Rheinpfalz „Da findet die Seele die Ruhe“

Spielt sonntags regelmäßig bei zwei Gottesdiensten im Kreis Kusel und im Donnersbergkreis: Walter Harth.
Spielt sonntags regelmäßig bei zwei Gottesdiensten im Kreis Kusel und im Donnersbergkreis: Walter Harth.

«Reipoltskirchen.» Noten braucht Walter Harth beim Orgelspiel keine. Der 66-Jährige aus Reipoltskirchen ist blind. Das hindert ihn aber nicht, die „Königin der Instrumente“ zu spielen – bereits seit 50 Jahren. Am morgigen Samstag wird er für sein musikalisches Engagement beim Gottesdienst um 18 Uhr in der protestantischen Kirche Dörrmoschel geehrt.

Harth spielt sämtliche Melodien aus dem Kopf. Allein die Hälfte aller Lieder aus dem Evangelischen Gesangbuch kann er auswendig, schätzt der Organist mit dem geschulten Gehör. Hat er eine Notenfolge nicht parat, nutzt er zur Vorbereitung das elektronische Gesangbuch. „Daraus lasse ich mir die Melodie vorspielen.“ Bei moderneren Titeln greift er auf den Internet-Kanal YouTube zurück. Kenntnisse in Harmonielehre helfen ihm beim Einprägen. Doch mitunter improvisiert er auch gerne – übrigens am liebsten auf Barockorgeln. Die Orgellandschaft der Region kennt Harth gut. Als Organist in den beiden Kirchengemeinden In der Alten Welt und Dörrmoschel ist er in Kirchen des Kreises Kusel und am Donnersberg bekannt und spielt sonntags regelmäßig zwei Gottesdienste in den zugehörigen Orten Dörrmoschel, Dörnbach, Teschenmoschel sowie Rathskirchen, Reichsthal, Rudolphskirchen, Seelen, Nußbach und Reipoltskirchen. Zu den Einsätzen fährt er mit Pfarrerin Katja Wolf oder seiner Frau Elli, die Lektorin ist. Der gebürtige Quirnbacher spielte unter anderen 15 Jahre in Lauterecken, gelegentlich ist er auch in Herschweiler-Pettersheim zu hören, wo er zuvor einen Jugendchor leitete. Mit etwa zwei Prozent Sehleistung kam Walter Harth auf die Welt. „Ich habe eine Vorstellung vom Sehen“, sagt er, wenn sich auch im Laufe der Jahre seine Sehkraft gegen Null entwickelt habe. Wenn schon nicht das Augenlicht, so wurde ihm die Musik schon in die Wiege gelegt. Mutter Anneliese, die aus Theisbergstegen stammte, hat seinerzeit bei Anna Wunderlich Unterricht bekommen, verrät er. „Sie lernte bei ihr Zither und Akkordeon und kam damals auch in Kontakt mit einem Lausbub namens Fritz.“ Erste Unterrichtseinheiten erhielt der Sohn in Quirnbach bei Karl Schneider, der ihn mit Jagdhorn und Trompete vertraut machte. In Quirnbach besuchte Harth auch die Schule. „Heute würde man das als gelungenes Beispiel für Inklusion beschreiben“, erzählt er, wie ihn Klassenkameraden damals ganz selbstverständlich unterstützten. Harth half in jungen Jahren in der Landwirtschaft mit. Nach seiner Konfirmation erhielt er die Chance auf weitere Ausbildung: Die Eltern schickten ihn zur Blindenschule nach Neuwied. Dort wurde er mit der Braille-Schrift vertraut. Gleichzeitig lernte er Klavier und ab 1967 das Orgelspiel. Sein Lehrer Kurt Find, ebenfalls blind, lehrte ihn die Blinden-Notenschrift. Dass der Junge Orgel spielt, davon bekam relativ schnell auch der damalige Pfarrer in Quirnbach Wind. 50 Jahre ist es her, dass der Pfarrer ihn fragte, ob er – nach nur ein paar Monaten Unterricht – an Weihnachten die Orgel spielen kann. Ja, er konnte! Und blieb auch dabei. Denn Musik bedeutet ihm viel. „Da findet die Seele die Ruhe“, sagt er. Musik sei Spiritualität, Kirchenmusik insbesondere. Er liebt Mozart, „für mich ein Synonym für Liebe“, wie er gesteht. Dessen Musik sei schlicht ergreifend, sagt er mit Blick auf das d-Moll Klavierkonzert oder die Zauberflöte, die er am meisten unter den Mozart-Opern schätzt. Im geistlichen Bereich steht bei Harth Bach an erster Stelle. Nicht zu vergessen: Paul Gerhardt, dessen Lieder und Choräle Harth als „Seelsorge“ und „hochkarätige Spiritualität“ bezeichnet. Beim damaligen Landeskirchenmusikdirektor Heinz Markus Göttsche absolvierte Harth 1971 die C-Prüfung für den Dienst als Organist und Chorleiter. Seit zwölf Jahren singt er zudem in der evangelischen Kantorei Kusel. Auch hauptberuflich hatte es der frühere Presbyter mit der Kirche zu tun. Er war bei der Diakonie als Suchtberater in Kusel und Kaiserslautern tätig und arbeitete bei der Telefonseelsorge Kaiserslautern. Zuvor hatte er zunächst eine Ausbildung zum Steno- und Phonotypisten absolviert und als Schreibkraft in Bad Kreuznach gearbeitet. „Was die diktieren, kann ich auch“, dachte er sich und studierte daraufhin Sozialarbeit in Ludwigshafen. Bei der Kreisverwaltung Kusel absolvierte er sein Anerkennungsjahr im Jugendamt. Inzwischen ist der verheiratete Vater von drei Kindern und vierfache Opa in Rente. Er ist auf vielfältige Weise in der Blindenselbsthilfe engagiert. Sein großes Hobby ist das Tandemfahren. Doch auch mit dem Langstock ist Harth recht mobil. Die geografischen Grundstrukturen hat er im Kopf gespeichert – findet Wege von Ort zu Ort, ja sogar auch durch den Wald, und immer wieder gern zur Orgel. Info —Die Ehrung von Walter Harth findet am Samstag, 20. Januar, um 18 Uhr in Dörrmoschel statt. Anschließend lädt die Gemeinde zu einem Umtrunk ein. —Für Sonntag, 25. Februar, ist im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Kirche, Kunst, Kultur“ in der Kirche von Rudolphskirchen ein Konzert mit dem Kuseler Bezirkskantor Tobias Markutzik und Walter Harth geplant. Beginn ist um 15 Uhr.

x