Meinung Polen: Regieren mit Hürden

Polens Ministerpräsident Donald Tusk ist bemüht, die Beziehungen seines Landes zur EU zu verbessern.
Polens Ministerpräsident Donald Tusk ist bemüht, die Beziehungen seines Landes zur EU zu verbessern.

Nach gut 100 Tagen fällt die Bilanz der neuen polnischen Regierung durchwachsen aus.

Polens liberalkonservative Bürgerplattform (PO) hat es sich selbst eingebrockt: „100 konkrete Maßnahmen in den ersten 100 Tagen“ hatte sie im Wahlkampf 2023 versprochen. Jetzt wetteifern alle darum, der Mitte-Links-Regierung die Rechnung vorzulegen.

Die erste Bilanz fällt eher durchwachsen aus. Zwar hatte Staatspräsident Andrzej Duda am 13. Dezember 2023 die neue Regierung vereidigt, die dann auch gut vorbereitet sofort durchstartete. Doch kaum jemand in der neuen Regierung konnte damals ahnen, dass Duda fast alle Gesetze des neuen Parlaments sabotieren würde – entweder durch ein Veto oder durch die Weiterleitung des Gesetzes an das von der nationalpopulistischen Recht und Gerechtigkeit (PiS) kontrollierte Verfassungstribunal.

Polens Frauen sind am meisten enttäuscht

Von den versprochenen 100 Maßnahmen sind daher gerade mal ein gutes Dutzend tatsächlich umgesetzt. Die 100 Tage haben sich auf 500 verlängert. Dann wird Duda abtreten müssen, und in den Präsidentschaftswahlen gewinnt, so das Kalkül von Regierungschef Donald Tusk, jemand aus seiner Mitte-Links-Koalition.

Am meisten enttäuscht nach den ersten 100 Tagen sind Polens Frauen. Die massive Einschränkung der Frauenrechte durch die PiS, die Verschärfung des polnischen Abtreibungsrechts durch das von der PiS kontrollierte Verfassungsgericht und die systematische Verschlechterung der Einkommenssituation in typischen Frauenberufen hatten die Polinnen nicht länger hinnehmen wollen. Mit 74 Prozent Wahlbeteiligung brachen sie bei der Parlamentswahl jeden bisherigen Rekord.

Abtreibungsgesetz soll liberalisiert werden

Schon in den ersten Wochen brachte die Neue Linke zwei Gesetzesentwürfe zur Liberalisierung des Abtreibungsgesetzes in den Sejm, das polnische Abgeordnetenhaus, ein. Doch Szymon Holownia, Sejm-Vorsitzender und einer der Chefs des konservativen Dritten Wegs, ließ die Gesetzesentwürfe vor sich hin dümpeln. Nach Protesten der Frauen und der Neuen Linken reichte die Bürgerkoalition von Donald Tusk ein weiteres Gesetzesprojekt ein. Schließlich reichte auch der Dritte Weg ein Projekt ein, wobei Holownia aber die Debatte über das Abtreibungsgesetz erneut verschob. Angeblich sei vor den Kommunalwahlen kein guter Termin, um über „weltanschauliche Themen“ zu debattieren.

Viele Wählerinnen in Polen fürchten nun, dass es für die Männer an der Macht nie einen guten Termin geben werde, um über Frauenrechte zu debattieren und diese wieder herzustellen. Denn schon im Juni sind die Wahlen zur Europäischen Parlament. Das sei wahrscheinlich auch wieder kein guter Termin, um über Frauenrechte zu debattieren, wurde gemutmaßt. Holownia legte daraufhin den Tag für die Debatte verbindlich auf den 11. April fest.

Einige wichtige Versprechen eingelöst

Eingelöst hat die Mitte-Links-Koalition aber auch einige wichtige Versprechen: Die Zeit der PiS-Propagandasender TVP und Polskie Radio ist vorbei, der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist zurück. Polen ist durch die aktive Außenpolitik der neuen Regierung wieder auf dem internationalen Parkett präsent. Auch in der Hilfe für die kriegsgebeutelte Ukraine ist Polen seit Kurzem wieder vorne dabei.

In Brüssel gelang es Donald Tusk, die wegen mangelnder Rechtsstaatlichkeit in Polen gesperrten EU-Zuschüsse loszueisen. Zwar konnte die Demontage von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit durch die PiS noch nicht vollständig rückgängig gemacht werden, aber das Maßnahmenpaket, das das absehbare Ende der Präsidentschaft Duda als positive Zäsur sieht, macht nun die Auszahlung von Milliarden Euro an Polen möglich.

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