Politik Am Limit

Alle Augen richten sich auf Angela Merkel. „Sie gilt als die mächtigste Frau der Welt. Sie muss auf europäischer und internationaler Ebene nach Lösungen suchen. Der Zustrom kann so nicht bleiben.“ Mit dieser Forderung an die Bundeskanzlerin erreichte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) jüngst bundesweite Aufmerksamkeit. Freundlicher als der CSU-Polterer Horst Seehofer, aber bestimmt signalisierte Dreyer, die Grenze des Machbaren sei erreicht. Eine Woche und einen Talkshow-Auftritt Merkels später ist klar: Der Zustrom reißt vorerst nicht ab. Für Rheinland-Pfalz heißt das, es werden weiter Flüchtlinge eintreffen, aktuell sind es 500 bis 800 am Tag. Seit Jahresbeginn kamen mehr als 30.000, ein Drittel davon allein im September. Mit jeder neuen Erstaufnahmeeinrichtung, mit jeder Zuweisung in die Kommunen kommen die Menschen aus Syrien, Afghanistan, Eritrea oder den Westbalkanstaaten in der Wirklichkeit der Rheinland-Pfälzer an, sind nicht mehr nur Fernsehbilder. Genau an diesem Punkt beginnt die Verantwortung der Landespolitik. Sie muss gestalten und verwalten, sie muss auch mit den Unzulänglichkeiten des Bundes umgehen: Tausende Flüchtlinge warten seit Monaten auf eine Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, ob sie bleiben dürfen oder nicht. Wird Rheinland-Pfalz seiner Verantwortung gerecht? Bedingt. Kein Flüchtling ist obdachlos. Die Versorgung stemmt das Land zusammen mit den vielen Haupt- und Ehrenamtlichen der Hilfsorganisationen. Die Notfall-Unterbringung in unbeheizten Zelten und in Hallen, in denen Pritsche an Pritsche steht, entspricht jedoch keinem humanitären Standard. Woran es hapert, ist die Registrierung. Die Ankommenden werden von Hand gezählt. Genau weiß niemand, wer kommt. Das Ministerium kann auch nicht angeben, wie viele Flüchtlinge im September das Land wieder verlassen haben. Bei der fieberhaften Suche nach neuen Unterkünften werden inzwischen die kommunal Verantwortlichen nur noch informiert, nicht eingebunden. Als sich der Bürgermeister der Naheweingemeinde Langenlonsheim gegen 2400 Flüchtlinge für sein 4000-Seelen-Dorf wehrte, hat sich die Ministerpräsidentin eingeschaltet. Die Anzahl wurde auf unter 1000 reduziert. Interessant: Öffentliche Kritik an der Kommune kam nur von der Piratenpartei. Dreyer hat die Situation gerettet, die Platzprobleme ihrer Integrationsministerin Irene Alt (Grüne) aber verschärft. Im Westerwald bei Daaden kündigt sich ebenfalls Widerstand an. Dort sollen 5000 Flüchtlinge in die Erstaufnahme. Dreyer hat schon vor Wochen ins Krisenmanagement des Grünen-Ministeriums eingegriffen und den „Führungsstab Flüchtlingsunterbringung“ eingerichtet. An dessen Spitze steht der Vizechef des Landessozialamts, Detlef Placzek – ein SPD-Mann. Aber blass bleibt Dreyers Zukunftsvision. Sie verspricht sozialen Wohnungsbau für alle, verweist auf ovale Tische, diverse Runden, Gremien und Programme, die die Flüchtlinge in Arbeit bringen sollen, und auf den kostenlosen Kindergartenbesuch. Niemand werde in Zukunft weniger haben, verspricht sie. Den Begriff „Willkommenskultur“ hat sie jüngst nicht mehr benutzt. Die Frage, ob die Stimmung in der Bevölkerung kippt, beantwortet Dreyer aber mit „Nein“. Sie zeichnet das Bild der „offenen, kooperativen und ehrenamtlich engagierten Rheinland-Pfälzer“. CDU-Chefin Klöckner ist anders unterwegs. Sie spricht von „besorgten Bürgern, vor allem Frauen“, die sich bei der CDU meldeten. Ihre Geschichte vom verweigerten Handschlag wurde bundesweit bekannt: Beim Besuch einer Flüchtlingsunterkunft in Idar-Oberstein ließ ihr ein Imam ausrichten, er werde ihr als Frau aus religiösen Gründen nicht die Hand geben. Klöckner verzichtete auf das Treffen und sagte: „Dann ist er wohl im falschen Land.“ Inzwischen hat die CDU-Landeschefin und stellvertretende Bundesvorsitzende einen Vorschlag für ein „Integrationspflichtgesetz“ gemacht. Zuwanderer sollen verpflichtet werden, die deutsche Sprache zu lernen, und sich mit unseren Werten und den Prinzipien des Rechtsstaats vertraut zu machen. Etwa mit der Gleichberechtigung von Mann und Frau, der Religionsfreiheit und der Toleranz. Die Pflicht zur Integration nennt sie eine „Gegenleistung“. Die Flüchtlinge „erwarten ganz selbstverständlich von uns, dass wir sie aufnehmen, ihren Lebensunterhalt finanzieren, falls sie das nicht selbst können, sie medizinisch versorgen und ihre Kinder ausbilden“, heißt es in Klöckners Papier. Ihre Wortwahl ist für integrationswillige Menschen, die partout keinen Platz in einem der spärlich angebotenen Integrationskurse ergattern können, ein Schlag ins Gesicht. Während die Verfassung den Schutz suchenden Menschen Rechte gewährt, steckt in Klöckners Zungenschlag eher das Bild eines Bittstellers. Mit dem Vorschlag für ein Bundesgesetz ist Klöckner aber ebenso wie mit der Idee einer „Hausordnung Deutschland“, die in den Flüchtlingsunterkünften von Anfang an vermittelt werden soll, in Rheinland-Pfalz als einzige politisch unterwegs. Ähnliche Vorstöße gibt es von SPD-Chef Siegmar Gabriel und dem Grünen Cem Özdemir. Schon jetzt informiert die Polizei in den rheinland-pfälzischen Erstaufnahmeeinrichtungen darüber, was Polizei in einem demokratischen Land ausmacht, und sie vermittelt Verkehrsregeln. Das Grundgesetz steht nicht auf der Agenda. Die rheinland-pfälzischen Grünen sind in der Flüchtlingspolitik – ihrem ureigenen Themenfeld – vor allem mit lauten Attacken gegen Klöckner unterwegs. Sie werfen der CDU vor, am rechten Rand zu fischen und der AfD in die Hände zu spielen. Politisch arbeiten sie an der Einführung einer Gesundheitskarte für Flüchtlinge. Außerdem wollen die Grünen die Einbürgerung beschleunigen. In der Frage der sicheren Drittstaaten sind sie gegen eine Anerkennung der Westbalkanländer, der Koalitionspartner SPD ist aber dafür. Integrationsministerin Irene Alt ist rührig bei der Bewältigung der akuten Probleme, eine Idee für die Zeit danach fehlt bisher.

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