Politik Nicht garstig, nicht gefällig

Wie so oft kann man es so oder anders sehen. Zum Beispiel das Motto dieses FDP-Parteitages. Es lautet „Schauen wir nicht länger zu.“ Das ist eine klare Botschaft. Das Problem ist die Grafik, die den Schriftzug ziert: ein stilisiertes Feuer, wie man es von Schildern kennt, die vor Gefahren warnen. „Feuer?“, runzelt Volker Wissing die Stirn. „Das ist kein Feuer, sondern die Flamme der Freiheit, wie sie auch die Freiheitsstatue hochhält“, sagt der Mainzer Wirtschaftsminister, einer der 45 Delegierten aus Rheinland-Pfalz. Feuer oder Freiheitslicht – unschwer drängt sich das Bild auf von einer Partei, die für etwas brennt. Und sie brennt vor allem darauf, wieder in den Bundestag zurückzukehren. 2013, bei der vorigen Wahl, ist sie in einer bis dato noch nicht da gewesenen Deutlichkeit von den Wählern für internen Streit und Erfolglosigkeit abgestraft worden. Parteichef Christian Lindner wollte für dieses Ereignis die Schuld nicht bei anderen suchen – verantwortlich sei die FDP allein gewesen, räumt er ein. „1315 Tage“ sei man nunmehr in der außerparlamentarischen Opposition, hat Lindner sogar ausgerechnet. Nun kehre die FDP als „wettergegerbte“ Partei zurück. Lindner, der 38-jährige Star der Partei, ist unangefochten, es gibt keinen, der ihm den Chefposten streitig machen würde. In seiner Rede, bevor er mit 91 Prozent wiedergewählt wird, wirkt er wie ein Anti-Westerwelle. Er peitscht den Saal nicht auf, selbst wenn er scharfzüngig die politischen Gegner attackiert. Er wirkt kämpferisch, aber nicht verbissen, er hat Humor, gelegentlich wagt er es, ironisch zu sein. Lindner redet weder garstig noch gefällig. Zwischendurch kokettiert er mit seiner Jugend, wiewohl seine Biografie das auch zulässt. Lindner war jüngster Abgeordneter im Landtag von Nordrhein-Westfalen, jüngster Generalsekretär der FDP und ist nun jüngster Parteichef. Dem Wiedereinzug in den Bundestag ordnet er alles unter. Ob er bei einem Misserfolg im September der Politik treu bleiben würde, bezweifeln viele aus seinem Umfeld. Sich selbst verglich Lindner in einem Interview mit einem „Rennpferd in einer Box“. Es ist bemerkenswert, wie ehrfürchtig unter den Delegierten über Lindner gesprochen wird. Hans-Artur Bauckhage, ehemaliger FDP-Wirtschaftsminister in Rheinland-Pfalz, sieht ihn als einen der zwei besten Vorsitzenden der FDP. Der andere sei Walter Scheel gewesen. „Lindner hat Unglaubliches geleistet“, sagt Bauckhage, der Lindners Vorgänger Guido Westerwelle in dessen Amtszeit stets kritisch gesehen hatte. Die Chancen auf eine Rückkehr in den Bundestag stehen nicht schlecht für die Partei, zumindest hat sich die FDP in den Umfragen bei sechs Prozent stabilisiert. Das ist nicht viel, aber es würde reichen, um im Bund wieder ein Wort mitzureden. Umfragen zufolge können die Liberalen bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein in acht Tagen und eine Woche später in Nordrhein-Westfalen mit Ergebnissen deutlich über der Fünf-Prozent-Hürde rechnen. Auch in Nordrhein-Westfalen tritt Lindner wie bei der Bundestagswahl als Spitzenkandidat an. „Wir haben die Chance auf ein Comeback, aber wir wollen sie nicht verspielen, indem wir uns zum nützlichen Idioten für beliebige Mehrheiten machen lassen“, wehrt Lindner jegliche Koalitionsspekulationen ab. Die FDP pocht auf Eigenständigkeit, sie will „nicht Beiboot oder Mehrheitsbeschaffer einer anderen Partei“ sein. Lindner weiß, dass er damit Unsicherheiten in den eigenen Reihen erzeugt. Sein Rat lautet: Konzentriert euch auf unsere Botschaft. Und die ist vor allem die Vision von einem Staat, der nicht Aufpasser oder Erziehungsberechtigter ist, sondern Problemlöser. Der Regelungswut und der Bürokratie, schon seit jeher verpönt bei den Liberalen, sagt Lindner einmal mehr den Kampf an. Und stärker als andere Parteien rückt die FDP das Thema Bildung nach vorne. Deutschland müsse bei seinen Bildungsinvestitionen an die Spitze der führenden Wirtschaftsnationen. Dafür müsse das Kooperationsverbot zwischen Bund und Kommunen in der Schulpolitik wegfallen. „Die Leute verstehen nicht, dass Wolfgang Schäuble in Burundi und Botswana Schulen saniert, dass unsere Verfassung ihm das aber in Böblingen und in Bonn untersagt.“ Überhaupt die große Koalition: Sie hat nach Lindners Worten „nichts“ getan, trotz bewegter Zeiten, lautet der pauschale Vorwurf des FDP-Chefs. Eine „Politik des Auf-der-Stelle-Tretens“, sei das. „Kostet mehr als sie bringt – das gilt für die Maut, könnte aber auch das Motto der großen Koalition sein.“ Vier Jahre seien eine verlorene Zeit gewesen, ätzt Lindner, Deutschland bewege sich „wie ein Schlafwandler in der Komfortzone“. Aber nicht nur die politische Konkurrenz beschäftigt den Parteichef. In den eigenen Reihen wird eine vom Bundesvorstand vorgeschlagene Änderung in der Einwanderungspolitik gestritten. Nach den Vorstellungen der FDP soll die Doppelstaatlichkeit nicht mehr in die dritte Generation weitervererbt werden. Den Doppelpass teilweise zur Disposition stellen? Das geht manchen Liberalen gegen den Strich und könnte heute am zweiten Tag die Debatte um das Wahlprogramm bestimmen. Volker Wissing vermag keine Gefahr in diesem Thema zu erkennen. „Die Partei wird das in aller Ruhe diskutieren“, ist sich der FDP-Mann aus der Pfalz sicher. Er selbst sei „tiefenentspannt“. Bei den Präsidiumswahlen schneidet Wissing besser ab als beim letzten Mal. Wissing erhält 88 Prozent (81 Prozent vor zwei Jahren) – wohl auch ein Dank für sein Geschick, die FDP in Rheinland-Pfalz zur Regierungspartei zu machen.

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