Rheinpfalz Populismuswelle wird überwunden

Norbert Herhammer ist Landesvorsitzender.
Norbert Herhammer ist Landesvorsitzender.

«OTTERBERGHerr Herhammer, bei unserem Gespräch Anfang 2017 hätte ich nicht gedacht, dass mir der Fortbestand der europäischen Gemeinschaft mal Sorgen machen würde. Aber nach den jüngsten Wahlergebnissen in Polen und Ungarn scheint alles anders. Das sind nicht unsere einzigen Sorgen, aber sie gehören zu den größten. Richtig ärgerlich macht mich allerdings im Moment unsere Bundesregierung, denn sie verschläft gerade großartige Chancen zur Weiterentwicklung Europas, die so vielleicht nie wieder kommen. Die Bundestagsfraktion meiner eigenen Partei ist dabei der größte Bremsklotz. Kanzlerin Angela Merkel war ja lange Jahre nicht gerade die glühendste Europa-Verfechterin, aber ich glaube, sie hat die Zeichen der Zeit erkannt. Wir haben nach langwierigen Verhandlungen den mit Abstand europäischsten Koalitionsvertrag. Auch Koalitionsverträge sind zu erfüllen, die Koalitionäre mithin in der Pflicht. Bei der Umsetzung geben sich SPD und CDU bisher sehr zögerlich, die CSU ist schlichtweg kontraproduktiv. So warten unsere französischen Nachbarn immer noch auf eine deutsche Antwort auf die Vorschläge, die Staatspräsident Emmanuel Macron seit seiner Wahl im Mai 2017 formuliert hat. Das heißt, die französische Regierung ist europafreundlicher als die deutsche? Noch vor etwa einem Jahr hat es in Frankreich ja ganz anders ausgesehen. Macron hat Europa mit einem dezidiert europäischen Wahlkampf die rechtsextreme Marine LePen vom Hals gehalten. Er verdient es, mindestens vernünftige Gegenvorschläge auf seine Anregungen zur demokratischen Weiterentwicklung der EU zu erhalten. Die Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion, eine gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik und eine einheitliche Linie in der Asylpolitik gehören dazu. Macrons Vorschläge zur Eurozone – gemeinsamer Finanzminister, gemeinsame Institutionen – sollten wir nicht einfach zurückweisen, sondern weiterentwickeln. Seine Gegner hierzulande werfen ihm vor, Europa auf Kosten der Bundesrepublik voranbringen zu wollen. Die Behauptung, dass Macron nur ans deutsche Geld will, um seine Ideen zu verwirklichen, ist grober Unfug. Denn mit seiner Reform des Arbeitsmarkts leistet er bereits den wichtigsten Beitrag für Europa. Die dringend benötigte Annäherung setzt auf beiden Seiten Kompromisse und den Verzicht auf einen Teil der eigenen Konzepte voraus. Dieser Annäherung steht allerdings die Uneinigkeit in Deutschland entgegen. In anderen Ländern ist eine ausgeprägt antieuropäische Stimmung aufgekommen. Was hat die Europa-Union dem entgegenzusetzen? Wir verstehen uns als Mittler zwischen der europäischen Politik und den Bürgern. Dabei sind wir bewusst überparteilich und agieren transnational. Die einflussreichsten Politiker sind immer noch die national gewählten Staats- und Regierungschefs, die naturgemäß die Interessen ihrer jeweiligen Länder vertreten. Die Europa-Union trägt einerseits die Interessen der Bürger an die Politiker heran und versucht andererseits die Unverzichtbarkeit Europas zu vermitteln. So haben wir beispielsweise die Europaschulen in Rheinland-Pfalz initiiert. Nach vier Zertifizierungsrunden sind es bereits 55, das Interesse ist nach wie vor enorm. Aber dennoch nur ein kleiner Tropfen auf den heißen Stein. Wo also geht’s hin mit der EU? Vor zwei Jahren hatte ich keine Zweifel, dass wir die Krisen in Europa überwinden können. Dann kamen der Brexit, die russische Einflussnahme auf den Westen und Donald Trump als US-Präsident, schließlich das starke Abschneiden der Rechtsextremen in Frankreich und der Einzug der AfD in den deutschen Bundestag. Bürgerliche Bewegungen wie „Pulse of Europe“ haben allerdings eine deutliche Antwort gegeben und die Wehrhaftigkeit der Mehrheit unter Beweis gestellt. Seither verändert sich die politische Landschaft rasant. Das alte Links-Rechts-Schema löst sich zusehends auf, neue Bruchlinien zwischen Populisten und Progressiven werden sichbar. Es wird immer deutlicher, dass der Populismus keine Lösung, sondern vielmehr Teil des Problems ist - in den Vereinigten Staaten und Großbritannien, aber auch in Deutschland, Italien und sogar in Ungarn. Insofern scheint sich eine Überwindung der Populismuswelle abzuzeichnen. Aber wir sind noch nicht überm Berg. Umso wichtiger ist die Teilnahme aller an der nächsten Europawahl, die im Mai 2019 stattfinden wird. Interview: Rainer Dick

Die Flaggen der zurzeit 28 EU-Mitgliedstaaten, gruppiert beiderseits der Europaflagge.
Die Flaggen der zurzeit 28 EU-Mitgliedstaaten, gruppiert beiderseits der Europaflagge.
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