Rheinpfalz Das Schnaken-Business

Wie sich der Einsatz des Mückengifts Bti auf die insektenfressende Tierwelt am Rhein auswirkt, ist unter Wissenschaftlern umstritten. Fakt ist: Mit dem Wirkstoff wird auch ein Geschäft gemacht. Ein Hintergrund.

Die Menge des für Menschen unschädlichen Mückengifts Bti, die am Rhein gegen Überschwemmungsmücken (Aedes) ausgebracht wird, variiert von Jahr zu Jahr extrem, je nachdem, wie stark der Rhein Hochwasser führt. In hochwasserstarken Jahren gibt die Kabs bis zu 360.000 Euro für bis zu zwölf Tonnen des Bti-Wirkstoffs „Vectobac WG“ aus, in anderen Jahren nur 1200 Euro, wie Norbert Becker mitteilt, der wissenschaftliche Leiter der Kabs. Die Kabs beziehe den Bti-Wirkstoff „seit vielen Jahren“ von Sumitomo beziehungsweise dessen Tochterunternehmen Valent BioSciences mit Hauptsitz im US-Staat Illinois. Und Valent BioSciences unterstützt die Kabs-Forschungsarbeit: „Weiterhin haben wir über die Uni Heidelberg Projekte in Afrika zur Malariabekämpfung, die zumindest partiell von Valent mitfinanziert werden“, sagt Becker. Einen Interessenkonflikt zwischen ihm als dem Wissenschaftler, der die Unbedenklichkeit des Bti-Einsatzes in der Natur bescheinigt, und ihm als dem Wissenschaftler, dessen Projekte von Bti-Produzenten gesponsert werden, sieht Becker nicht. „Diese Gelder gehen nicht an mich, sondern in die Projekte“, sagt er. Er sei vielmehr froh, dass er jährlich bei der Weltgesundheits-Organisation WHO in Genf „über unsere Erfolge mit Bti im Kampf gegen die Malaria berichten kann“. Seit Jahren sei er im Expertenteam der WHO aktiv. Aktiv ist Becker auch als alleiniger Gesellschafter der Firma Culinex Becker GmbH in Ludwigshafen, die per Online-Shop Bti-Produkte vertreibt – an Endkunden und Apotheken. Das hat damit zu tun, dass der erfolgreiche Mückenbekämpfer Inhaber beziehungsweise Mitinhaber zweier Bti-Patente ist: eines für Bti-Eisgranulat, eines für die Bti-Tablettenherstellung. Als Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst hat Becker seine Patente seinem Arbeitgeber unentgeltlich zur Verfügung gestellt, wie er mitteilt. Es sei ihm ein großes Anliegen gewesen, „eine Formulierung zu finden, die keine großen Hilfsstoffe verwendet“. Sein Eisgranulat zum Beispiel bestehe aus 96 Prozent Wasser und nur zu vier Prozent aus dem Bti-Wirkstoff. Das mache sein Mittel „um mehr als die Hälfte billiger als kommerzielle Granulate“. Die Kabs spare durch dessen Einsatz jährlich einige 100.000 Euro. Becker: „Ich beziehe keinen Cent aus diesem (Eisgranulat-)Patent, insofern ergibt sich auch kein Interessenkonflikt.“ Die Bti-Tabletten hat der Kabs-Wissenschaftler nach eigenen Angaben entwickelt, „um eine ökonomisch sinnvolle Hausmückenbekämpfung in den Kabs-Kommunen zu gewährleisten“. Die Kabs leiste durch die Ausgabe der Tabletten an die Bevölkerung Hilfe zur Selbsthilfe und spare so Personalkosten, weil mit den Bti-Tabletten jeder selbst Schnaken bekämpfen kann – im eigenen Regenfass etwa. Vom kommerziellen Verkauf der Bti-Produkte an Kunden und Apotheken über den Culinex-Online-Shop, den seine Frau betreibe, „hängt unsere Existenz nicht ab“, sagt Becker. Die Kabs erhalte die Tabletten von Beckers Culinex GmbH zum Selbstkostenpreis. Die Kabs habe der Firma Culinex „im Gegenzug“ erlaubt, die Tabletten außerhalb des Kabs-Gebiets über das Internet zu vertreiben. Dies sei alles vertraglich geregelt, sagt Becker, also gebe es auch hier keinen Interessenkonflikt. Verflechtungen gibt es allerdings schon: Beckers Ludwigshafener Firma Culinex bezieht den Wirkstoff für die Bti-Tablettenherstellung von Valent BioSciences, dem Geschäftspartner der Kabs. Becker hält all diese Geschäftsbeziehungen für unproblematisch: „Ich persönlich setze mich seit mehr als drei Jahrzehnten für die biologische Bekämpfung der Stechmücken als Wissenschaftler ein, nicht aus ökonomischen, sondern aus ökologischen Gründen.“ Und er fügt hinzu: „Im Übrigen haben einige Kollegen auch Firmen, um sich für eine gute Sache zu engagieren. Es wäre eine üble Unterstellung, wenn man all denen Fachblindheit unterstellen würde.“ Auch das Mainzer Umweltministerium sieht hier kein Problem: Die Genehmigungsbehörde, die Neustadter SGD Süd, entscheide aufgrund der rechtlichen Anforderungen und „verschafft sich ein eigenständiges Bild von den vorgelegten Unterlagen“. Ähnlich äußert sich das zuständige Freiburger Regierungspräsidium. Unterdessen hat der stellvertretende wissenschaftliche Leiter der Kabs, Christian Weisser, in einer Stellungnahme an die RHEINPFALZ am SONNTAG bestätigt, dass die ökologisch wichtigen Zuckmücken sehr wohl durch Bti beeinträchtigt werden. Die Art und Weise, wie die Kabs das Mückengift am Rhein ausbringe, verhindere aber, dass ökologische Schäden entstehen. Gleichzeitig räumt Weisser ein: „Die Langzeitwirkung auf die Ökosysteme und Veränderungen der Nahrungskette hat die Kabs tatsächlich nicht in wissenschaftlich nachvollziehbarer Schärfe untersucht.“ Zu diesem Ergebnis kommt eine Übersichtsarbeit der Königlich Schwedischen Akademie von 2014, die die Studienlage weltweit zum Bti-Einsatz gesichtet hat (wir berichteten am 22. März im Beitrag „Im Blindflug“). Deren Richtigkeit bestätigt Weisser ebenfalls: „Richtig ist, was die schwedische Studie über die unzureichende Datenlage bezüglich möglicher Veränderungen in den Nahrungsnetzen aussagt.“ Norbert Becker ist der Meinung, das treffe auf die Situation am Rhein nicht zu. Zudem lieferten Studien, die das gesamte Nahrungsnetz betreffen, kein wissenschaftlich haltbares Ergebnis.

x