Politik „Wir sind das Volk“: Rechte missbrauchen Demonstrationsruf

Es ist vielleicht der berühmteste Demonstrationsruf der deutschen Geschichte. „Wir sind das Volk“, schallte es im Herbst 1989 durch die Straßen Leipzigs; ein stolzer, selbstbewusster Ruf. Knapp 30 Jahre später ist er wieder zu vernehmen. Doch in Chemnitz klingt er anders: anklagend, wütend.

Richtig laut wurde der schlichte Satz intoniert, als sich die Demonstrationszüge von AfD und Pegida mit „Pro Chemnitz“ vereinten. Man sollte genau hinhören, welchen Unterton er bekommen hat: Wir machen Politik im Namen und zum Wohle des Volkes, schwingt da mit – alle anderen nicht. Seit Jahren schon versuchen Rechtsradikale, sich den Ruf der friedlichen Revolution in der DDR zu eigen zu machen. Der Hamburger Neonazi Christian Worch war 2002 einer der ersten, der Demos unter diesem Motto anmeldete. Unerträglich nannte das damals der 2014 verstorbene Pfarrer Christian Führer, in dessen Leipziger Nikolaikirche seit Mitte der 80er-Jahre sich Menschen zum Friedensgebet versammelt hatten. Den Gebeten folgten Protest-Spaziergänge für Meinungs- und Reisefreiheit. Daraus entwickelten sich die Montagsdemonstrationen. Was Führer auf die Palme brachte, gilt noch heute: Rechte versuchen durch die Vereinnahmung des Rufs, sich im Glanz der Revolution zu sonnen und dem eigenen Auftreten Bedeutung zu verleihen. Dabei werde der Satz aus dem historischen Kontext der SED-Diktatur gerissen und demokratisch gewählten Politikern entgegengeschleudert – also missbraucht. Damals ließ Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee (SPD) „Wir sind das Volk“ als geschützte „Wortmarke“ eintragen. Dass Rechte wie die fremdenfeindliche Pegida-Bewegung den Satz des Wendeherbstes auf Demos rufen, konnte damit nie verhindert werden. Jedoch darf er nicht gewerblich genutzt werden, also auf T-Shirts gedruckt etwa. Die Geschichte kennt revolutionäre Rufe nur als Forderungen. Doch in Leipzig entwickelte er sich aus einer nötigen Klarstellung: Oft berichtete das damalige SED-Blatt „Leipziger Volkszeitung“ 1989 von „Zusammenrottungen“, bei denen „Rowdys“ die sozialistische Ordnung störten. Als am 9. Oktober rund 70.000 Demonstranten Tausenden Volkspolizisten, Stasi-Mitarbeitern und SED-Kadern gegenüber standen, stellten sie klar: „Wir sind keine Rowdys!“, sondern: „Wir sind das Volk!“

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