Politik Österreichischer Regierungschef zum Antrittsbesuch in Berlin

Unterschiede – nicht nur, was das Lebensalter angeht: Sebastian Kurz und Angela Merkel.
Unterschiede – nicht nur, was das Lebensalter angeht: Sebastian Kurz und Angela Merkel.

Bei seinem Antrittsbesuch im Berliner Kanzleramt sagt der neue österreichische Regierungschef Sebastian Kurz seiner Amtskollegin Angela Merkel eine proeuropäische Haltung zu. Sie will ihn an den Taten messen. Dennoch werden die Unterschiede mehr als deutlich.

Inzwischen achten sie in Österreich immer genauer auf die Körpersprache des jungen Kanzlers, weil sie oft mehr verrät als seine Worte es tun. Wenn Sebastian Kurz beschwichtigen, strittige Themen kleinreden oder vernebeln will, legt er die Hände ineinander wie ein Bischof. Spricht er Kritiker oder Gegner an, hebt er die Hände auf Schulterhöhe und spreizt krümmend die Finger – das nennt man in Wien die „Kurz-Kralle“. Beide Gesten sind fast schon so typisch für Kurz wie die Raute bei Angela Merkel. Zeigte Kurz bisher vor allem in der Flüchtlings- und Europapolitik der deutschen Kanzlerin die Kralle, ist er klug genug, bei seinem Berlinbesuch die Beschwichtigungsgeste vorzuziehen. Kurz weiß um Deutschlands Bedeutung als EU-Vormacht und Nachbarland. Er möchte Merkel als mächtige Verbündete für seinen Europakurs gewinnen, auch um den Reformeifer des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zu bremsen. Denn Kurz muss Rücksicht nehmen auf die mitregierende EU-feindliche FPÖ. Er ist gegen eine Vertiefung der europäischen Integration oder ein Europa der zwei Geschwindigkeiten. Stattdessen möchte er Merkel das Prinzip der Subsidiarität nahelegen: Brüssel solle sich nur um die „großen Fragen“ kümmern und die Mitgliedsländer möglichst mit Regulierungen verschonen. Was Kurz unerwähnt lässt: Subsidiarität ist für FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache nur ein anders Wort für nationale Alleingänge à la Polen und Ungarn. Die Skepsis Merkels und der Franzosen gegen die FPÖ ist daher nicht unbegründet, während Kurz so tut, als wäre die FPÖ eine Koalitionspartei wie jede andere. Es ist ein Aufeinandertreffen der Gegensätze, als Kurz im Schneetreiben von Merkel im Berliner Kanzleramt empfangen wird. Hier der gerade einmal 31-Jährige, der mit seiner rigiden Flüchtlingspolitik zu einem Hoffnungsträger europäischer Konservativer geworden ist und mit einer stramm rechten Partei eine Regierung gebildet hat; dort die 63-jährige Merkel, deren Flüchtlingspolitik einen ganzen Kontinent polarisiert hat, die sich schwer tut, eine neue Regierung zu zimmern und sich in der eigenen Partei einer Reihe aufstrebender Jungkonservativer gegenübersieht. Merkel verhehlt nicht, dass da ein Generationenwechsel im Gange ist. „Mir sind die Jüngeren genauso lieb wie die Älteren“, sagt sie, den halb so alten Kurz neben sich, „irgendwann merkt man an sich selbst, dass man hinüberrutscht zu den Älteren.“ Sie räumt ein, dass sie das Bündnis mit der FPÖ kritisch sieht, sagt Kurz aber zu, die Wiener Koalition „an ihren Taten zu messen“. Der neue Kanzler nennt es „für gute Nachbarn legitim, in dem ein oder anderen Frage unterschiedliche Positionen zu haben“. Deutlich wird das nicht nur im Streit um die deutsche Pkw-Maut, deretwegen Österreich den Europäischen Gerichtshof angerufen hat, sondern gerade in der Europapolitik. Anders als Merkels große Koalition in spe will Kurz keine voreiligen Finanzzusagen für die Zeit nach dem britischen EU-Austritt, sondern will – das Zerrbild vom Brüsseler Bürokratentum bedienend –, dass die EU erst einmal „sparsamer“ wird. In der Flüchtlingspolitik kritisiert er, dass die „Diskussion über Quoten etwas zu viel Raum einnimmt“, und verortet die Lösung bei einem besseren Außengrenzschutz und mehr Hilfe vor Ort in den Herkunftsländern. Merkel erinnert ihn anschließend daran, dass auch sie mit dem EU-Türkei-Abkommen und mehr Entwicklungshilfe auf diesen Lösungsansatz setze. Solange er noch nicht funktioniere, sei es aber „falsch“, europäische Solidarität bei der Aufnahme und Verteilung von Migranten rundheraus abzulehnen. Beide sind dennoch sichtlich bemüht, die Gemeinsamkeiten in den Vordergrund zu stellen. Was die EU-Finanzen angeht, will man sich unter den Nettozahlern eng abstimmen. Gemeinsam skeptisch ist man bezüglich des Amtes eines EU-Finanzministers, der schon lange durch die europäische Reformdebatte geistert – die künftige Struktur der Währungsunion soll den Notwendigkeiten folgen. Überhaupt bedankt sich Kurz mehrfach für „das gute Gespräch“, verspricht eine „proeuropäische Haltung“ seiner Regierung und bietet sich als „guter Brückenbauer“ in Richtung der Visegradstaaten in Osteuropa an. „Das, was ich zur Europapolitik gehört habe“, sagt wiederum Merkel, „stimmt mich zuversichtlich.“ Auf die „gute Mischung“ dessen, was jüngere und ältere Politiker nun gemeinsam erreichen wollten, komme es an.

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