Ludwigshafen-Friesenheim. Er ist nicht irgendein Handballer. Er ist ein ganz besonderer. Philipp Grimm ist seit vier Jahren Kapitän – und damit nach Uli Spettmann und Benny Matschke erst der dritte in den vergangenen zwei Jahrzehnten. Philipp Grimm ist außerdem aktuell der dienstälteste Spieler beim Handball-Zweitligisten – zusammen mit Torwart Kevin Klier. Grimm kam 2007 vom Drittligisten Groß-Bieberau. Es war der Beginn eines Friesenheimer Märchens. Philipp Grimm war 22 Jahre alt. Trainer Thomas König wollte den Linksaußen unbedingt haben. „Die TSG hatte mir das attraktivste Angebot unterbreitet. Es war eine erstklassige Adresse. Klangvolle Namen wie Lew Woronin spielten dort“, erinnert sich Grimm. Es brauchte nicht lange und Grimm hatte sich zu einem Führungsspieler entwickelt. Es gibt zwei Möglichkeiten, ein Führungsspieler zu werden: Entweder man hat herausragende spielerische Fähigkeiten oder man verschafft sich über seine menschliche Art den Respekt in der Mannschaft. Grimm hatte beides. „Philipp war in seinem Kopf voll entspannt. Er konnte sich total auf ein Spiel konzentrieren. Das machte ihn so stark. Ich hatte immer gedacht, dass die TSG Friesenheim nur ein Sprungbrett für Philipp sein wird und er nach zwei Jahren ein Angebot eines Top-Klubs bekommen würde“, erzählt Lew Woronin. Woronin, Olympiasieger (2000), Weltmeister (1997) und Europameister (1996) mit Russland, war für den jungen Grimm ein Idol. „Er hat mich geprägt“, sagt Grimm, „er hat sich viel mit mir beschäftigt.“ Woronin hat – wie alle anderen Wegbegleiter auch – Philipp Grimm als einen lustigen, unbekümmerten und ehrlichen Menschen kennengelernt. Ehrlichkeit ist eines der Attribute, die immer wieder fallen, wenn Freunde, Trainer und Mitspieler sich über Grimm äußern. „Er ist absolut gradlinig. Man weiß immer, woran man ist. Philipp scheut sich nie, Entscheidungen zu fällen. Er wollte immer Verantwortung übernehmen. Er hatte nie Probleme mit Stresssituationen“, beschreibt Trainer Ben Matschke seinen Kapitän. Matschke ist ein Freund von Grimm. Beide teilten sich das Zimmer bei Auswärtsspielen oder in Trainingslagern. Beide wärmten sich immer zusammen auf und hatten das gleiche Ritual. Für Grimm war es daher eine glückliche Fügung, dass Matschke 2015 Trainer in Friesenheim wurde, als König nach neun Jahren die TSG verließ. Das galt aber auch für Matschke. „Philipp war mein Seismograph in der Mannschaft“, sagt Matschke. Philipp Grimm war ein Eckpfeiler für die TSG Friesenheim. Bis auf seine erste und letzte Saison, war er immer mit um die 200 Toren pro Saison der beste Werfer. Im ersten Jahr war Nico Kibat, diese Runde Patrick Weber erfolgreicher. Die Trefferquote kommt nicht von ungefähr. Grimm hatte ein enormes Wurfrepertoire, ein ganz besonderes Händchen – und er war nervenstark und ehrgeizig. Grimm kann nicht verlieren. Nach Niederlagen kann die Laune schon mal in den Keller absacken. Aber schon nach wenigen Augenblicken kommt die Frohnatur wieder zum Vorschein. Denn vom Naturell her ist Grimm ein lustiger, ein positiver Mensch. Er hat immer dafür gesorgt, dass die neuen Spieler schnell integriert waren. Grimm ist auch für fast jeden Unfug zu haben. So stolzierte er bei einer Abschlussfahrt Ende der 1990er Jahre im Borat-Mankini am Strand herum. Borat ist eine Figur des britischen Komikers Sacha Noam Baron Cohen und wurde auch durch seinen Badeanzug bekannt. Mit einem anderen Mitspieler wollte er an einem ersten Weihnachtstag eigentlich nur ein Bierchen trinken gehen. Es wurden dann mehr und die beiden torkelten direkt von der Zechtour ins Training. Oder: In den Anfangsjahren bei der TSG besuchte Grimm mit seinem Freund Felix Kossler immer die Studentennacht in Mainz. Die war immer mittwochs. „Donnerstags beim Videoschauen sagte Woronin ab und an, dass Philipp nach Bier stinkt“, plauderte Kossler aus dem Nähkästchen. Solche Touren schmälerten jedoch nie die Leistung Grimms. Nur drei Spiele in zehn Jahren hat Grimm verpasst. „Davon war ich eine Partie gesperrt“, betont er. Philipp Grimm war immer ein Spieler, der vorneweg ging. Er schonte sich nie. Er schleppte sich mit Blessuren ins Training, biss auf die Zähne – alles für die TSG Friesenheim. „Ich hatte manche Spiele mit Schmerzen bestritten, da wären andere nicht einmal aufgelaufen“, sagt Grimm. Warum hat Philipp Grimm solche Opfer gebracht? Weil es für ihn selbstverständlich war, für die Mannschaft zu kämpfen, bis zu einem gewissen Grad Schmerzen zu ertragen. Nicht umsonst wurde er im Team „Doktor Wahnsinn“ genannt. Doch ernsthaft verletzt war Grimm nie. Da hörte er in seinen Körper hinein und hatte ein glückliches Händchen. Philipp Grimm ist aber auch ein sehr treuer Mensch. Seine Familie bedeutet ihm sehr viel. War das mit ein Grund, warum Philipp Grimm nie die TSG Friesenheim verlassen hat? Ich bin vom Grundnaturell her ein Mensch, der bleibt, wenn es ihm irgendwo gefällt. Bei der TSG hat alles gepasst. Meine Eltern wohnen 90 Kilometer entfernt. Ja, das war ein Grund, warum ich geblieben bin. Viele Mitspieler sagen auch, in Friesenheim herrscht ein besonderer Geist. Oh ja. Es gibt drei Dinge, die für mich entscheidend in Friesenheim waren: die Mannschaft, der Spaß im Team und dass uns der Verein es ermöglicht hat, nebenher ordentlich zu studieren oder zu arbeiten. Ich glaube nicht, dass es in Deutschland noch so eine Mannschaft gibt, die so einen Zusammenhalt hat. Die letzten zwei Jahre hatten wir klasse Typen in der Mannschaft, coole Typen. Fällt es Ihnen da nicht schwer, aufzuhören? Es wird mir sehr schwer fallen, die Mannschaft nicht mehr zu sehen. Ich möchte gerne noch einmal die Woche mittrainieren. Ich freue mich aber auch, mehr Zeit für die Familie, für mich und meine Freundin Martina zu haben. Ich muss nun aber erst einmal lernen, was ich mit der ganzen Zeit anfangen soll. Es wird ein Einschnitt im Leben von Philipp Grimm, wenn er morgen ab 18 Uhr sein letztes Spiel für „seine“ TSG Friesenheim bestreitet. Bislang bestimmte der Handball und die Arbeit seinen Alltag. Um 7 Uhr in der Früh verließ der Diplom-Mechatroniker seine Wohnung in Ludwigshafen. Um 20.30 Uhr kam er zurück. Das ging viele Jahre Tag für Tag so. Grimm musste bei Auswärtsspielen Urlaub nehmen. Die Belastung wurde irgendwann zu viel. Daher kam die Entscheidung, aufzuhören. Es war allerdings kein Kurzschluss. Grimm hat sich diesen Schritt gut überlegt, so wie er über viele andere Dinge im Leben und Sport intensiv nachgedacht hat. So auch über eine Anfrage der TSG. Der Verein liebäugelt damit, Grimm an den Klub zu binden und ihm eine Funktion zu geben. Der Abschied morgen wird emotional werden. Ein überdimensionales Trikot von Philipp Grimm wird neben den Hemden von Uli Spettmann, Stephan Pfeiffer und Günter Stürm aufgehängt. Es werden Tränen fließen. Wohl ganz bestimmt bei der Familie Grimm. Vater Josef und Mutter Bärbel waren bei jedem Heimspiel in der Ludwigshafener Friedrich-Ebert-Halle, zuletzt sogar mit den Enkeln Liselotte und Ole. Schwester Stephanie fieberte auch immer mit. Nun, plötzlich, wird ihr Sohn Philipp nicht mehr spielen. Ein seltsamer Gedanke. Vielleicht kullern auch Tränen bei Philipp Grimm. Er ist ein Mensch, der Gefühle zeigt. Doch geweint hat er wegen des Handballs bislang nur zweimal in seinem Leben, erzählt er. „Ich war vier Jahre alt, als ich erstmals ins Handballtraining ging. Als meine Mama mich dann alleine im Training ließ, flossen Tränen“, erinnert sich Grimm. Das zweite Mal war 2009 in Hannover. Die TSG Friesenheim hatte eine Sekunde vor Spielende den entscheidenden Treffer bekommen, der den erstmaligen Aufstiegstraum in die Bundesliga jäh und bitter platzen ließ. Ein Jahr später dann stieg die TSG in die Bundesliga auf. 2014 folgte der zweite Aufstieg. Immer hatte Grimm seine Hand im Spiel. Und vielleicht klappt es ja morgen zum dritten Mal. Es wäre ein krönender Abschluss für den Kapitän der TSG Friesenheim. Es wäre ein wunderbares Schlusskapitel in Grimms Friesenheimer Märchen.

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