Politik Opposition ist Mist!

Das Spitzenduo auf Wahlkampftour in Berlin: Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt.
Das Spitzenduo auf Wahlkampftour in Berlin: Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt.

Bündnis 90/Die Grünen erzielen in Umfragen vor der Bundestagswahl am 24. September nur Werte zwischen sechs und neun Prozent. Warum eigentlich?, fragen sich nicht bloß Parteianhänger mit Blick auf die Themen, die in jüngster Zeit die Schlagzeilen beherrscht haben.

Ist Miami das neue Fukushima? Treibt die mehrfache Hurrikan-Katastrophe in den USA, deren Ausmaße der Klimawandel wohl verstärkt hat, der Ökopartei Wähler zu? So wie dies 2011 nach dem Atomunglück im japanischen Fukushima bei den Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg der Fall war? Möglich ist das. Sicher ist es nicht. Seit Monaten dümpelt die Bundespartei in Umfragen bei sechs bis neun Prozent herum. Und dies, obgleich „grüne“ Themen die Diskussionen in jüngster Zeit mitbestimmt haben. Dazu zählt der Dieselskandal, verbunden mit der Debatte um eine Verkehrswende und die Zukunft des Verbrennungsmotors. Indes illustriert genau dieses Beispiel, warum die Grünen derartige Schwierigkeiten haben, auf einen grünen Zweig zu kommen. So griff Cem Özdemir, der die Partei zusammen mit Katrin Göring-Eckardt im Wahlkampf anführt, irgendwann doch noch beherzt zu. Er erklärte das Aus für den Verbrennungsmotor im Jahr 2030 zur Koalitionsfrage. Nur um einen Tag später zurückzurudern: Voraussetzung einer Koalition – mit wem auch immer – sei „der Einstieg in den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor im Jahr 2030“. Das ist Verbalakrobatik. Und Realpolitik. Einmal mehr haben sich die Grünen in einem Knäuel aus Ansprüchen, Machtfrage und Angst verheddert. Die Machtfrage: Die Grünen sind bewusst ohne Koalitionsaussage in den Wahlkampf gestartet. Sie wissen, dass es keine Chance gibt, zusammen mit der schwächelnden SPD erneut eine Zweierkombi zu bilden. Bleiben also schwarz-grüne Farbspiele oder Konstellationen mit einem Tupfer Gelb (FDP). In jedem Fall würden sich die Grünen mit einer Koalitionshürde „Aus für den Verbrennungsmotor 2030“ selbst aus dem Rennen nehmen. Denn keiner der potenziellen Partner würde darauf eingehen. Deshalb Özdemirs Rückzieher. Die Grünen denken nicht mehr in erster Linie visionär. Sie wollen wieder an die Regierung. Getreu dem 2004 von Franz Müntefering verkündeten Motto für die SPD „Opposition ist Mist!“ Özdemir ist aber auch deswegen zurückgeschreckt, weil er dabei war, ein Angstgespenst der Grünen wiederauferstehen zu lassen: als Verbotspartei wahrgenommen zu werden. Diese Angst speist sich aus den Erfahrungen im Wahlkampf 2013. Damals setzten sich die Grünen für einen fleischlosen Tag in den Kantinen dieser Republik ein. Sie propagierten den „Veggie-Day“. Das war eine Steilvorlage für den politischen Gegner. Der hängte den Grünen flugs das Image einer Verbots- und Spaßbremsenpartei an. Die Angst, irgendwo erneut in die „Verbotsfalle“ zu tappen, lähmt Grünen-Spitzenpolitiker bis heute. Paradoxerweise steht den Grünen jedoch auch der eigene Erfolg im Weg. Nicht zuletzt durch ihren Einfluss hat sich die Bundesrepublik verändert. Atomausstieg, mehr Strom aus Wind und Sonne – auf vielen Gebieten haben sich die Grünen mit ihren Einstellungen letztlich durchgesetzt. Jüngster Erfolg: Der Bundestag hat für die rechtliche Gleichstellung der Homoehe mit der Ehe von Mann und Frau gestimmt. Doch der rückblickend zu erkennende Erfolg der Bündnisgrünen ist zugleich eine Bürde für ihre Zukunft. Denn die Veränderungen haben dazu geführt, dass die einstigen Streitthemen, die für die Grünen und ihre Wähler identitätsstiftend waren, aus dem öffentlichen Diskurs verschwunden sind. Politiker anderer Parteien haben sich grüner Themen „bemächtigt“ – oder füllen diese qua Amt aus. Beispiel Klimaschutz: Medienwirksam besucht Bundeskanzlerin Angela Merkel Welt-Klimagipfel oder gibt dem klimaskeptischen US-Präsidenten Donald Trump Kontra. Kritisieren Göring-Eckardt, Özdemir und Co. Details oder die Umsetzung der Klimaschutzpläne, schalten viele Deutsche ab. Und das ist vielleicht das Gefährlichste für die Grünen in einer Zeit, in der sich Mediennutzer wegklicken, wenn sie etwas langweilt: Die Äußerungen ihres Spitzenpersonals sind vorhersehbar. Ob das Gesagte vielleicht richtig und wichtig ist, interessiert da erst einmal weniger. Gefährlich für die Grünen ist auch, dass die Wähler Lösungen für Probleme der inneren Sicherheit nicht unbedingt mit ihnen in Verbindung bringen. Dabei ist das Thema „Innere Sicherheit“ bei diesem Urnengang sicherlich mit wahlentscheidend. Viele Menschen haben Angst vor Terror, Angst vor Einbrüchen, Angst vor unkontrollierter Einwanderung. Die Bündnisgrünen haben reagiert. Auch sie fordern seit einiger Zeit mehr Polizisten. Doch ihre weiterführenden Analysen, beispielsweise wie Terrorismus entsteht und was man dagegen tun könnte, lassen sich nicht zu Slogans und einfachen Handlungsanweisungen verdichten, mit denen die Konkurrenz derweil punktet. Gefühlt stehen die Grünen, gegründet als Anti-Parteien-Partei, sowieso noch immer für Distanz zu staatlicher Macht. Das kommt nicht gut an in einer Zeit, in der viele Bürger weniger staatliche Willkür als vielmehr staatliche Ohnmacht kritisieren. Die Serie Die bisherigen Teile der Serie „Parteienprofile“ sind erschienen am 11. September (AfD), am 12. September (Linke) und am 13. September (FDP).

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