Politik Ein verfallenes Schloss und ein tollkühner Plan

Tore, Türme, Herrschaftshäuser, Stallungen, ein Park: das Schloss, das François I. vor einem halben Jahrtausend im nordfranzösis
Tore, Türme, Herrschaftshäuser, Stallungen, ein Park: das Schloss, das François I. vor einem halben Jahrtausend im nordfranzösischen Villers-Cotterêts errichten ließ.

Wer davor steht, sieht es nicht mehr. Festungsmauern verstellen den Blick aufs Schloss. Aus der Ferne freilich überkommt den Betrachter ein ehrfürchtiger Schauder. Tore, Türme, Herrschaftshäuser, Stallungen, drum herum ein Park: Das Schloss, das François I. vor einem halben Jahrtausend im nordfranzösischen Villers-Cotterêts errichten ließ, scheint dem Volk noch immer bedeuten zu wollen: Frankreich ist ein großes, ein mächtiges Land. Der heutige Regent des Landes weiß monumentale Größe ebenfalls zu schätzen. Staatschef Emmanuel Macron setzt auf die Kraft der Symbole. Er macht Politik nicht nur, er inszeniert sie. Und er hat Großes vor. Eingebunden in ein starkes Europa soll Frankreich sich der Welt öffnen, den Herausforderungen der Globalisierung stellen, den Großmächten Paroli bieten. Das ist Macrons Botschaft. Wo ließe sie sich besser verkünden als in einem grandiosen Schloss? Kaum im Amt, lud Macron Moskaus Staatschef Wladimir Putin nach Versailles ein, schritt mit ihm durch die Gemächer des Sonnenkönigs. Später empfing der Franzose dort die Wirtschaftsführer dieser Welt. „France is back“, Frankreich ist wieder da, eröffnete der Staatschef den versammelten Spitzenmanagern. Und der Präsident hat nachgelegt, das Augenmerk auf ein weiteres Schloss gelenkt – jenes von Villers-Cotterêts eben. Auf dem flachen Land, wo sich nicht wenige Franzosen vom Fortschritt abgehängt fühlen, ihr Heil in nationaler Abgrenzung suchen, dekretiert der Staatschef Weltläufigkeit. Das Schloss soll als Zentrum der Frankophonie, der französischsprachigen Welt, Furore machen. Der 11.000 Einwohner zählende Ort ist auserkoren, als Mekka französischsprachiger Künstler, Literaten oder auch Professoren globale Bedeutung zu erlangen. Ob Belgier, Schweizer, Marokkaner, Senegalesen, Haitianer oder Kanadier: Wer der Sprache Molières huldigt, darf in der nordfranzösischen Provinz auf eine Heimstatt hoffen. Eines Tages könne das Französische das Englische als Weltsprache ablösen, hat Macron hinzugefügt. Jacques Krabal (69) ist Feuer und Flamme. Der aus der Nähe von Villers-Cotterêts stammende Abgeordnete der Regierungspartei La République en Marche (LREM) erläutert im Gewölbekeller eines Cafés den Plan des Präsidenten. Auf mindestens 200 Millionen Euro schätzt er die Kosten. Aber das sei gut angelegtes Geld, versichert er. Die von Armut und Analphabetismus gezeichnete Region werde von der Strahlkraft der Kultur profitieren. Noch gibt es keine Baupläne. Auch von Aufbruchsstimmung ist in Villers-Cotterêts nicht viel zu spüren. „So ein Schloss ändert an meinem Leben rein gar nichts“, sagt Ismail Jelidi. Der arbeitslose Tunesier (19) steht vor dem „Balto“, einer von arabischen Einwanderern und ihren Nachfahren geschätzten Kneipe. Der Marokkaner Mohamed Amoult (47) gesellt sich hinzu. Er sieht das ähnlich. Die Jobs, die das neue Schloss bringe, seien nichts für Leute wie ihn. Auch in einem Weltzentrum der Frankophonie würden arabische Immigranten bei der Arbeitssuche benachteiligt. Auch die politisch links beheimatete Gewerkschaft CGT kann sich über den Villers-Cotterêts winkenden Fortschritt nicht freuen. Die Arbeiterorganisation residiert am Ortsrand. Eine knarrende Holztreppe führt in ein Dachgeschosszimmer. Fünf Männer und eine Frau sitzen dort an Plastiktischen. Maximilian Wypart (30), der Wortführer, beziffert die Arbeitslosigkeit im Ort mit rund zehn Prozent. Landesdurchschnitt ist das. Die Renovierung des Schlosses und die zu erwartende Belebung des Fremdenverkehrs brächten vor allem prekäre, schlecht bezahlte Jobs, sagt Wypart. Bauarbeiter, Kellner oder Zimmermädchen werde man einstellen, zum Mindestlohn oder noch darunter. Selbst Magali Thierry (50), aus Toulon stammende Südfranzösin mit sonnigem Gemüt, meldet Bedenken an. Gewiss, die Besitzerin eines Ladens, der außer Nahrungsmitteln so ziemlich alles feilbietet, was das Leben schöner macht, begrüßt die Initiative des Präsidenten. „Wenn sie das Schloss renovieren, hier ein Weltzentrum der Frankophonie entsteht, ist das wunderbar“, sagt sie. Mehr Kunden bringe das, mehr Umsatz, mehr Leben. Nach einer Pause fügt sie hinzu: „Die Politiker haben uns hier schon so viel versprochen, wir sind schon so oft enttäuscht worden.“ Es ist ein geradezu tollkühner Plan, den der Präsident verfolgt. Das aus der Ferne grandios wirkende Schloss, erweist sich als Ruine. Die Tore sind verriegelt. So verlockend die Vision von einer frankophonen Weltgemeinschaft auch anmutet, sie vermag nicht darüber hinwegzutäuschen, dass es bereits vor der eigenen Haustür an sozialem Zusammenhalt fehlt. Die sich durch Frankreich ziehenden gesellschaftlichen Risse, die Kluft zwischen Gewinnern und Verlierern der Globalisierung zumal, sie öffnet sich auch in Villers-Cotterêts. „Ich zeige sie Ihnen“, sagt Philippe Collard. Der 52-Jährige lässt den Motor seines Geländewagens an, fährt im Schritttempo durch die Stadt, wo er zur Welt kam, aufwuchs und noch heute lebt. Collard zählt zu den Gewinnern der Moderne. Chef des 60 Mitarbeiter beschäftigenden Recycling-Unternehmens Biome ist er. Es stellt Anlagen her, mit denen sich aus Abfällen Biogas gewinnen lässt. Die Konditorei Delabruyère kommt in Sicht. „Geschäftsräume zu vermieten“, steht an der Tür. Die Aussichten, dass jemand den Laden übernehme, seien gering, glaubt Collard. Der Konkurrenz der am Stadtrand entstandenen Supermärkte und dem wachsenden Online-Handel könne man als Einzelhändler schwer standhalten. Im Stadtzentrum angelangt, biegt er in die Rue des Frères Dreyfus ein. „Sieht aus wie eine Straße, ist aber ein sozialer Graben“, sagt Collard. Zur Linken ragen Mietskasernen empor, zur Rechten schmucke Bürgerhäuser. In den Wohnblöcken leben Sozialhilfeempfänger, viele mit Einwanderungshintergrund, in den mit Stuckgirlanden und Familienwappen geschmückten Bürgerhäusern alteingesessene Franzosen. Eine die Straße säumende Mauer trennt die ungleichen Anrainer. Die bis zu vier Meter hohe Barriere aus Backsteinen und Zement nehme den Wohlhabenden die Angst vor den Armen, sagt Collard. Der Unternehmer attestiert Macron „guten Willen, bewundernswerte Entschlusskraft“. Aber dass Frankreich wie Phoenix aus der Asche auferstanden sei, könne man nun wirklich nicht behaupten. Es gebe ermutigende Signale, es tue sich etwas. Was dabei herauskomme, sei offen. Collard wartet ab, hält sich mit Investitionen und Neueinstellungen zurück. Wirtschaftsexperten mahnen ebenfalls zur Vorsicht. Einhellig versichern sie, von Macron auf den Weg gebrachte Neuerungen wie die Reform des Arbeitsmarktes, die weitgehende Abschaffung der Vermögenssteuer oder auch neue Anreize, Kapital von Sparkonten abzuziehen und in Unternehmen zu investieren, würden frühestens in zwei Jahren Wirkung zeigen. Für die Politik gilt das nicht. In der Parteienlandschaft steht schon jetzt kein Stein mehr auf dem anderen. Wie im Rest des Landes stecken Konservative und Sozialisten auch in Villers-Cotterêts in der Identitätskrise. Macrons LREM hat den ehemals großen Volksparteien angestammtes Terrain streitig gemacht, ihnen Führungspolitiker abgeworben. In Villers-Cotterêts gehen die Verwerfungen noch weiter. Dort scheinen auch die Rechtspopulisten des Front National (FN) in den Sog des weltoffenen Erneuerers zu geraten. Der die Geschicke der Stadt seit 2014 bestimmende FN-Bürgermeister Franck Briffaut (60) hat dem Staatschef offen Anerkennung gezollt. Die Frankophonie zu fördern, sei eine tolle Sache, lässt Briffaut wissen. Macron meine es ehrlich. Und die Markenzeichen des Front National, die nationale Nabelschau, die Fremdenfeindlichkeit? Falls der Bürgermeister dazu neigt, zeigt er es zumindest nicht. Dass der Bürgermeister Macrons Pläne begrüßt, heißt indes nicht, dass er von ihrem Gelingen überzeugt wäre. Wie viele Mitbürger bekundet auch er Zweifel. „Mir kommt das vor wie eine Herzverpflanzung“, sagt Briffaut. Dass das neue Organ anwachse, sei alles andere als sicher. Er befürchte, dass das Ganze mit einer riesigen Enttäuschung ende. Dass der Front National von ihr profitieren würde, sagt er nicht.

Findet die Pläne des Präsidenten wunderbar: Magali Thierry.
Findet die Pläne des Präsidenten wunderbar: Magali Thierry.
Sieht Macrons Pläne skeptisch: Mohamed Amoult.
Sieht Macrons Pläne skeptisch: Mohamed Amoult.
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