Kultur Südpfalz Jesus und Pussy Riot gegen Macht und Gier

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Ein „leicht debiler“ Adam, der von Eva den Apfel nimmt und damit Weltgeschichte schreibt, Jesus als Freund der Frauen, ein von Sündenangst geplagter Martin Luther und Pussy Riot, die Frauenband, die in Russland wegen ihres Punkgebetes in einer Kirche verhaftet wurde. Heiner Geißler schlug im Rahmen der Buchlese in der Marktkirche in Bad Bergzabern einen ganz großen Bogen zu seinem Thema „Was müsste Luther heute sagen?“.

Eineinhalb Stunden gingen wie im Flug vorbei, der 85-jährige ehemalige Bundestagsabgeordnete, Landes- und Bundesminister und Generalsekretär der CDU, der in der Südpfalz lebt, benötigte sein neues Buch „Was müsste Luther heute sagen?“ nicht, um einen brillanten Vortrag ohne Vorlage zu halten. Es war eine Geschichtsstunde vom Feinsten, Thesen zum Nachdenken und Handeln und Einblicke in sein privates Leben, verbunden mit der Kunst, oft schwere Kost mit einer Prise Humor zu würzen. „Ich schätze ihn als einen etwas anderen Protestanten ein, vielleicht einen besseren“, begrüßte Elke Wöhler-Wischhusen den Katholiken, ehemaligen Jesuitenschüler und Novizen des Jesuitenordens im Namen des Presbyteriums der Kirchengemeinde Bad Bergzabern. „Ich war früh mit Luther konfrontiert“, erzählte Geißler aus seiner Jugend. In den 30er-Jahren sei er in den Ferien bei seiner Großmutter in Oberndorf am Neckar gewesen. Der tägliche Besuch der Messe gehörte zum Pflichtprogramm, ebenso wie dem „ehrwürdigen Herrn Stadtpfarrer Gruber“ wöchentlich ein Kuvert mit einem Geldbetrag zu überreichen. Dafür bekam er ein Heiligenbildchen mit einem frommen Gebet und dem Vermerk „100 Tage Ablass“. Auf seine Frage habe ihm die Großmutter erklärt, dass sie dank des Umschlags 100 Tage weniger im Fegefeuer ihre Sünden büßen müsse. „Welche Sünden das waren, habe ich nie erfahren“, erzählte der Autor mit verschmitztem Lächeln. „Wenn es nur diesen Luther nicht gegeben hätte“, sei schon ein Satz in seiner Kindheit gewesen. Dessen Thesenanschlag vor fast 500 Jahren sei eine „revolutionäre Sache“ gewesen, aber er habe damit auch die Zündschnur unter die Bombe Geld und Religion gelegt. Eine Verflechtung, gegen die Jesus mit seiner „Gang von Autonomen“ schon in der Vertreibung der Händler aus dem Tempel vorgegangen sei. Dieselbe Verflechtung der orthodoxen Kirche mit der Regierung in Russland, gegen die die Frauenband Pussy Riot in der Kirche mit ihrem Punkgebet protestiert hätten. „Es gab einen Sturm der Entrüstung, aber sie haben gegen dasselbe protestiert wie Jesus, gegen die Verfilzung von Geld, Macht und Religion“, so die Überzeugung Heiner Geißlers. „Hört damit auf“, müsste seiner Ansicht nach Luther heute zur Diskriminierung der Frauen sagen. Für Geißler entstammt diese einer Fehldeutung des Sündenfalls, für den Eva verantwortlich gemacht werde, die dem wohl „leicht debilen Adam“, den Apfel gereicht hatte. Eine Geschichte, die für Geißler eher ins Reich der Fabel gehört, für die die Frauen aber bis heute büßen müssten. „Im Neuen Testament gibt es kein einziges diskriminierendes Wort von Jesus über Frauen“, so Geißler. „Macht nicht dieselben Fehler wie wir damals, redet auf Augenhöhe und beendet die Spaltung“, müsste Luther heute zu den beiden großen Konfessionen sagen, ist die These von Geißler. Unverantwortlich findet der bekennende Christ die Spaltung der Kirchen angesichts der Lage in der Welt. „Wir haben zwei Milliarden Christen auf dieser Erde, es sind die größten Globalplayer, wenn sie gemeinsam Nächstenliebe leben würden, wäre die Wirtschaftsordnung eine humane, sozial gerechte und umweltorientierte“, ist seine Überzeugung. Denn die Welt werde beherrscht von Marktinteressen, Geld, Geiz und Gier. Bei den Kirchen stehe oft beten, singen und Posaunen blasen im Vordergrund. Klare Worte und Anerkennung gab zur Entscheidung von Kanzlerin Angela Merkel, die Grenzen für Flüchtlinge aus Ungarn zu öffnen, um Menschen zu retten. Kein Verständnis für den Sturm der Entrüstung, der darauf folgte. „Nächstenliebe ist keine Gefühlsduselei, sondern die Pflicht, denen in Not zu helfen“, so der Appell Geißlers für eine Weltwirtschaft, in der der Mensch im Vordergrund steht. (pfn)

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