Nigeria Schach als Lichtblick im Slum

Babtunde Onakoya mit Schützlingen beim Schachspielen.
Babtunde Onakoya mit Schützlingen beim Schachspielen.

Wer in den Armutsvierteln Nigerias aufwächst, hat wenig Chancen. Die Organisation „Chess in Slums“ will das ändern, indem sie armen Kindern das Strategiespiel beibringt.

Konzentriert beugt sich Junior Monday über sein Schachbrett auf einem wackligen Plastiktisch. Im Schatten einer maroden Brücke, inmitten von Müll, Scherben und Staub, spielt er umringt von einer Gruppe Kinder in Oshodi, einem der gefährlichsten Armenviertel der nigerianischen Millionenmetropole Lagos. Die schwüle Hitze und der Gestank scheinen Junior nicht zu stören. Auch das Dröhnen der Züge hinter ihm nicht. Der 15-Jährige kennt es nicht anders. Der Slum mitsamt Dreck, Drogen und Gewalt ist sein Zuhause.

Wie Hunderttausende andere Slumkinder im westafrikanischen Nigeria hatte Junior kaum Hoffnung auf ein besseres Leben – bis er auf Babtunde Onakoya und seine Initiative „Chess in Slums“ („Schach in Armutsvierteln“) traf. Jedes Wochenende bringt Onakoyas Team in Oshodi und zwei weiteren Slums in Lagos armen Kindern, die oft weder lesen noch schreiben können, das Strategiespiel bei.

Ganz klein anfangen

Onakoya will so das Potenzial der Kinder erschließen und zeigen, dass man Großes erreichen kann, auch wenn man ganz klein anfängt. „Selbst ein hungriges, zerlumptes Kind aus dem Slum kann Schach mit all seinen Feinheiten meistern – ein Spiel, das überall auf der Welt hoch angesehen ist“, sagt er.

Onakoya weiß, wovon er spricht. Statt zur Schule zu gehen, hing er als Kind im Barbiergeschäft eines Nachbarn herum, in dem Kunden sich die Zeit mit Schachspielen vertrieben. Onakoya lernte vom Zuschauen. Bald war er so gut, dass er Erwachsene herausfordern konnte. Das Brettspiel wurde sein Zufluchtsort.

Hilfe befreundeter Schachspieler

Jahre später wurde Onakoya nationaler Meister und gewann ein Stipendium, das ihm half, die Schule zu beenden und Informatik zu studieren. „Schach hat mich von der Straße geholt und mir das Leben gerettet“, sagt Onakoya rückblickend. Vor vier Jahren beschloss er, etwas an die Gesellschaft zurückzugeben. Er bat befreundete Schachspieler um Hilfe und gründete „Chess in Slums“ als gemeinnützige Organisation. Am Straßenrand stellten sie an Wochenenden ein paar alte Schachbretter auf und zogen immer mehr neugierige (und auch gelangweilte) Kinder an.

„Das Potenzial der Kinder hat mich umgehauen. Das ist oft die traurige Geschichte Afrikas: Das Potenzial ist da, aber es fehlt an Möglichkeiten“, sagt Onakoya. Die Mädchen und Jungen hätten unglaublich schnell gelernt. Innerhalb weniger Wochen hätten die ersten an kleinen Turnieren teilgenommen.

Zum Stipendium nach Kanada

Seit Gründung der Initiative 2018 hat Onakoya mehr als 500 Kindern Schach beigebracht. Mehr als 30 besonders talentierte Kinder haben Stipendien erhalten, für die Schulbildung bis hin zu einem Studium. Natürlich wird daher auch in Lagos am Mittwoch der Internationale Schachtag gefeiert – irgendwie.

„Ich war fasziniert von der Art und Weise, wie die Teile angeordnet waren, wie sie aussahen“, erinnert sich der 17-jährige Ayomide Ojo an seinen ersten Tag bei „Chess in Slums“. Ayomides Vorbild ist der 16-jährige Michael Omoyele Obafemi, der dank „Chess in Slums“ Nigeria bei der Afrikanischen Jugendmeisterschaft im benachbarten Ghana vertrat und zahlreiche Turniere gewann. Auf Michael wartet nun ein Uni-Stipendium in Kanada, wo er sich zum Wirtschaftsprüfer ausbilden lassen will.

Erfolg hat sich herumgesprochen

Seine Eltern und sechs Geschwister setzten auf ihn, erzählt Michael. Sein Vater sei arbeitslos, seine Mutter schlage sich als Tagelöhnerin durch. „Meine Eltern beten jeden Tag für mich und zählen die Tage, bis ich nach Kanada reisen und dann unsere Familie retten kann“, berichtet er stolz.

Der Erfolg von „Chess in Slums“ hat sich weit herumgesprochen – bis in die USA. So finanziert nun Tyrone Davis III, der amerikanische Schachmeister und Präsident des Schachclubs am renommierten Massachusetts Institute of Technology in Cambridge, ein Stipendium für einen von Onakoyas Schülern.

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