Bitburg Schlips statt Trachtenhut: Aiwanger stimmt streitlustige Freie Wähler auf Wahlkampf ein

Hubert Aiwanger bei seiner Rede.
Hubert Aiwanger bei seiner Rede.

Die Freien Wähler haben bei ihrem Bundesparteitag in Bitburg klar gegen Extremismus gestimmt, aber in vielerlei Hinsicht unklar agiert. Wieso der Partei interner Ärger droht.

Hubert Aiwanger runzelt die Stirn, kneift die Augen zusammen, drückt den Rücken durch. Seine Hände legt er aufs hölzerne Pult. Vor ihm ein Wasser und Platz für Notizen, neben ihm grau-behusste Tische, hinter ihm eine Wand mit dem Parteilogo in 48-facher Ausführung.

Von ganz links nach ganz rechts scannt der erste Freie Wähler den Saal der Stadthalle in Bitburg. Mehrfach nickt er grüßend ins Publikum. Ganz rechts außen huscht ihm ein Lächeln über die Lippen. Eins, zwo, eins, zwo – die Technik signalisiert: Es kann losgehen. Draußen protestieren 40 Bürger für ein „populistenfreies Bitburg“, im Foyer wartet die heute-show mit Kameras, drinnen positioniert sich Aiwanger für seine Rede.

Die Welt vor den Woken retten

Aiwanger hat keine Notizen. Aiwanger ist Instinkt-Politiker. Allzu viel Vorbereitung würde ihm Authentizität nehmen. Aiwanger lebt von Authentizität. Sie nutzt ihm, um bei jenen zu reüssieren, die wie er die Welt zweigeteilt sieht: hier die „vernünftigen Traditionalisten“, dort die „woken Gutmenschen“. Aiwanger ist nicht so vermessen zu glauben, er alleine könne die Welt vor den Woken retten. Aber er möchte vom Bundestag aus daran mitwirken.

Also: Auf geht’s.

Hubert Aiwanger atmet tief ein und wieder aus. Noch ein Räusperer, jetzt ist auch er bereit. Sein Beitrag zum Wahlkampfauftakt dauert an diesem Februarsamstag in der Eifel 55 Minuten. Es ist die am lautesten beklatschte Rede des Bundesparteitages der Freien Wähler. Er wirft der Ampel-Koalition vor, die Gesellschaft zu spalten. „Ihr seid falsch abgebogen“, ruft er in Richtung Rot, Grün und Gelb. Sozialdemokraten und Grüne würden Ideologie über das Wohl der Menschen stellen. „Jeder Heizungsbauer-Lehrling, der mit dem Mofa auf die Arbeit fährt, hätte Robert Habeck sagen können, dass das Heizungsgesetz so nicht geht.“

Bitburg ist nicht Landshut

Aiwanger spricht frei und etwas weniger schrill als dahoam. Seine Hände ballt er mal zur Faust, mal zum Fingerzeig. Er weiß, dass Bitburg nicht Landshut, die Eifel nicht Bayern, die Stadthalle nicht die Wiesn ist. Heute gibt’s Pils statt Weißbier, Currywurst statt Haxn, orangenen Schlips statt Trachtenhut und Aiwanger in B-Dur statt E-Dur. Im Interview mit der RHEINPFALZ hatte er vor dem Parteitag angekündigt, er komme als „Einer“ in die Eifel.

Wie nötig die Freien Wähler einen Einer bräuchten, zeigt die Debatte vor dem mit Spannung erwarteten Tagesordnungspunkt, bei dem die Partei streitet, von wem sie sich distanzieren soll. Ein Antrag des Kreisverbands Koblenz nennt die AfD, einer aus Birkenfeld Extremisten von links und rechts. Der Theologe Martin Niemöller hält per Transparent Einzug in die Halle, die Stimmung kocht: „Als die Nazis die Kommunisten abholten, habe ich nicht protestiert, denn ich war kein Kommunist…“ Manch einer moniert hinter vorgehaltener Hand „das Gift, das hier versprüht wird“. Selbst für Parteitag-Verhältnisse tuschelt der Parteitag besonders viel – und gibt sich wenig Mühe, die ganze Uneinigkeit hinter vorgehaltener Hand zu belassen.

Viele „Nie wieder ist jetzt“-Pins

Nach kontroverser Debatte und kurzfristig eingebrachtem, jedoch schnell abgelehntem Wunsch nach geheimer Abstimmung votiert die Partei mehrheitlich für den Antrag eines Kooperationsverbots mit der AfD. Noch mehr Zustimmung erhält die Distanzierung von Extremisten auf der linken wie der rechten Seite. Menschen fallen sich in die Arme, seufzen erleichtert. Stolz tragen viele von ihnen an diesem Tag „Nie wieder ist jetzt“ auf orangenem Pin am Revers. Andere wiederum blicken nach der Abstimmung ins Leere.

Zu jenen, die ins Leere blicken, gehört der rheinland-pfälzische Landeschef Stephan Wefelscheid, als er realisiert: Vier seiner Landtagskollegen haben seinen Antrag für die Abgrenzung von der AfD abgelehnt. Es ist einer der Momente, der die Freien Wähler in Rheinland-Pfalz lange beschäftigen dürfte. Es ist einer der Momente, in denen klar wird: Aus dem Wahlprogrammparteitag ist längst ein Richtungsparteitag geworden.

Ansichten wie Kanonenschüsse

Aiwanger stimmt zweimal mit der Mehrheit – verweist aber auch darauf, dass ein verfassungsgerechtes Agieren im Zusammenspiel mit der AfD oberste Priorität habe. Damit wie mit seinen wie Kanonenschüsse abgefeuerten Ansichten zu Migration, Regulierung und Mainstream provoziert der Bundesvorsitzende beherzte Schenkelklopfer, zustimmende Pfiffe und begeistertes Fußgetrampel. Aiwanger genießt still.

Aiwangers Ansichten teilen viele, aber nicht alle in der Stadthalle. Manchem Realo stößt der Populismus, der dem Chef in Bayern die Herzen zufliegen lässt, sauer auf. Öffentlich mit Kritik an Aiwanger zitieren lassen? Das will niemand. „Lieber seriös an einem moderneren Bild der Freien Wähler mitarbeiten“, nennt ein junger Hesse die Devise. Es gehe nicht um den Bundesvorsitzenden, sondern um verantwortungsvolles Wirken.

Verantwortungsvolles Wirken ist das, was sich Joachim Streit auf die Fahnen geschrieben hat. Er wolle seiner Welt den Stempel aufdrücken, hatte der Fraktionsvorsitzende der Freien Wähler im Mainzer Landtag der RHEINPFALZ gesagt. Das kann Streit ab sofort als mehrheitlich gewählter stellvertretender Bundesvorsitzender. Einer, der sich mit sachorientierter Arbeit kommunal Anerkennung erarbeitet hat. Einer, der bei seiner Rede auf allzu viel Populismus verzichtet.

Den Krawallos zu monoton, den Konsensorientierten zu knallig

Der Verzicht auf Populismus gelingt an diesem Tag nicht allen. Zu divers ist die Partei, deren Vorsitzender Diversität nicht in die Top-5 seiner Lieblingsmerkmale einer Gesellschaft wählen würde. Den Krawallos in der Partei ist der Sound zu monoton, den auf Konsens Ausgelegten zu knallig. Hubert Aiwanger spielt mal im einen, mal im anderen Team. Wefelscheid und Aiwanger gehen sich in Bitburg weitestgehend aus dem Weg. Fraglich, ob beide dasselbe Verständnis haben von modernen Freien Wählern, die gestalten.

Wolfgang Kitow trägt keinen Pin am Revers, aber im Brustton der Überzeugung seine Meinung vor. Wenn es nach dem Ex-FDPler aus Niedersachsen gegangen wäre, hätten die Freien Wähler sich an diesem Tag mit „wichtigeren Dingen als längst überholten Debatten um Abgrenzungen“ beschäftigt. Seine Partei habe das legitime Thema doch umfangreich abgeräumt, sagt das Mitglied des niedersächsischen Landesvorstands. Der gescheitelte Mann mit Deutschlandflagge am tiefschwarzen Sakko neben Wolfgang Kitow nickt eifrig.

Das am Nachmittag zahm diskutierte Europawahlprogramm verkommt über all dies fast zur Nebensache. Ein bisschen bleiben die zu Papier gebrachten Gedanken zum Staatenbund so wie die Partei an diesem Tag in Bitburg im Uneindeutigen.

Hier lesen Sie einen aktuellen Kommentar zur Situation der Freien Wähler und zu ihrem Umgang mit der AfD.

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