Kultur Südpfalz Im Dienst von Dada

Den österreichischen Schriftsteller und Literaturwissenschaftler Raoul Schrott kennt man als begnadeten Erzähler, geistreichen Übersetzer und geschliffenen Parlierer. Im Künstlerhaus Edenkoben hat er all diese Fähigkeiten geballt in den Dienst von Dada gestellt und sein umfangreiches Wissen mit charmanter Eindringlichkeit in die Köpfe und Herzen der bestens unterhaltenen Zuhörer geträufelt.

Wie macht er das nur? Die komplexesten Sachverhalte bringt dieser Raoul Schrott mit so nonchalanter Leichtigkeit und perlender Eleganz über die Lippen, dass man ihm auch dann noch neugierig und gut gelaunt zuhört, wenn einem nach zwei intensiven Lehrstunden schon ganz Dada im Kopf ist. Aber um den Dadaismus ging es ja gerade bei dieser wortgewaltigen, freilich auch poetisch lautmalerisch Matinee der Extraklasse. Dada hier, in Pirmasens, dem Geburtsort seines Mitbegründers Hugo Ball, Dada dort, im Züricher Cabaret Voltaire, wo die Bewegung Name und Gestalt annahm und Dada im kleinen Bergdorf Tarrenz in Tirol, wo die jungen Protagonisten zwei Sommer (1921/22) verbrachten, weil es sich dort billig lebten ließ. Diese hochproduktive Tiroler Zeit, in der sich die wilde künstlerische Avantgarde vor allem mit der Natur auseinandersetzte und somit „erdete“, hat Raoul Schrott am meisten überrascht, als er seine Dissertation über den Dadaismus schrieb. Denn er selbst ist kaum zehn Kilometer von diesem Kultort entfernt herangewachsen, hatte aber bis dato nichts davon gewusst. Umso gründlicher hatte er nun vor Ort recherchiert und im Gasthof Sonne sogar den Holztisch mit jenem Astloch fand, aus dem Max Ernst seine erste Tier-Frottage hervorzauberte. Schrott spricht von gerade dieser Zeit so lebendig, als wäre er selbst dabei gewesen. Und er bestätigt, dass er für seine eigene schriftstellerische Laufbahn und sein umfassendes literarisches Verständnis viel von den Dadaisten und ihrem unbekümmerten Umgang mit Sprache gelernt hat. Dabei sei der Dadaismus keine eigenen Kunstform, sondern habe vielmehr das Bestehende benutzt, um sich in einer polarisierten Welt die Grundwerte des aus den Fugen geratenen Lebens zu erklären. Den Dadaisten war klar, dass die alten Ideale, Erkenntnisse und Postulate nur ins Verderben führten und dass Neues mit einer bereits floskelhaft kontextuierten Sprache nicht zu schaffen sei. Deshalb ver-Ball-hornten sie das erfolglos Bestehende, hielten der Gesellschaft mit ihrer Gallionsfigur – dem Kasper – den Spiegel vor, und versuchten das Traditionelle, was ihnen der Rettung wert schien, mit neuen Mitteln in die Zukunft zu retten. Dabei mussten sie einerseits recht philosophisch denken, andererseits stets „Plem-Plem-Spielen“, um nicht in die Zwickmühlen der argwöhnischen Obrigkeit zu geraten. Bis heute schätzt Raoul Schrott den Dadaismus als „beste Schule um Kunst und Literatur in Vielfalt und Mehrdimensionalität zu sehen“. Die „freigeistige, anarchistische, dabei nicht destruktive Haltung und das große Klangbewusstsein“ mit dem Willen, sich von Sprache tragen zu lassen und darauf zu vertrauen, dass ein Wort zum anderen führt, waren für ihn auch ein Schlüssel für seine eigenen Sprachforschungen etwa zu seiner Abhandlung „Die Erfindung der Poesie“. Imponiert hat Schrott nicht zuletzt die „Gruppendynamik“, die alle Künstler im Zeichen des Kaspers so produktiv verband, und die sich im „solitären Leben eines Schriftstellers“ von heute „für mich leider“ nicht verwirklichen lässt. Ganz wunderbar verwirklichen ließ sich allerdings das Zitieren vieler Notate von und zu Dada und das Rezitieren einiger besonders eingängiger Gedichte. (ttg)

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