Eisenberg „Anfangszeit war schon sehr aufregend“

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Herr Ulrich, Sie sind nun seit zehn Jahren im Bundestag. Können Sie sich noch an Ihren ersten Tag im Plenum erinnern?

Ja, die Anfangszeit war schon sehr aufregend. Zum ersten Mal im Plenarsaal, den man nur vom Fernseher kannte. Zusammen mit Gerhard Schröder, Angela Merkel, Westerwelle, Lafontaine, Gysi und Co. Das war schon sehr bewegend. Aber auch mit großem Respekt vor meiner neuen Aufgabe begleitet. Es war so ein Zwischending zwischen Aufregung und Freude, aber auch Respekt und auch etwas Angst vor der neuen Herausforderung. Hat sich die Arbeit im Bundestag im Verlauf der vergangenen zehn Jahre verändert? In Berlin gibt es so einen Spruch. Abgeordnete und Regierungen kommen und gehen, und der Bundestag macht seine Arbeit einfach weiter. Die Abläufe haben sich weniger verändert. Die politischen Inhalte und Probleme sind natürlich ganz andere. Und als Europapolitiker unserer Fraktion kann ich feststellen, dass viele politische Probleme nur noch europäisch zu lösen sind. Euro-Krise, Energiesicherheit, Ukraine-Konflikt, Klimafragen oder Flüchtlinge und Zuwanderung sind da nur einige Stichworte. Was war Ihr herausragendstes Erlebnis in der Zeit? Als der Bundestag in der Finanzkrise 2008 genötigt wurde, innerhalb von wenigen Tagen ein rund 500 Milliarden schweres Rettungspaket zur Bewältigung der Finanzkrise zu beschließen. Das war eine bis heute unvorstellbare Dimension. Keiner wusste im Bundestag, ob das, was man da entscheidet, tatsächlich hilft und wer bei einem Scheitern die Zeche zahlt. Als Parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion und Mitglied des Ältestenrats gehören Sie zu den führenden Köpfen im Bundestag. Wie ist das, zur politischen Elite zu gehören? Na ja. Führende Köpfe sind sicherlich die Fraktionsvorsitzenden. Als Parlamentarischer Geschäftsführer sorge ich mit dafür, dass der parlamentarische Ablauf organisiert und geplant wird und dass wir als Fraktion unsere Rolle − hoffentlich − wirkungsvoll im Plenarablauf entfalten. Diese Aufgaben sind vor allem mit viel Arbeit verbunden. Man lernt aber mit dieser Aufgabe nahezu alle wichtigen Personen des Bundestags kennen. Mit Bundestagspräsident Lammert ist man zum Beispiel sehr oft im Gespräch. Wie oft haben Sie in den vergangenen zehn Jahren mit der Bundeskanzlerin gesprochen? Wenn es um politische Inhalte geht, sind unsere Fraktionsvorsitzenden die richtigen Ansprechpartner für die Kanzlerin. Ich konnte sie zweimal bei mehrtägigen Auslandsreisen begleiten. Bei allen politischen Unterschieden konnte ich feststellen, dass sie da sehr freundlich und kollegial mit uns umgegangen ist. Im Europaausschuss steht sie uns mindestens einmal im Jahr Rede und Antwort. In den zehn Jahren habe ich aber schon festgestellt, dass auch die Spitzenpolitiker alle nur mit Wasser kochen. Wenn jemand wie Sie so stark gefordert in der Bundespolitik ist, wie viel Zeit verbleibt da noch für die Arbeit im Wahlkreis? Ich versuche, außerhalb der Sitzungswochen immer im Wahlkreis zu sein. Die vielen Gespräche und Begegnungen hier in der Region und die Stimmungen an der Basis brauche ich, um meinen politischen Kompass immer wieder neu auszurichten. Das ist für meine Arbeit sehr wichtig. Politiker, die hauptsächlich in Berlin sind, haben meines Erachtens kaum noch Bodenhaftung. Auf welche Ihrer politischen Leistungen in den vergangenen zehn Jahre sind Sie als Abgeordneter besonders stolz? Die größte Leistung ist sicherlich, dass wir uns als Linke fest etabliert haben. Vor zehn Jahren hofften ja viele unserer Mitkonkurrenten, dass wir keine lange Zukunft haben. Heute können wir auch mit Stolz sagen, dass es ohne eine starke Linke noch immer keinen Mindestlohn gäbe. Wir waren 2005 die ersten und einzigen, die einen Mindestlohn gefordert hatten. Die Abschaffung der Praxis-Gebühr ist ein weiteres Beispiel. Wie hart sind die Oppositionsbänke bei einer Großen Koalition? Sie sind schon sehr hart. Die Arroganz der Macht wird in Zeiten einer Großen Koalition sehr deutlich. Vor kurzem waren in Berlin aber rund 250.000 Menschen gegen das Freihandelsabkommen TTIP auf der Straße. Solche Ereignisse motivieren mich immer wieder aufs Neue. Auch diesen Menschen im Parlament eine Stimme zu geben, ist Aufgabe der Opposition. Und politische Veränderung beginnt immer mit Opposition. Das alles überlagernde Thema ist derzeit der Flüchtlingszustrom. Was macht die Regierung richtig, was macht sie falsch? Wenn man Merkel und Seehofer hört, ist es erst mal sehr schwierig, von einer einheitlichen Haltung der Bundesregierung zu sprechen. Es ist richtig, dass Merkel sagte, dass wir diesen Menschen helfen müssen. Ich kritisiere aber, dass die Bundesregierung nicht ihre Außenpolitik verändert. Kriege sind die entscheidende Flucht-ursache. Daher müsste man Kriegsbeteiligungen und Waffenexporte sofort beenden. Die Waffenlieferungen und Kriege von heute sind die Flüchtlinge von morgen.

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