Interview Pfälzer Kirchen: „Die AfD ist für Christen nicht wählbar“

 Auslöser der aktuellen Demonstrationen sind Berichte über Pläne von AfD-Politikern und Rechtsextremen zur Vertreibung von Milli
Auslöser der aktuellen Demonstrationen sind Berichte über Pläne von AfD-Politikern und Rechtsextremen zur Vertreibung von Millionen Menschen.

Wie geht die Kirche mit AfD-Mitgliedern in ihren Reihen um? Die Kirchenpräsidentin der Evangelischen Kirche der Pfalz, Dorothee Wüst, und der Speyerer Bischof Karl-Heinz Wiesemann, machen deutlich, wo Kirche Grenzen ziehen muss.

Zurzeit treibt es viele Menschen auf die Straße. Sie wollen ein Zeichen setzen gegen Rechtsextremismus. Waren Sie auch schon dabei?
Wüst: Am Samstag bin ich dabei: in Kaiserslautern, dort, wo ich wohne. Das Thema ist für uns als Kirche allerdings keines, das jetzt erst aufploppt. Es gehört zu unserer kirchlichen Kommunikation dazu, dass wir Themen wie Stärkung der Demokratie, von Werten, von Mitmenschlichkeit, Toleranz, Gastfreundlichkeit bedenken und versuchen, öffentlich zu machen.

Wiesemann: Ich habe mir die Teilnahme an einer in Speyer geplanten Demonstration vorgenommen. Grundsätzlich liegt mir der Schutz unserer Demokratie und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung am Herzen, dafür setze ich mich schon seit Langem ein.

Wüst: Ich finde es gut und wichtig, dass Menschen jetzt Farbe bekennen und sich für die Demokratie einsetzen. Aber das kann nicht alles sein. Wie nachhaltig das ist, wird sich über das Jahr hinweg erweisen. Zum Beispiel bei den anstehenden Wahlen. Wenn wir Demokratie stärken wollen, gehören auch andere Plattformen, andere Kommunikationswege und andere Orte dazu.

Dorothee Wüst ist seit März 2021 Kirchenpräsidentin der Evangelischen Kirche der Pfalz.
Dorothee Wüst ist seit März 2021 Kirchenpräsidentin der Evangelischen Kirche der Pfalz.

An was denken Sie da?
Wüst: Unsere Evangelische Akademie bietet entsprechende Veranstaltungen an. Wir haben eine Arbeitsstelle Frieden und Umwelt, bei der Seminare zum Thema stattfinden. Und natürlich unsere Gottesdienste und Kanzelreden. Wenn man sich unser Portfolio als Kirchen anschaut, sieht man, dass das Thema ganz eng verwoben ist mit dem, was wir die ganze Zeit getan haben, was wir derzeit tun und was wir auch weiterhin tun werden.

Rufen Sie zur Teilnahme an den Demonstrationen auf?
Wüst: Wir haben beschlossen, unsere Mitarbeitenden sowohl im Diakonischen Werk wie auch in der verfassten Kirche zur Teilnahme an den Demonstrationen einzuladen. Letztlich ist es natürlich die freie Entscheidung jeder Einzelnen und jedes Einzelnen.

Wiesemann: Es ist an der Zeit, klar zu zeigen, wofür man als Christ steht. Ich ermutige jeden, an solchen Demonstrationen teilzunehmen. Wie groß der Wert von Demokratie und Freiheit ist, merkt man, wenn man sieht, welche Alternativen im Raum stehen könnten.

Karl-Heinz Wiesemann ist seit 2007 Bischof von Speyer.
Karl-Heinz Wiesemann ist seit 2007 Bischof von Speyer.

Macht die AfD Ihnen Angst?
Wüst: Die AfD macht mir keine Angst. Was mir Angst macht, ist, wenn das, was die AfD sagt, unwidersprochen bleibt. Im vergangenen Jahr habe ich zum ersten Mal Angst bekommen, dass unsere Demokratie nicht so stabil ist, wie ich bisher dachte. Weil immer mehr Dinge gesagt und als selbstverständlich hingenommen werden, denen eigentlich widersprochen werden müsste.

Halten Sie die Wahl der AfD für unvereinbar mit dem christlichen Glauben?
Wüst: Ja. Es reicht ja schon, wenn man das Parteiprogramm liest. Da braucht es nicht einmal mehr die aktuellen Nachrichten zu dem Treffen der Rechtsextremen in Potsdam. Die AfD steht für Ideen, die nicht mit dem christlichen Glauben vereinbar sind. Wir sind eine Glaubensgemeinschaft, und das kann man in der Bibel nachlesen, die eine bestimmte Haltung gegenüber Geflüchteten hat. Toleranz, Gemeinsinn und Nächstenliebe, das sind unsere Werte.

Wiesemann: Da die AfD immer extremer wird, halte auch ich ihre Wahl für unvereinbar mit dem christlichen Menschenbild. Bisher war ich eher vorsichtig, wenn es um Stellungnahmen zu politischen Parteien ging. Aber wenn ich mir die Entwicklung der letzten Monate anschaue, wenn ich sehe, dass der Verfassungsschutz die AfD zum Beispiel in Sachsen als „gesichert rechtsextremistisch“ bezeichnet, sieht das jetzt anders aus. Die ostdeutschen katholischen Bischöfe haben eine ganz klare Stellungnahme verfasst. Sie haben die AfD als nicht wählbar für Christen bezeichnet. Dem schließe ich mich ausdrücklich an.

Ist es dann noch tragbar, dass AfD-Mitglieder in den Kirchen aktiv sind?
Wüst: Da muss man genauer hinschauen. Die AfD-Mitglieder und AfD-Wähler sind keine homogene Masse, die alle dasselbe denken. Viele sind einfach nur verunsichert, haben Angst, sorgen sich um ihr Wohlergehen und um die Zukunft. Deswegen möchte ich das differenzieren. Es gibt sicher Anhängerinnen und Anhänger der AfD, die nicht gesprächsbereit sind. Aber es gibt auch Menschen, die glauben, in der AfD etwas zu finden, was sie anderswo nicht finden, und trotzdem noch ansprechbar sind. Denen kann man sagen: „Schau doch einmal genau hin, ob es das wirklich ist, was du willst.“ Es ist eminent wichtig, mit diesen Menschen im Gespräch zu bleiben und zu ergründen, warum das so ist. Da haben wir sogar eine Verantwortung als Kirchen.

Wiesemann: Kirche ist zuerst ein Ort des Miteinanders. Und ich bin kein Moralist, der anderen etwas vorschreiben will. Aber das christliche Menschenbild setzt Grenzen. Deswegen halte ich ein kirchliches Ehrenamt für unvereinbar mit einem tragenden Amt bei der AfD. Mit jenen, die gesprächsbereit sind, sollten wir aber immer versuchen, im Dialog zu bleiben.

Gelingt Ihnen das?
Wüst: Wir sind gesprächsbereit, die Menschen müssen das Gespräch aber auch suchen.

Tun sie das?
Wüst: Es kommt niemand zu mir und sagt: „Ich wähle AfD, rede mit mir.“ Was bei mir aber schon ankommt, das sind die Meinungen vieler Menschen. Das erlebe ich, das erleben aber auch alle Kolleginnen und Kollegen, die vor Ort sind, dass da schon Menschen auf uns zukommen und sagen: „Was die AfD sagt, das leuchtet mir ein. Wie siehst denn du das?“

Müssen Sie auch Kritik einstecken, wenn Sie sich für die Stärkung der Demokratie einsetzen?
Wiesemann: Ich habe schon ablehnende Mails auf Predigten bekommen. Es gibt da unterschiedliche Dimensionen der Kritik. Da heißt es, die Kirche sollte das Evangelium verkünden und sich aus der Politik heraushalten. Natürlich ist die Kirche keine politische Institution, wir sehen uns als Verkünder des Glaubens. Aber meines Erachtens lassen sich Glaubensfragen und gesellschaftliche Fragen nicht voneinander trennen. Es geht darum, wie wir die Gesellschaft von heute und morgen miteinander gestalten wollen. Gehen wir nationalistischen und rassistischen Fantasien nach oder haben wir einen universellen Blick auf die Menschen? Wie weit sind die Räume, in denen wir denken? Wie freiheitlich geht es dabei zu? Welche Rechte haben alle? Das sind Grundfragen des Lebens und des Miteinanders. Und da haben wir durch das christliche Menschenbild eine klare Position.

Wüst: Persönlich angegriffen wurde ich noch nie. Von uns erwartet ja auch jeder, dass wir uns für bestimmte Werte einsetzen. Allerdings gibt es auch Verunsicherung in unseren Reihen. Das war zum Beispiel beim Thema Sea-Watch so. Dass die EKD Seenotrettungsschiffe gekauft hat, dazu kamen bei den leitenden Geistlichen sehr unterschiedliche Meinungen an. Die einen sagten: „Kauft noch zehn Schiffe!“ Und die anderen beklagten: „Ihr mischt euch in Dinge ein, die euch nichts angehen.“ Diese Bandbreite an Meinungen müssen wir aushalten. Man kann von uns als Kirche erwarten, dass wir eine Position haben, die nicht identisch ist mit einer parteipolitischen Position, sondern originär die unsere. Als Teil der Gesellschaft haben wir natürlich auch eine Meinung zu Gesellschaft – und eine Verantwortung. Was man allerdings auch von uns erwarten kann, ist, dass wir noch gesprächsbereit, also diskursfähig sind. Das können leider viele Menschen nicht mehr so gut. Als Kirche sollten wir einen Diskursraum bieten. Wir können sagen, was wir meinen. Aber wir hören auch zu, was andere meinen.

Wiesemann: Ich stimme der Kirchenpräsidentin voll und ganz zu. Wichtig ist es, im Dialog zu bleiben, selbst wenn man die Meinung nicht teilt. Man darf sich nicht abschotten und nur noch in den sich selbst bestätigenden Meinungsblasen verharren. Da erlebt man dann Aussagen wie „Die lügen doch sowieso nur alle“ und „Ich beziehe meine Informationen nur noch aus bestimmten Kanälen im Internet“. In solchen Fällen sehe ich die Demokratie wirklich an der Wurzel gefährdet.

Wie bereiten Sie Ihre Mitarbeiter auf solch schwierige Konversationen und Diskussionen vor?
Wiesemann: In der Ausbildung und auch in den Fortbildungen wird viel Wert auf Kommunikation gelegt. Die Fähigkeit, auf unterschiedliche Menschen zuzugehen, ist Grundvoraussetzung für den pastoralen Alltag. Die Herausforderung im Moment ist allerdings enorm. An viele Menschen kommt man gar nicht heran. Das ist das eigentliche Problem.

Viele Menschen suchen derzeit nach Orientierung. Gerade in diesen Zeiten, in denen die Welt so komplex ist und immer mehr Menschen das Gefühl haben, sie dreht sich zu schnell und zu unrund. Ist die Kirche da sichtbar genug?
Wüst: Diese Sichtbarkeit ist unser Ziel und unsere Aufgabe. Wo uns das nicht gelingt, müssen wir etwas ändern. Denn natürlich machen wir die Erfahrung, dass immer weniger Menschen den Eindruck haben, dass wir ein Ort sind, an dem sie Halt finden. Umgekehrt haben Menschen, die sich in einer existenziellen Krise befinden, durchaus noch ein Gespür dafür, dass Kirche ein Ort ist, an dem sie etwas finden, was sie sonst nirgendwo finden.

Wiesemann: Die epochalen Veränderungen, die wir alle gerade erleben, haben natürlich auch Auswirkungen auf unsere Arbeit. Wir sind am Experimentieren, wie wir uns den neuen Herausforderungen stellen können. Übrigens nicht nur in der analogen Welt, sondern auch im Digitalen. Eine Chance sehe ich in unserer Präsenz in Schulen, die wir als Räume des offenen Denkens und des Miteinanders begreifen.

Zum Thema Bildungsarbeit an Schulen, Konfirmanden- und Firmunterricht: Schaffen es die Kirchen überhaupt, den jungen Menschen Antworten auf ganz konkrete gesellschaftliche Fragen zu geben?
Wüst: Das ist ganz unterschiedlich. Manchmal fehlt offenbar der konkrete Bezug, manchmal hören wir, es sei zu viel tagesaktueller Bezug, beispielsweise im Religionsunterricht. Im Großen und Ganzen, so die Rückmeldungen von Kolleginnen und Kollegen und aus den Kirchengemeinden, ist man schon bemüht, neben den Vorgaben des Lehrplans auch das zu thematisieren, was die jungen Leute bewegt. Wir haben vor einigen Jahren einen neuen Rahmenplan für die Konfirmandenarbeit eingeführt, in dem die Lebenswirklichkeit der jungen Menschen eine große Rolle spielt. Auch im Religionsunterricht ist das so, der ist in der Regel keine reine Vermittlung von Religionstheorie und -geschichte. Das bestätigen uns auch die Schulleitungen. Sie sind froh, dass es den Religionsunterricht gibt, weil der einen Raum bietet, der „eine andere Farbe hat“. Wo man anders und abseits von Leistungsgedanken über das Leben und das, was junge Menschen umtreibt, reden kann.

Wiesemann: Sowohl der Religionsunterricht als auch zum Beispiel der Firmunterricht orientieren sich sehr stark an der Lebenswelt der Jugendlichen. Das ist keine einfache Aufgabe in unserer sich rasant verändernden Welt. Zudem ist das Grundwissen, das Kinder und Jugendliche mitbringen, doch recht unterschiedlich ausgeprägt. Der Eindruck, dass das nur noch fragmentarisch gelingt, dass wir das nicht mehr umfassend schaffen, dass das uns alles überfordert, das hat etwas mit dem unglaublichen Wandel der Gesellschaft, dem Zerbrechen von Traditionen zu tun. Wir haben es mit einem echten Epochenwandel zu tun. Man hat das Gefühl, man steht vor einer riesigen Baustelle und weiß nicht, wo man anfangen soll. Trotzdem werde ich mich voller Mut immer wieder auf die Baustelle wagen.

Manche argumentieren, die AfD müsse verboten werden, um unsere Demokratie zu schützen. Was denken Sie über ein AfD-Verbot?
Wüst: Wenn der Verfassungsschutz zu der Überzeugung kommt, dass es sich um eine nicht verfassungskonforme Partei handelt, dann sollte die AfD verboten werden. Das ist aber dann eine Aufgabe der entsprechenden Institutionen.

Wiesemann: Dafür bin ich nicht der Fachmann. Was mir aber Sorgen macht: Obwohl der Verfassungsschutz über einzelne AfD-Landesverbände schon geurteilt hat, dass sie gesichert rechtsextremistisch sind, hat das nicht dazu geführt, dass weniger Menschen der AfD ihre Stimme geben, im Gegenteil. Ich frage mich also, was ein Verbot überhaupt bewirken könnte.

Wofür Sie mit Sicherheit ein Fachmann sind, das ist Gottvertrauen. In diesem Jahr stehen wichtige Wahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg an. Aber auch die Europawahl und die Wahlen in den USA. Wie viel Gottvertrauen ist nötig, um angesichts der guten Umfragewerte für Rechtspopulisten trotzdem zuversichtlich in die Zukunft zu blicken?
Wiesemann: Ich glaube, dass sehr viel Gottvertrauen nötig ist. Ich glaube aber auch, dass dieses Gottvertrauen gut begründet ist: Weil sich Fatalismus nicht lohnt und weil die Zukunft von Gott her immer offen ist. Diese Zukunft positiv zu gestalten, auch in schwierigen Zeiten Rückgrat zu zeigen, das gibt immer wieder Mut und Kraft.

Wüst: Mein Leben ist getragen von Gottvertrauen – sowohl privat als auch dienstlich. Ich bin der festen Überzeugung, dass Gott mit uns Menschen durch die Geschichte geht und dass es sein Plan ist, uns an ein gutes Ziel zu führen. Das bedeutet aber nicht, dass man sich voller Gottvertrauen zurücklehnen und abwarten kann. Im Gegenteil: Gerade weil ich auf Gott vertraue, trage ich auch Verantwortung, wie ich mich als Mensch innerhalb einer Gemeinschaft verhalte und mit welcher Haltung ich auftrete. Deshalb glaube ich auch, dass wir gerade jetzt noch mehr brauchen als Demonstrationen. Verantwortung zu zeigen, bedeutet auch, dass ich wählen gehe. Und dass ich auch bei Wahlen Haltung zeige.

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