Thüringen AfD-Niederlage bei Landratswahl: Schlechte Verlierer

Sogar Thüringens CDU-Vorsitzender Mario Voigt war nach Schleiz gekommen und beglückwünschte seinen bisherigen Generalsekretär Ch
Sogar Thüringens CDU-Vorsitzender Mario Voigt war nach Schleiz gekommen und beglückwünschte seinen bisherigen Generalsekretär Christian Herrgott (rechts).

Die AfD ging zuversichtlich in die Stichwahl um das Landratsamt im Thüringer Saale-Orla-Kreis. Dennoch musste sich ihr Kandidat CDU-Mann Christia Herrgott geschlagen geben.

Die AfD zeigte sich als schlechter Verlierer. Mit „Hau ab“-Rufen wurde am Sonntagabend der gerade frisch gewählte neue Landrat Christian Herrgott (CDU) von Mitgliedern und Sympathisanten der rechtsextremen Partei im Landratsamt in Schleiz empfangen. Das Ergebnis der Landratswahl im thüringischen Saale-Orla-Kreis war denkbar knapp ausgefallen: Mit 52,4 Prozent der Stimmen setzte sich der Generalsekretär der Thüringer CDU in der Stichwahl gegen den AfD-Bewerber Uwe Thrum durch.

Der Kandidat der im Freistaat als gesichert rechtsextremistisch eingestuften Partei machte die bundesweiten Proteste gegen Rechtsextremismus, die er als „unmenschliche Kampagne“ bezeichnete, für seine Niederlage mitverantwortlich. Er behauptete sogar, der neue Landrat habe sich nun von Rot-Grün abhängig gemacht. Tatsächlich hat es eine ganz große Koalition geschafft, den nächsten Landrat mit AfD-Parteibuch zu verhindern. Die demokratischen Parteien hatten ihre Anhänger aufgerufen, den CDU-Mann zu wählen.

Gespaltener Landkreis

Der Frust der Rechtsradikalen kam nicht von ungefähr. Den ersten Wahlgang hatte Thrum mit 45,7 Prozent der Stimmen dominiert; er sah bereits wie der sichere Sieger aus. Herrgott kam lediglich auf 33,3 Prozent. Auch passte die Struktur des Saale-Orla-Kreises, der in der Nähe der nordbayerischen Stadt Hof liegt, in die migrantenfeindliche Neidkampagne der AfD. Der von Abwanderung und Überalterung geprägte Kreis zählt zu den zehn einkommensschwächsten in Deutschland. Rund 40 Prozent der Beschäftigten arbeiten im Mindestlohnsektor. Im thüringischen Nachbarkreis Sonneberg gelang es zudem der AfD im Sommer, mit Robert Sesselmann erstmals einen Landrat in Deutschland zu stellen.

Sowohl im Kreis Sonneberg, der zur länderübergreifenden Metropolregion Nürnberg gehört, wie auch jetzt im Saale-Orla-Kreis hatten Unternehmen und Sozialverbände für eine hohe Wahlbeteiligung geworben, weil sie bei einem AfD-Sieg um den Zusammenhalt der Gesellschaft fürchteten. Durch die in Ostdeutschland in den nächsten Jahren bevorstehende Verrentungswelle werden verstärkt Arbeitskräfte aus dem Ausland benötigt. Mit „Grenzen dicht“ und ähnlichen nationalistischen Parolen schade die AfD der wirtschaftlichen Entwicklung.

Glückwünsche vom Ministerpräsidenten

Die Stimmung im Landkreis sei tief gespalten, erklärte der neue Landrat Herrgott. Der Christdemokrat sieht seine Aufgabe zuallererst darin, die Menschen zusammenzuführen. Entgegen der Prognosen ist die ohnehin für Thüringer Verhältnisse hohe Wahlbeteiligung von 66 Prozent im ersten Wahlgang am Sonntag noch einmal um drei Punkte gestiegen. Davon konnte nicht nur Herrgott profitieren; auch Thrum gewann noch Stimmen dazu.

Die Landratswahl wurde in der Landeshauptstadt Erfurt aufmerksam verfolgt. Es war der letzte Stimmungstest vor den Oberbürgermeister- und Landratswahlen im Mai und der Landtagswahl am 1. September. Die demokratischen Parteien zeigten sich erleichtert, lobten das Engagement der Zivilgesellschaft. Selbst Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) gratulierte CDU-Mann Herrgott.

Die AfD nutzte die angebliche „Einheitsfront“ – eine Anspielung auf die Blockparteien zu DDR-Zeiten – für ihre Rolle als Opfer der etablierten Parteien. In Thüringen, wo der Landesverband von Björn Höcke, dem Gründer des rechtsradikalen „Flügels“ angeführt wird, ist die Partei mit Abstand stärkste politische Kraft. Der Freistaat wird aktuell von einem Minderheitskabinett aus Linken, SPD und Grünen regiert, das von der CDU mal mehr, mal weniger unterstützt wird.

Thüringer Dilemma

Vor allem in den ländlichen Regionen Thüringens hat sich die Stimmung zunehmend aufgeheizt. Oft fehlen Lehrer, Ärzte und Polizisten. Das Internet ist lahm, die Bahn auch. Nicht wenige sagen, dass die deutsche Einheit für sie oder die Region eher Nachteile gebracht habe. Abwanderung und fehlende Ausbildungsplätze haben sich auf dem Land zu einer Abwärtsspirale entwickelt. Viele Pendler stehen auf dem Weg in die großen Städte immer länger im Stau.

Die AfD knüpft an diese Gefühlslage und an die autoritäre Sozialisierung vieler Ostdeutscher geschickt an und versucht ganz gezielt, Erinnerungen an die DDR-Endzeit zu wecken: „Wir sind das Volk, aber wir werden vergessen“ lautet ihre Erzählung. Die 47,6 Prozent, die der AfD-Kandidat bei der Stichwahl holte, obwohl seine Partei vom Verfassungsschutz seit geraumer Zeit als „erwiesen rechtsextrem“ eingestuft wird, weisen auf das Dilemma hin, das bei der Landtagswahl im Herbst droht. Um die AfD von der Landesregierung in Erfurt fernzuhalten, gibt es voraussichtlich nur zwei Möglichkeiten: eine erneute, in ihren Handlungsmöglichkeiten eingeschränkte Minderheitsregierung oder ein bislang von der Bundes-CDU ausgeschlossenes Bündnis mit den Linken, also den beiden stärksten Parteien hinter der AfD.Kommentar

Knapp geschlagen: AfD-Kandidat Uwe Thrum.
Knapp geschlagen: AfD-Kandidat Uwe Thrum.
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