Politik „Weitgehender Lohnkostenzuschuss ist richtig“

Wichtig sei es, den richtigen Personenkreis zu erfassen, sagt Ulrich Walwei.
Wichtig sei es, den richtigen Personenkreis zu erfassen, sagt Ulrich Walwei.

Menschen, die länger als ein Jahr ohne Arbeit sind, haben es besonders schwer, wieder einen Job zu finden. Um diesen Langzeitarbeitslosen eine neue Chance zu bieten, plant die Bundesregierung einen staatlich geförderten „sozialen Arbeitsmarkt“. Darüber sprach Ralf Joas mit Ulrich Walwei, dem Vizedirektor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, des Forschungsinstituts der Bundesagentur für Arbeit.

Herr Walwei, die Arbeitslosenzahlen sind in den vergangenen Jahren stetig gesunken, die Beschäftigung hat einen Rekordstand erreicht. Dennoch gibt es über 800.000 Langzeitarbeitslose, also Menschen, die länger – zum Teil deutlich länger – als ein Jahr arbeitslos sind. Woran liegt das?

Noch immer sind etwa 2,3 Millionen Menschen ohne Arbeit. Ein Teil dieser Menschen weist verschiedene Merkmale auf, die es schwer machen, Zugang zum Arbeitsmarkt zu finden. Von daher gibt es diesen strukturellen Sockel, der sich auch über die lange Phase hoher Arbeitslosigkeit aufgebaut hat. Welche Merkmale sind das? Dazu gehören beispielsweise fehlende berufliche Qualifikation, Gesundheitsprobleme oder auch das Alter der Betroffenen. Das Alter spielt also eine wichtige Rolle? Ja, das höhere Alter macht schon einen Unterschied. Wir haben zwar derzeit eine Beschäftigungssituation, in der die Älteren prinzipiell zu den Gewinnern des Aufschwungs zählen. Aber das sind diejenigen, die Arbeit haben und länger in den Betrieben bleiben. Bei den Älteren wird es dann problematisch, wenn sie ihre Arbeit verlieren oder schon länger arbeitslos sind. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil will nun vier Milliarden Euro in die Hand nehmen, um einen sozialen Arbeitsmarkt für Langzeitarbeitslose aufzubauen. Ein wichtiges Element sind dabei Lohnzuschüsse von bis zu 100 Prozent. Wie erfolgversprechend ist so eine Maßnahme? Wichtig ist zunächst zu wissen, welches Ziel man mit so einem Projekt verfolgt. Wir haben eine ganze Reihe von Maßnahmen, die sich an Arbeitslose richten, aber eben nicht an diesen wirklich harten Kern. Also an Menschen, die sich sehr, sehr schwer tun. Weil diese Menschen so weit weg sind vom Arbeitsmarkt, ist es richtig, zunächst mit einem sehr weitgehenden Lohnkostenzuschuss zu arbeiten. Aber es kommt eben darauf an, den richtigen Personenkreis zu erfassen und nicht Menschen, die über andere Wege auch eine Beschäftigung finden. Über welche Größenordnung sprechen wir da? Unsere Schätzungen bewegen sich in einer Größenordnung von 150.000 bis 200.000 Personen. Das ist auch die Größenordnung, von der die Bundesregierung spricht. Dabei ist ganz entscheidend, welche Kriterien zugrunde gelegt werden. In diesem Fall sind das drei: Gesundheitliche Probleme, fehlende Qualifikation und das Alter, ergänzt noch dadurch, dass jemand schon länger arbeitslos ist. Wenn diese Kriterien zusammentreffen, hat man den härteren Kern der Arbeitslosen eingegrenzt. Es gibt ja schon lange Bemühungen, Langzeitarbeitslose wieder in Arbeit zu bringen – bislang ohne den erhofften Erfolg. Waren die Maßnahmen falsch oder nicht zielgerichtet, oder muss man ehrlicherweise sagen: Es gibt eine Gruppe, die lässt sich allen Bemühungen zum Trotz nicht längerfristig in Arbeit bringen? Bei den Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen beispielsweise haben die wissenschaftlichen Evaluationen gezeigt, dass diese beim Übergang in reguläre Beschäftigung entweder keine positiven Effekte oder sogar negative Effekte hatten. Fairerweise muss man sagen, dass die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen auch in Phasen eingesetzt wurden, als es in großem Umfang an Arbeitsplätzen fehlte. Gleichwohl wurden diese Maßnahmen nicht zielgenau auf jene Gruppe bezogen eingesetzt, über die wir gerade gesprochen haben. Dazu kommt, dass man sich nicht ehrlich gemacht und gesagt hat, dass das Beschäftigungsziel eigentlich nicht das ist, was zunächst im Vordergrund steht. Worum geht es dann? Zu den ersten Zielen beim sozialen Arbeitsmarkt gehört, den Menschen wieder eine Tagesstruktur zu geben, ihre sozialen Kompetenzen zu fördern, ihnen letztendlich eine Lebensperspektive aufzuzeigen. All das ist unbedingt erforderlich, um in unserer doch sehr fordernden Arbeitswelt wieder Fuß fassen zu können. Das wird sich in der Regel in kleinen Schritten abspielen, benötigt Zeit. Es braucht diese vorgeschaltete Phase, in der Menschen wieder fit gemacht werden, in der sie auch sozial stabilisiert werden. Ich halte deshalb auch die Überlegung, Coaches oder Mentoren einzusetzen, für sehr vernünftig. Kritiker warnen, dass durch den sozialen Arbeitsmarkt reguläre Beschäftigung verdrängt werden könnte. Wie hoch schätzen Sie diese Gefahr ein? Da muss man auf jeden Fall aufpassen. Aber wenn man sich wirklich auf den harten Kern konzentriert, also auf Menschen, die am Anfang nicht sehr leistungsfähig sind, und wenn man sich gleichzeitig mit der örtlichen Wirtschaft gut abstimmt, dann sehe ich das nicht als größtes Problem an. Wie muss der soziale Arbeitsmarkt ausgestaltet sein, damit er möglichst vielen als Sprungbrett in eine reguläre Beschäftigung dienen kann? Darauf zu achten, ist einer der allerwichtigsten Punkte. Es geht auf der einen Seite darum, relevante Qualifikationen zu vermitteln, damit sich der Lebenslauf so nachhaltig verbessert, dass die Betroffenen gegenüber einem Arbeitgeber auch etwas vorzuweisen haben, womit sie ihre Attraktivität als Bewerber steigern können. Als zweites müssen sie lernen, sich zu präsentieren, das hat auch viel mit Selbstbewusstsein zu tun. Drittens muss es immer wieder Zeitpunkte geben, wo geschaut wird, wo der Betroffene gerade steht. Ich denke, die meisten Menschen wollen wieder einer regulären Beschäftigung nachgehen, und dieses Ziel darf durch die Maßnahme nicht aus den Augen verloren werden. Aber realistischerweise wird man bei dem einen oder anderen an Grenzen stoßen. Aber auch das ist wichtig, um zu klären, wer dem Arbeitsmarkt eigentlich tatsächlich zur Verfügung steht.

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