Frankenthal „Zwischen Ruinen Murmeln gespielt“

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„Stürmische Zeiten“ hat Thekla Carola Wied am Samstag ins Foyer des Wormser Theaters gebracht. Mal gab die Schauspielerin einen ironischen Feuerwehrmann, mal verzauberte sie als mürrischer Mann, der nicht einschlafen kann. Mit Gedichten und Erzählungen ließ sie ein ganzes Jahrhundert Revue passieren, während das Ensemble Oboe in Jazz die Geschichten mit passender Musik untermauerte.

Mit „Blick zurück nach vorn“ hat Thekla Carola Wied ihr neues Programm, mit dem sie in Worms Premiere feierte, untertitelt. Die Idee für die musikalische Lesung beruhe auf einer einfachen Erkenntnis: „Unser aktuelles Gedächtnis besteht aus zwei Generationen: der eigenen und der Elterngeneration“, berichtet die Berlinerin. Und allein schon das Geburtsjahr ihrer Mutter, 1914, und ihr eigenes, 1944, markierten „wahrlich stürmische Zeiten“, die von zwei Kriegen geprägt waren. Wied startet ihre Reise in das vergangene Jahrhundert mit Erzählungen von Klabund, einem „zu Unrecht vergessenen Dichter, dessen Bücher von den Nazis verbrannt wurden“, so Wied. In „Einmal aber wird es sein“ thematisiert der 1928 mit 38 Jahren an Tuberkulose gestorbene Klabund die Vergänglichkeit des Lebens, während der Platz unter der „Briefmarke auf der Feldpostkarte“ einer Ehefrau enthüllt, was ihrem Mann im Krieg Schreckliches widerfahren ist. Amüsant und dennoch voller nachdenklicher Momente ist „Ich baumle mit de Beene“, das Wied kokett mit herrlich Berlinerischem Akzent vorträgt. Das ist nicht die einzige Einlage, in der die Schauspielerin ihre Berliner Schnauze benutzt und damit das Publikum bestens unterhält. Denn statt nur zu lesen, gibt sie bei manchen Stücken Kostproben ihres schauspielerischen Könnens zum Besten und sorgt somit für ein kurzweiliges Vergnügen. Als mürrischer Herr Wendriner, der in einer Geschichte von Kurt Tucholsky nicht einschlafen kann, rutscht sie unruhig in einem Sessel hin und her und sinniert dabei über den Tag und das Leben. Äußerst amüsant ist Wieds Interpretation von Peter Ensikats „Feuerwehrmann“. Mit entsprechender Uniformmütze stolziert sie neckisch hin und her und lässt sich herrlich ironisch über das DDR-System aus, in dem sich Geheimnisse mittels ihrem Bekanntheitsgrad tarnen und ein „böser Blick“ eines Uniformierten zu dessen Arbeitsaufgaben gehört. Bis zur Gründung der DDR beleuchtet Wied noch mit Mascha Kaleko und Lise Meitner kritisch die schrecklichen Ereignisse des Nazi-Regimes, während die Musiker Manuel Munzlinger (Oboe, Gitarre) und Hawo Bleich (Piano) den Übergang vom Ersten zum Zweiten Weltkrieg mit Schuberts „Ave Maria“ einläuten. An die Nachkriegsjahre, geprägt von den Trümmerfrauen, zu denen auch Wieds Oma gehörte, hat die Schauspielerin zahlreiche Erinnerungen, etwa „wie wir zwischen den Ruinen Murmeln gespielt haben“. Besonders die 50er-Jahre haben bei der Berlinerin bleibende Eindrücke hinterlassen. „Trotz Armut, Kälte und Hunger herrschte eine hoffnungsvolle Energie aufs Leben.“ Einige Anwesende im gut besuchten Foyer nicken zustimmend und schmunzeln bei Günther Grass’ Erinnerungen an den ersten Fernseher, der die Menschen vor Schaufenstern zusammenbrachte, um gemeinsam das Programm zu schauen. Den sich anbahnenden Aufschwung unterstreichen die Musiker mit einem schwungvollen „Bumble Boogie“ und dem „Lied vom Wirtschaftswunder“, das Wied gemeinsam mit den Musikern singt. „Wir üben das noch“, kommentiert Wied die Premiere schmunzelnd – dabei ist die Einlage durchaus passabel. Mit einem ironischen Blick von Martin Suter auf die heutige Generation Burnout und der auch noch nach mehr als 2500 Jahren gültigen Erkenntnis des griechischen Dramatikers Euripides, dass Glück und Leid ungerecht verteilt sind, beendet Wied ihre stürmische Reise durch ein bewegendes Jahrhundert. Mit dem stürmischen Applaus der Zuschauer, die lautstark eine Zugabe fordern, hatte die charmante Schauspielerin gar nicht gerechnet, sodass sie die Musiker diese Aufgabe übernehmen lässt. Auf Wunsch der Anwesenden spielen sie noch einmal „Wann wird es mal wieder richtig Sommer“ und sorgen damit für einen gelungenen Abschluss eines informativen und unterhaltsamen Abends.

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