Rheinpfalz Der Küchenpapst - zum Tod von Paul Bocuse

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Bocuse wie man ihn kennt: auf dem Kopf die Ehrfurcht gebietende turmhohe Kochmütze, die er wie eine Krone zu tragen pflegte.

Das heilige Feuer ist erloschen. Der wohl berühmteste Koch der Welt ist im Alter von 91 Jahren in seinem Geburtshaus nahe Lyon gestorben.

Das kann doch nicht sein. Das überfordert die Vorstellungskraft. Paul Bocuse tot? Das Leben verkörpert dieser Mann doch wie kaum einer sonst. Ein Energiebündel ist er, ein Arbeitstier, ein seinem Instinkt folgender Gastronomie-Unternehmer, ein sinnenfroher Gourmet, einer, der drei Frauen zugleich liebt und offen dazu steht. Und dann ist dieser Mann ja auch noch Frankreichs Spitzenkoch schlechthin und dies vermutlich bis in alle Ewigkeit. 1989 vom Gourmetführer Gault & Millau zum Koch des 20. Jahrhunderts gekürt, hat ihn das amerikanische Culinary Institut of America jedenfalls 2011 bereits als Chefkoch des 21. Jahrhunderts ausgerufen.

Tout simplement!

Als Mitbegründer der Nouvelle Cuisine hat der Franzose zumal Furore gemacht. Auf dem simplen Prinzip beruht sie, dass Frisches vom nahen Markt, schonend zubereitet, höchste Gaumenfreuden verspricht. Wobei Simples bei jemandem wie ihm, über dessen Gaststätte „L’Auberge du Pont de Collonges“ seit 53 Jahren drei Michelin-Sterne prangen, so simpel auch wieder nicht ist. Hinzukommen sollte gute Würze, pflegt er Kochschüler zu belehren. Und auch den richtigen Garpunkt heiße es abzupassen.

Eine Kochmütze wie eine Krone

Man glaubt diesen Küchenkommandanten vor sich zu sehen, wie er opulente, kalorienreiche Mahlzeiten verdammt, leichte Kost preist: Kerzengerade steht er da, die Arme vor der emporgereckten Brust verschränkt, den Blick herausfordernd in die Runde gerichtet, auf dem Kopf diese Ehrfurcht gebietende turmhohe Kochmütze, die er wie eine Krone zu tragen pflegt. „Das heilige Feuer“, hat die Ève-Marie Zizza-Lalu ihre Bocuse-Biografie überschrieben. Der Titel passt.

Die Hinterbliebenen: Die gesamte Grande Nation

Aber so schwer man es sich auch vorstellen kann, das Feuer ist tatsächlich erloschen. Schon länger parkinsonkrank, ist Bocuse gestern im Alter von 91 Jahren in seinem Geburtshaus nahe Lyon gestorben. Die Hinterbliebenen, also die gesamte, sich seltsam verwaist fühlende französische Nation, suchen nach Worten, um diesen Mann zu würdigen, der zu Lebzeiten zum Mythos geworden ist. Und wie es sich gehört, wenn die Nation als Ganzes betroffen ist, weist die hohe Politik den Weg. „Monsieur Paul, das war Frankreich“, twittert Innenminister Gérard Collomb, der Bocuse als ehemaliger Bürgermeister von Lyon räumlich und menschlich nahestand.

Gedient in De Gaulles Befreiungsarmee

Staatschef Emmanuel Macron sieht in Bocuse „die Verkörperung der französischen Küche“. Der Präsident preist aber auch dessen „Treue zur Republik“, erinnert daran, dass Bocuse einst an der Front geglänzt, in de Gaulles Befreiungsarmee gedient hat. Eine Gewehrkugel traf den damals 18-Jährigen dicht am Herzen. Dass er dem Tod entkam, soll den ohnehin großen Lebenshunger des jungen Mannes nur noch mehr angestachelt haben.

Eine Trüffelsuppe für die Ewigkeit

So entschlossen Bocuse indes auch auszugreifen pflegte, wenn etwas Genuss verhieß: Er war zugleich äußerst bodenständig. Nicht von ungefähr starb er, wo er zur Welt kam, aufwuchs und jahrzehntelang lebte: in Collonges-au-Mont-d’Or, einem 4000-Seelen-Nest zehn Kilometer nördlich von Lyon. Bei der Berufswahl hielt Bocuse sich an Altbewährtes. Vater und Großvater waren auch schon Gastwirte gewesen. Und sicherlich wird Bocuse der Gedanke behagt haben, dass er mit seiner Kochkunst Bleibendes geschaffen hat. Zum Vermächtnis des Meisters zählt zumal das Trüffelsuppenrezept. Jenes Gesamtkunstwerk aus schwarzen Trüffeln, Leberpastete, Eigelb, Butter, Karotten, Sellerie, Zwiebeln und Champignons ist das, welches dank eines überbackenen Oberteils mehr Pilz als Suppe scheint.

Drei Sterne und ein Tiefkühlsortiment

Wobei es der Gourmet kaum zu globalem Ruhm gebracht hätte, wäre der geschärfte Geschmackssinn nicht gepaart gewesen mit unternehmerischem Gespür. Bocuse hinterlässt ein wahres Gastronomie-Imperium. Restaurants, Delikatessenläden oder auch Tiefkühlsortimente zeugen von ausgeprägter Geschäftstüchtigkeit. Nicht zu vergessen die Kochschule, wo alle zwei Jahre der beste seines Fachs mit dem Bocuse d’Or geehrt wird. Das einträglichste der rund 20 Restaurants hat Bocuse seinem Sohn Jérôme anvertraut. In Orlando/Florida steht es.

Raymonde, Raymone und Patricia

Und noch etwas bleibt zurück: ein reicher Anekdotenschatz. Zu den Geschichten, die Bocuse überdauern werden, zählen jene von den drei Gefährtinnen, mit denen er in aller Offenheit sein Leben teilte: Raymonde, die er 1946 heiratete, Mutter seiner Tochter Francoise, Raymone, die zehn Jahre später hinzukam, Mutter von Jérôme, und schließlich die sich 1971 hinzugesellenden Patricia, die seine ständige Reisebegleiterin werden sollte. Zum Mittagessen sei er meist bei Raymonde im Restaurant, zum Kaffeetrinken finde er sich im nahegelegenen Haus Raymones ein, den Abend verbringe er gern mit Patricia, soll Bocuse Neugierigen beschieden haben.

Nichts bereut

Überliefert ist auch ein Besuch Edith Piafs in der Auberge du Pont de Collonges. Mit dem Boxer Marcel Cerdan speiste die legendäre Chansonsängerin dort. Ob sie nach dem Mahl wohl ihr „je ne regrette rien“ angestimmt hat? Zum Chefkoch des Hauses hätte es wunderbar gepasst. Er habe in seinem Leben nichts bereut, hat er wissen lassen.

Bocuse wie man ihn kennt: auf dem Kopf die Ehrfurcht gebietende turmhohe Kochmütze, die er wie eine Krone zu tragen pflegte. Das
Dieses Foto zeigt ein riesiges Porträt des Meisterkochs auf einer Hauswand in Lyon.
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