Kreis Südliche Weinstraße Pflegemutter von 18 Kindern

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Die Frühlingssonne scheint in die große Küche der Beckers, in der gleich das Mittagessen für sechs Personen zubereitet wird. Jessica sitzt in ihrem Rollstuhl und spielt mit der Murmelbahn, Alexandra ist, wie jeden Tag, bei Krankengymnastik und Ergotherapie, Ruth und Frederick kommen bald aus der Schule. Ein Besuch in der Großfamilie.

„Wir sind ein ganz normales Familienunternehmen“, sagt Barbara Becker, die nie verheiratet war und zusammen mit ihrer Adoptivtochter Sabine das „Unternehmen“ führt, zu dem auch drei Katzen, Hund Pitu und Papagei Coco gehören. Der Alltag der Beckers ist für Außenstehende alles andere als gewöhnlich. Pflegetochter Jessica ist 33 Jahre alt, geistig und körperlich eingeschränkt und auf den Rollstuhl angewiesen, Alexandra hat ebenfalls eine geistige Behinderung. Mit sieben Jahren kam Jessica zu Barbara Becker, im Alter von fünf Monaten Alexandra. Seit fast 40 Jahren betreut die 73-Jährige Pflegekinder, deren Start ins Leben meist durch schwere Misshandlungen oder untragbare Familienverhältnisse geprägt war. 18 Pflegekinder sind es in den vielen Jahren gewesen, Jessica und Alexandra sind geblieben. Auch Sabine Becker, die als Pflegekind ebenfalls mit fünf Monaten in die Familie kam und die Barbara Becker nach deren Volljährigkeit adoptiert hat. Sabine Becker lebt mit ihren Kindern, der 14-jährigen Ruth und dem 16-jährigen Frederick mit im Haus, die beiden sind ein eingespieltes Team. Vor sechs Uhr stehen die beiden morgens auf und kümmern sich manchmal rund um die Uhr um die beiden erwachsenen Pflegekinder. „Jessica braucht Hilfe bei der Körperpflege, das dauert rund eine Stunde, Alexandra kann es alleine, ich flechte ihr nur die Zöpfe“, erzählt Barbara Becker aus dem Alltag. Für Jessica muss auch wegen ihrer Allergien ihr eigenes Essen gekocht werden. Ihre Lieblingsspeise sind Nudeln mit Birnendicksaft und Apfelmus. Die beiden jungen Frauen schlafen im Erdgeschoss in Hörweite von Barbara Becker, wenn sie nachts Hilfe brauchen. Jessica versteht alles und spricht, ihre Leidenschaft ist das puzzeln. „200 Teile müssen es schon sein, die schafft sie, sie hat auch einen sehr guten Orientierungssinn“, erzählen Mutter und Tochter. Alexandra kann lesen und schreiben und geht gerne mit Hund Pitu spazieren. Wegen krampfartiger Anfälle muss sie einen Helm tragen, weshalb sie manchmal von Kindern und Jugendlichen gehänselt wird. „Die beiden sind vom Entwicklungsstand Kleinkinder, aber mit ganz besonderen Fähigkeiten“, sagt ihre Pflegemutter. Wenn Alexandra wegen ihrer Erkrankung manchmal beim Spaziergang hinfällt, wartet Pitu neben ihr, bis sie wieder aufsteht. Barbara Becker ist die Ruhe selbst, trotz des für Außenstehende aufreibenden Tagesablaufs, der Freizeit nicht zulässt. Es käme für sie nicht infrage, ihre beiden Mädels in eine Einrichtung zu geben. „Wenn wir Termine haben, springen manchmal Freunde ein“, erzählen die beiden Frauen, die so selbstverständlich diese Familie managen. Auch wenn das Geld gerade so reicht. Die 46-jährige Tochter Sabine kann wegen einer missglückten Knieoperation in ihrem Beruf als Krankenschwester nicht mehr arbeiten. Um die Familienkasse etwas aufzubessern, verkaufen die beiden Frauen zum Beispiel bei verkaufsoffenen Sonntagen in Bad Bergzabern Marmelade, die Barbara Becker kocht, und bewirtschaften den großen Garten, in dem Obst und Gemüse wachsen. Sie hat allein für Erdbeeren 23 Marmeladenrezepte. Viel Obst bekomme sie aus der Umgebung geschenkt, sagt sie. Gelernt hat Barbara Becker Kinderpflegerin, seit 1963 lebt sie in der Pfalz und war unter anderem sieben Jahre Leiterin des Kindergartens in Dörrenbach. Bis vor elf Jahren war auch die Mutter von Barbara Becker Teil der Familie. „Sie hat noch mit 80 Jahren für alle gekocht“, erzählt ihre Tochter. Vor rund zehn Jahren zog die Familie dann nach Rechtenbach. „Mich um Kinder zu kümmern, habe ich mir ganz früh in den Kopf gesetzt, seit ich bei einem Konfirmandenausflug in einem Kinderdorf war“, erinnert sich die Pflegemutter von 18 Kindern. Es waren nicht die leichten Fälle, die sie aufgenommen hat. „Die Kinder waren teilweise schwer geschädigt, auch durch Misshandlungen in der Familie, viele sind später leider abgerutscht, viele konnten gar keinen Bezug mehr aufbauen“, erzählt sie. Für die Zukunft haben die Beckers bescheidene Wünsche. Einen Urlaub mit allen in einem Feriendorf bei Lörrach, wo sie früher oft waren. Aber dafür reicht das Geld nicht. (pfn)

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