Politik EU-Umsiedlungsprogramm für Flüchtlinge nur zögerlich umgesetzt

Bis September 2017 sollen 100 000 Flüchtlinge aus Griechenland und Italien in andere Teile der Europäischen Union umgesiedelt werden. Doch die jüngsten Zahlen sind ernüchternd. Tatsächlich sind erst 18 500 Asylsuchende verlegt worden. Auch Deutschland kommt seinen Verpflichtungen nicht nach.

Die Sprache ist ziemlich eindeutig: „Die Umsiedlung, wie vom Europäischen Rat vorgesehen, ist rechtlich verbindlich.“ So steht es im jüngsten Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission zum Stand der Flüchtlingsumsiedlung in Europa. Offenbar sah sich die EU-Kommission zu dieser Erinnerung gedrängt. Denn nur wenige der 28 EU-Länder halten sich an die juristisch bindenden Vorgaben, die sie selbst beschlossen haben. Österreich, zum Beispiel, müsste demnach 1953 Flüchtlinge aufnehmen, Polen 6182, Ungarn 1294. Doch diese drei Länder haben bisher keinen einzigen Asylsuchenden aus diesem Programm aufgenommen. „Das stellt einen Verstoß gegen ihre rechtlichen Verpflichtungen, die Zusagen gegenüber Griechenland und Italien und die gerechte Aufteilung der Verantwortung dar“, urteilt die EU-Kommission. Brüssel hat daher den Fortschrittsbericht insbesondere jenen Ländern gewidmet, die sich nicht oder nur unzureichend an die Vereinbarungen halten. In dem 20-seitigen Bericht (mit Anhängen) stellt die Kommission immer wieder Polen, Ungarn und Österreich an den Pranger. Immerhin hat Österreich inzwischen zugesagt, 50 Personen aufzunehmen – von 1953. Tschechien hat bisher nur zwölf Schutzsuchende einreisen lassen, es hätten 2691 sein müssen. Das Umverteilungs- und das Neuansiedlungsprogramm sind zwei EU-Regelungen – und seit jeher Zankäpfel. Ziel des Umverteilungsprogramms aus dem Jahr 2015 ist es, Flüchtlinge aus den EU-Erstkontaktländern Griechenland und Italien nach einem festgelegten Schlüssel auf die EU-Mitgliedstaaten zu verteilen. Es sollte den Migrationsdruck von diesen beiden Mittelmeerländern nehmen. Und natürlich auch deren Sorge, dass die Flüchtlinge bei ihnen hängen bleiben, wenn – wie vom Dublin-Abkommen verlangt – das Asylverfahren am Ankunftsort organisiert wird. 100.000 Flüchtlinge mit guter Bleibeperspektive sollten daher zügig umverteilt werden auf die EU sowie auf Länder, die sich an dem Programm beteiligen (Norwegen, die Schweiz, Liechtenstein, Island). Demnach ist Deutschland beispielsweise verpflichtet, bis September 27.536 Migranten von Griechenland und Italien zu übernehmen, auf Frankreich kommen 19.714, auf Luxemburg 557. Mit dem Neuansiedlungsprogramm wollte die EU Fluchtländer wie die Türkei, Jordanien oder Libanon entlasten. Denn diese Länder tragen die Hauptlast der syrischen und irakischen Kriegsfolgen. Die Türkei beherbergte Mitte 2016 nach UN-Angaben 2,7 Millionen Flüchtlinge, die Regierung Erdoğan sprach gelegentlich von drei Millionen. Ferner sollte durch legale Migrationswege den Schleppern die Geschäftsgrundlage entzogen werden – zumindest ein bisschen. Doch die Regelungen werden nur sehr schleppend umgesetzt. Zwar hält sich die Türkei an das Abkommen mit Brüssel. Im Oktober 2015 landeten täglich bis zu 10.000 neue Flüchtlinge von der Türkei aus auf den griechischen Inseln an, inzwischen sind es nach EU-Angaben durchschnittlich nur noch 43 pro Tag (Stand: 12. Mai). Im EU-Türkei-Abkommen hat sich Ankara verpflichtet, das Ablegen von Flüchtlingsbooten von der türkischen Küste zu verhindern. Auch Deutschland setzt das Umsiedlungsprogramm nur zögerlich um. Aus Griechenland und Italien wurden bisher 4478 Migranten umgesiedelt, bis Ende September müssen es 27.536 sein. Das wird kaum gelingen. Bisher ist die Bundesregierung dafür von der EU-Kommission nicht getadelt worden. Denn Berlin konnte in Brüssel geltend machen, insbesondere im Jahr 2015 unter starkem Migrationsdruck gestanden zu haben. Immerhin hat Deutschland seit September 2016 sein Engagement verstärkt. Die Bundesregierung hat sowohl Griechenland als auch Italien zugesagt, ihnen jeweils 500 Migranten pro Monat abzunehmen. Doch mit diesem Aufnahmetempo ist die Quote (27.536) nicht zu erreichen. In einer Parlamentarischen Anfrage wollten die Grünen nun von der Bundesregierung wissen, wie viele Asylsuchende bis September aus Griechenland umgesiedelt werden. Antwort des Auswärtigen Amtes: „Hierüber ist noch nicht abschließend entschieden worden. Die Bundesregierung beabsichtigt, Griechenland zunächst weiterhin monatlich bis zu 500 Plätze für Relocation zur Verfügung zu stellen.“ „Es ist beschämend, wie die Bundesregierung sich weigert, den verbindlichen und überfälligen EU-Beschluss zur Umverteilung von Geflüchteten aus Griechenland umzusetzen und damit trotz ihres Wissens um die prekäre Lage Tausender Schutzsuchender insbesondere auf den griechischen Inseln die Verantwortung alleine auf Griechenland abwälzt“, schimpft die Bundestagsabgeordnete Luise Amtsberg. Sie ist flüchtlingspolitische Fraktionssprecherin der Grünen. Auch andere große EU-Länder wie Frankreich, Spanien oder die Niederlande halten sich kaum an die Vereinbarung. Frankreich hat bisher 3404 Flüchtlinge aufgenommen (statt 19.714), Spanien 886 (statt 9323), die Niederlande haben für 1776 Platz gemacht (statt für 5947). Dabei steht insbesondere Italien derzeit unter Druck. In den ersten vier Monaten hat die europäische Grenzschutzagentur Frontex dort 37.200 Ankünfte gemeldet – 33 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum 2016. Die Flüchtlinge kommen insbesondere aus Nigeria, Bangladesch und der Elfenbeinküste. Nach Frontex-Angaben schnellen auch die Zahlen von Asylbegehrenden aus Marokko und Pakistan in die Höhe. Viele dieser Schutzsuchenden hätten bisher in Libyen gearbeitet, würden das Land aber aufgrund der dort zunehmenden Instabilität Richtung Europa verlassen, so Frontex. Nicht ganz so ernüchternd ist die bisherige Bilanz beim Neuansiedlungsprogramm. Im Juli 2015 hatten die EU-Länder zugesagt, rund 22.500 Flüchtlinge aus anderen Weltregionen aufzunehmen, beispielsweise direkt aus der Türkei, Jordanien, Libanon oder Irak. Davon sind inzwischen 16.163 (Stand: 12. Mai) in Europa. Deutschland hat die zugesagten 1600 Flüchtlingsplätze bereitgestellt, plus 429 weitere.

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