Politik „Wir wollen einen Aufbruch“

Jutta Paulus: „Nur die Frauenquote wird bei den Grünen mittelfristig bleiben.“
Jutta Paulus: »Nur die Frauenquote wird bei den Grünen mittelfristig bleiben.«

Die Grünen-Bundespartei hat am Wochenende in Hannover ein neues Führungsduo gewählt. Jutta Paulus (50), die ab jetzt auch im Bundes-Parteirat sitzt, ist ebenfalls Teil eines Duos: Zusammen mit Josef Winkler (43) führt die in Neustadt lebende gelernte Pharmazeutin den rheinland-pfälzischen Landesverband. Wie denkt sie über die neuen Entwicklungen auf Bundesebene?

Sie sind einst unter anderem wegen der Einführung der Agenda 2010 in der Zeit der rot-grünen Bundesregierung aus der Partei ausgetreten. Seit 2009 mischen Sie aber wieder mit. Nun haben die Grünen mit Robert Habeck und Annalena Baerbock zwei neue Vorsitzende gewählt. Welche Sehnsucht der Partei spiegelt sich in deren Wahl – und finden Sie sich wieder?

Wir wollen einen Aufbruch. Unser Problem ist: Viel mehr Bürger interessieren sich für unsere Themen, wie das Eintreten gegen Massentierhaltung oder für den Kohleausstieg, als später an der Wahlurne für uns stimmen. Aus dem „Das interessiert uns, aber die wollen wir nicht wählen“ müssen wir es schaffen, ein „Hey, das probieren wir jetzt mal!“ machen. Ich kenne übrigens beide, Habeck und Baerbock, weil auch ich einen Fokus auf Energiefragen habe. Manche argumentieren: Mit Baerbock und Habeck haben nun die Realos die Partei übernommen. Das sehe ich nicht so. Ich sehe uns auf dem Weg, dass wir unsere Strömungen weiter einbinden, aber das Besetzen wichtiger Stellen nach dem sturen mathematischen Prinzip „Hier ein Realo, dort eine Linke“ überwinden. Wird mittelfristig von den ganzen Quoten bei den Grünen nur noch die von Frau und Mann übrig bleiben? Ja, könnte ich mir vorstellen. Natürlich müssen zum Beispiel Ostdeutsche angemessen repräsentiert sein. Schon, weil die Lebensverhältnisse immer noch unterschiedlich sind. Aber da vertraue ich unserer Partei. Mit Bezug auf die Quote bei Frau und Mann sage ich als Naturwissenschaftlerin: Den Frauen fehlt eben das Hormon Testosteron. Das führt dazu, dass sich Frauen eher zurücknehmen und unterschätzen als Männer. Die Partei hat ihrem neuen Vorsitzenden Habeck acht Monate zugestanden, in denen er seine Geschäfte als schleswig-holsteinischer Minister für Umwelt, die Energiewende, Landwirtschaft und Digitales regeln und zugleich das höchste Parteiamt bekleiden darf. Ist eine so lange Übergangszeit nötig? Anders gefragt: Warum sollte er nicht beide Ämter ausfüllen? Eigentlich müssten wir die Frage, ob ein Minister auch Vorsitzender der Grünen sein kann, in einer Urabstimmung klären. Denn das berührt die Substanz der Partei. Aber wir haben nicht die Zeit dazu in den gegenwärtigen Umständen. Also mussten wir eine Übergangslösung finden. Wenn Robert Habeck sagt, er brauche als Minister mit derart vielen Aufgabengebieten und nach einer schwierigen Koalitionsbildung von Schwarz-Gelb-Grün diese Zeit, so ist das wohl so. Die Grünen gehen nicht gerade achtsam mit ihrem Spitzenpersonal um. Da ist Cem Özdemir, Spitzenkandidat im Wahlkampf 2017, der seinen Job als Koparteichef nach neun Jahren aus freien Stücken niedergelegt hat. In den Umfragen ist er bundesweit der beliebteste Grünenpolitiker. Ist es richtig, so jemanden ohne neuen wichtigen Job zu lassen? Nein, ich finde es schade, weil Cem Özdemir ein kluger Kopf ist und er persönlich als Vorbild für die Integration mehr bewegt hat als viele Parteiprogramme. Allerdings ist das Problem vielschichtig. So hat Cem gesagt, er wolle lieber in Berlin bleiben als in Baden-Württemberg Politik machen. Ich stimme aber zu, nach außen sieht es nicht so gut aus. Nach der neuen Parteispitze wollen sich die Grünen ein neues Parteiprogramm geben. Es soll bis 2020 stehen, dem Jahr, in dem das 40. Jahr des Bestehens gefeiert wird. Doch bei jeder Wahl gibt es doch neue Programme. Werden es also nur neue Worte für den gleichen Inhalt sein? Nein. Schauen Sie sich einmal das aktuelle Grundsatzprogramm aus dem Jahr 2003 an. Und dann suchen Sie mal „digital“. Das Wort taucht zweimal auf. Das bestehende Grundsatzprogramm hat sich beschäftigt mit der Globalisierung und ihrer Gestaltung, umweltpolitisch und sozial. Jetzt kommen Fragen auf wie: Wie gehen wir damit um, dass absehbar weniger menschliche Erwerbsarbeit auf immer weniger Köpfe verteilt wird werden muss? Das hat Auswirkungen zum Beispiel auf das Rentensystem, wo man nicht einfach die Höhe des Altersgelds immer weiter senken kann. | Interview: Wolfgang Blatz

Die neuen Grünen-Chefs freuen sich nach der Wahl.
Die neuen Grünen-Chefs freuen sich nach der Wahl.
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