Rheinpfalz LKA-Spezialisten müssen Sprengstoff in Lauterecken bergen

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Diese Spezialisten des Landeskriminalamts haben eine besonders gefährliche Aufgabe: Beamte des Dezernats 55 bergen Sprengstoff und entschärfen Bomben. Anfang Dezember kümmerten sie sich um den Sprengsatz des Ludwigshafener „Terrorkinds“. Und ab Freitag müssen sie mehr als 100 Kilogramm explosives Material aus einem Keller im Kreis Kusel holen.

Mainz. Silbrig glitzernd, verheißen die Lettern auf dem Buchrücken dramatische Lektüre: „Die ganze Palette des Todes“ soll zwischen grünlichen Buchdeckeln stecken. Und tatsächlich: Ab Seite 47 ist der Wälzer ausgehöhlt. Das in die Seiten geschnittene Loch verbirgt einen Plastikbeutel mit weißem Pulver, ein paar Kabel und einen Zündmechanismus. Eine dünne Angelschnur verbindet diesen Höllenapparat mit dem braunen Papierumschlag, in dem der Reader’s Digest-Band aus dem Jahr 1978 steckt: Das Paket soll sofort explodieren, wenn der arglose Empfänger das Buch aus seiner Verpackung zieht. In diesem Fall allerdings handelt es sich nur um den ungefährlichen Nachbau einer Briefbombe. Das Modell dient der Ausbildung im Mainzer Landeskriminalamt (LKA). Dort gibt es eine eigene Entschärfer-Einheit. Denn während der Kampfmittelräumdienst der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion vor allem für Überbleibsel aus dem Krieg zuständig ist, kümmern sich die Spezialisten der Polizeibehörde um alles, was amtlich „unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung“ heißt. Die kann zum Beispiel in herrenlosen Koffern versteckt sein. Verdächtige Gepäckstücke durchleuchten die Spezialisten mit einem mobilen Röntgengerät. Um dann zu entscheiden, wie es weitergeht. Am 5. Dezember bargen sie in Ludwigshafen eine Nagelbombe, gebastelt vermutlich von einem Zwölfjährigen mit IS-Kontakt. Ab Freitag werden sie mehr als 110 Kilogramm Sprengstoff aus einem Keller in Lauterecken (Kreis Kusel) holen. Ein 18-Jähriger will das Material für ein besonders knalliges Feuerwerk gehortet haben. Die Polizei prüft aber auch, ob er einen Anschlag auf die Silvesterfeiern in Kaiserslautern plante. Wie genau ihre Einsätze jeweils abgelaufen sind, behalten die Entschärfer für sich. Geheim bleibt auch, wie groß ihre Abteilung ist. Und wer dort arbeitet: Die Beamten achten darauf, dass ihre Namen ungenannt bleiben. Und dass ihre Gesichter nirgendwo gezeigt werden. Nur der Chef der Truppe, Udo Jastrzembsky, gibt seine Identität preis. Seit 18 Jahren leitet er die Einheit. Wer in ihr arbeiten will, muss nach der normalen Polizeiausbildung noch eine Menge lernen. Bis zu drei Jahre dauert die Spezialvorbereitung auf einen Job, der besonders gefährlich ist. Im April 1989 starb ein aus der Saarpfalz stammender Entschärfer des Bundeskriminalamts, als er im Keller der Wiesbadener Behörde ein verdächtiges Radio aufschraubte. In das Gerät hatten palästinensische Terroristen eine Bombe eingebaut – ein Sprengsatz aus ihrer Werkstatt im nordrhein-westfälischen Neuss könnte auch das amerikanische Flugzeug zerrissen haben, das am 21. Dezember 1988 auf das schottische Dorf Lockerbie gestürzt war. In Wiesbaden soll eine falsche Bewegung mit dem Schraubenzieher gereicht haben, um die Explosion auszulösen. Und doch sagt einer der Mainzer Beamten: „Wir sind keine Helden.“ Stattdessen spricht er mit leuchtenden Augen von der Herausforderung, die ihn reizt. Und von der Verantwortung, die er gerne trägt. Damit ihm und seinen Kollegen im Fall einer Explosion wenigstens noch eine kleine Überlebenschance bleibt, gibt es einen dicken Schutzanzug. Auf den Ärmel ist ein Schaltfeld mit Knöpfen montiert. Mit denen lässt sich zum Beispiel eine Belüftung einschalten. Sie sorgt dafür, dass die zentimeterdicke Visierscheibe des rundum abgeschlossenen Helms nicht beschlägt. Doch so ein 40-Kilogramm-Panzer ist für viele Einsatzorte zu sperrig. Entschärfer-Chef Jastrzembsky erinnert sich an eine Messie-Wohnung in Koblenz. Aus den Müllbergen bargen seine Leute zwei Kilogramm Sprengstoff. In Jugendzimmern haben die Beamten aber auch schon viel größere Mengen entdeckt. Weil pubertierende Bastler explosive Mischungen zusammengerührt hatten. Oder „Polen-Böller“ horteten – in Deutschland verbotene Feuerwerkskörper, die stärker sind als gewöhnliche Silvester-Knaller. Und obendrein oft schlampig verarbeitet. Bis zu 200-mal pro Jahr rückt seine Einheit aus, überschlägt Jastrzembsky. Ihr wohl größter Einsatz führte die Beamten Anfang 2011 an den Rand der Nordpfalz. In der Verbandsgemeinde Meisenheim hatte ein als „Pulver-Kurt“ bekanntgewordener Rentner Panzerfäuste, Maschinengewehre und eine Mine gehortet. Außerdem lagerte in seiner Scheune jede Menge Sprengstoff. Etwa 40 besonders gefährliche Kilogramm jagten die Spezialisten gleich auf einem nahen Feld in die Luft, dorthin schleppen ließen sie die bedrohlichen Kisten von Robotern. Der „Fernlenkmanipulator“ des Mainzer Landeskriminalamts hat 380.000 Euro gekostet und heißt Teodor – die Kurzform einer komplizierten englischen Typenbezeichnung, die ihm sein Hersteller verpasst hat. Seine Befehle kann sich das Kettenfahrzeug aus einer Entfernung von bis zu 1000 Metern funken lassen. Und so von einem Steuerpult mit Bildschirm aus vorgeschickt werden, um sich mit seinem Greifarm behutsam einen Sprengsatz in den eigenen Anhänger zu laden. Und ihn dann irgendwohin zu kutschieren, wo er weniger Schaden anrichten kann. Wenn selbst das zu gefährlich scheint, wird Teodor rabiat: Er spuckt einen Wasserstrahl aus. Mit einem Druck, der sonst nur in 20 Kilometern Meerestiefe herrscht. Mit etwas Glück zerfetzt er die Bombe in jenem Sekundenbruchteil, der zwischen Zündung und Explosion vergeht. Mit etwas Pech detoniert sie trotzdem. So oder so: Die feuchte Attacke wird viele Spuren vernichten. Dabei gehört auch das zu den Aufgaben der Entschärfer: einen Sprengsatz als Gutachter zu analysieren. Um dann vor Gericht zu erläutern, was genau aus der ganzen Palette des Todes ein Bombenleger seinen Opfern zugedacht hatte. Nils berichtet

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