Rheinpfalz Bonjour Tristesse im Elsass

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Wenn schon kein Film aus der Pfalz in Cannes zu sehen, dann immerhin einer aus der französischen Nachbarregion, dem Elsass: Die subtile Komödie „Asphalte“ (Asphalt) mit Isabelle Huppert, die in einer Sondervorführung außer Konkurrenz läuft, wurde vom 15. Dezember bis 6. Februar in Colmar gedreht, an einem Ort, den es heute so gar nicht mehr gibt.

Das triste sechsstöckige leerstehende Wohnhaus in der Rue de Hunawihr in der tristen Siedlung mit dem hübschen Namen Bel-Air, in dem fast die ganze Handlung spielt, wurde 2012/13 schon teilweise abgerissen. In der übriggebliebenen Haushälfte drehte Regisseur Samuel Benchetrit (41) eine anrührende Geschichte von sechs Menschen auf verlorenem Posten. Sie sind alle einsam, irgendwie von der Welt vergessen und erleben eine kleine Freude, die ihnen wieder Hoffnung gibt. Es fängt damit an, dass der Fahrstuhl kaputt ist, die Hausverwaltung sich weigert, einen neuen einzubauen, weil ja bald abgerissen wird, und eine Mieterversammlung einberufen wird, in der alle sich am Kauf des neuen Fahrstuhl beteiligten wollen, bis auf Sternkowitz. „Ich wohne im ersten Stock und benutze ich nicht“, sagt er. Man einigt sich, dass er nicht zahlt und nicht nutzt. Doch am Tag nach dem Beschluss strapaziert Sternkowitz den Heimtrainer so sehr, dass er eine Weile nicht mehr laufen kann, im Rollstuhl sitzt und den Aufzug nutzt, der seltsamerweise zehn Etagen hochfährt, obwohl das Haus nur sechs hat. Auf solche Details kommt es an, sie machen den Film erst liebenswert. Bei seinen nächtlichen Rollstuhlausflügen zum nahen Krankenhaus, wo Sternkowitz Chipstüten aus dem Automaten holt, lernt er eine Krankenschwester (Valerie Bruni-Tedeschi) kennen. Er verliebt sich in sie, behauptet Fotograf zu sein, weil er nicht zugeben kann, dass er nichts macht – sonst würde er ja auch nicht in der heruntergekommen Sozialwohnung leben. Also macht er am folgenden Tag Fotos mit der Polaroid vom Himmel und vom Fernsehen, um Reisen in ferne Länder zu simulieren. Doch als er sie ihr zeigen will, bleibt er erst einmal im nun neuen Fahrstuhl stecken, befreit sich mühsam und läuft noch mühsamer zum Krankenhaus, wo es fast schon zum Happy End kommt. In der zweiten Geschichte landet ein Astronaut dank falsch programmierter Landekapsel erst auf dem Dach des Gebäudes, dann bei der arabischstämmigen Madame Hamida in der Wohnung, wo sie kein Englisch und er kein Französisch kann. Spontane Telefonate mit der Nasa führen dazu, dass der Gestrandete zwei Tage warten muss, bis er abgeholt wird und solange die Kleidung von dem im Knast sitzenden Sohn Hamida und leckeres Couscous bekommt und nur ungern wieder weggeht. Und dann ist da noch die Schauspielerin (Isabelle Huppert), die ihre Umzugskisten nicht auspacken will, weil doch alles hier nur vorübergehend ist. Sie freundet sich mit dem offenbar arbeitslosen, aber hilfsbereiten jungen Mann von gegenüber an, dem sie ihre alten schwarz-weiß-Filme auf Video vorspielt. Fast alles in den drei verschränkt erzählten Geschichten, die auf Benchetrits fünfbändigem autobiografischen Roman „Die Asphaltchroniken“ beruhen, wird mit den Blicken und dem Outfit der sechs Personen und der städtischen Ödnis gesagt. Alle sind einsame Verlierer, die sich einrichten, so gut es geht. Dank der Paare, die sich finden, bekommt die Tristesse wieder einen Lichtstrahl. Schön auf den Punkt gebracht sind auch die kargen Dialoge, die lakonisch inszeniert sind und Benchetrit mit seinen fünften Spielfilm als Nachfolger von Aki Kaurismäki einführen, auch wenn sein Film eher Hellgrau in Mausgrau als bonbonbunt ist. Und das traurige Haus eigentlich der siebte Hauptdarsteller ist. Und der akustische Running-Gag, ein geheimnisvolles Geräusch, der achte. Die (natürlich banale) Auflösung des Geräuschs in der letzten Einstellung sorgt noch für den sonst in solchen absurden Komödien gerne vergessenen Schlusslacher. Zwar ist Benchetrit nicht in Colmar aufgewachsen, aber in einer ähnlichen Sozialsiedlung. Dass er in Colmar drehte, ist natürlich nicht dem Zufall, sondern der elsässischen Filmförderung zu verdanken. Ob das Wohnhaus mit der halb angerissenen Haushälfte noch steht, bleibt zu überprüfen. Der schöne Film hat zwar einen Verleih, aber noch keinen Kinostart.

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