Politik Migrationsrepublik Deutschland

Der demografische Wandel erfordert, dass auch künftig Arbeitnehmer zuwandern, sagen Wirtschaftsexperten. Wie geht Deutschland damit um?

Anschaulich wird die Überalterung der Bevölkerung möglicherweise durch diese Zahl: Nach Angaben des Bundeswahlleiters ist inzwischen gut ein Drittel der Wahlberechtigten mindestens 60 Jahre alt. Zwar ist die Geburtenrate laut Statistischem Bundesamt zuletzt wieder leicht gestiegen – von 1,36 Kinder pro Frau 2009 auf 1,5 Kinder im Jahr 2015. Das ist der höchste Wert seit der Wiedervereinigung. Doch damit lag Deutschland immer noch unter dem EU-Durchschnitt (1,58) oder unter dem Mittel von Ländern wie Frankreich (1,96) oder Irland (1,92). Längst klagen Wirtschaftsverbände und Unternehmen über zunehmenden Fachkräftemangel. Und: Noch nie gab es so viele offene Lehrstellen wie im vergangenen Jahr. Laut dem jüngsten Berufsbildungsbericht konnten rund 43.500 Ausbildungsplätze, die der Bundesagentur für Arbeit gemeldet waren, nicht besetzt werden. Das sind 4,5 Prozent mehr als im Jahr davor. Rein rechnerisch kamen auf 100 Schulabgänger 104,2 Ausbildungsplätze. Freilich gingen auch viele Leerstellenbewerber leer aus. In der Regel, weil sie den Ansprüchen der Unternehmen nicht genügten. Um den Wohlstand in Deutschland auch in Zukunft zu halten, so argumentieren Parteien, Verbände, Gewerkschaften oder Wissenschaftler, müsse auch auf Zuwanderung gesetzt werden. Viele rufen nach einem Einwanderungsgesetz. Schon heute haben 22,5 Prozent der hier Lebenden Migrationshintergrund. Wie ist die Zuwanderung nach Deutschland derzeit geregelt? Unbeschränkten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt haben Menschen aus 31 Ländern. Das sind Bürger aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie aus Island, Liechtenstein, Norwegen und der Schweiz. Wer einen Schweizer Pass hat, muss zwar formal eine Aufenthaltserlaubnis beantragen. Die ist aber nach Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge ein rein deklaratorischer Art, also Formsache. Ferner gibt die EU die sogenannte Blaue Karte aus. Wer aus einem Nicht-EU-Land stammt, eine akademische oder gleichwertige Ausbildung hat und ein bestimmtes Mindestgehalt von einem Arbeitgeber angeboten bekommt, darf einwandern. Er bekommt einen Aufenthaltstitel, der zunächst auf vier Jahre befristet ist. Inhaber der Blauen Karte haben Anspruch auf eine unbefristete Niederlassungserlaubnis in Deutschland, wenn sie nach 21 Monaten Beschäftigung zugleich über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen (Niveau B 1). Außerdem schafft das deutsche Aufenthaltsrecht weitere Einwanderungsmöglichkeiten. Unter anderem: Studenten, die ihren Abschluss hierzulande gemacht haben, können eine Niederlassungserlaubnis beantragen, wenn sie einen Arbeitsplatz vorweisen können. Ausländische Selbstständige dürfen sich niederlassen, falls in Deutschland ein wirtschaftliches Interesse daran besteht und falls genügend Finanzmittel vorhanden sind. Ganz generell gilt: Das Bundesarbeitsministerium kann für ganze Berufsgruppen oder für Arbeitnehmer aus vom Ministerium zu bestimmenden Ländern Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigungen gewähren. Was in der Einwanderungsdebatte in der Regel höchstens am Rande gestreift wird, ist dieser Aspekt: Volkswirtschaftlich ist der Zuzug von Fachkräften aus dem Ausland für das Zielland ein gutes Geschäft. Wandert beispielsweise ein Arzt nach Deutschland ein, spart sich der hiesige Staat Schul- und Universitätskosten in Höhe von 300.000 Euro. Für das Auswanderungsland hingegen ist ein solcher „Braindrain“ (Verlust von Qualifizierten) katastrophal. Denn das dortige Gemeinwohl hat zunächst in die Ausbildung des Arztes investiert. Es bleibt dann aber auf den Kosten sitzen, weil der angehende Mediziner auswandert und Steuern in einem anderen Land bezahlt. Nach Schätzungen sind allein aus Rumänien seit dem EU-Beitritt des Landes 2007 rund 14.000 Ärzte ausgewandert, Ungarn, das 2004 der EU beitrat, haben 5000 Mediziner den Rücken gekehrt. Entwicklungsländer kommen oft genug auch deshalb nicht auf die Beine, weil sie kaum Fachkräfte haben. Und die wenigen Qualifizierten, die sie ausbilden, werden dann auch noch von Europa und den USA abgeworben. In der nächsten Legislaturperiode wird die neue Bundesregierung sich des Themas Zuwanderung vermutlich erneut annehmen. Alle Bundestagsparteien sowie die FDP sprechen sich in ihrem Wahlprogrammen für ein Einwanderungsgesetz aus. In öffentlichen Diskussionen über Einwanderung werden gelegentlich mehrere Dinge miteinander vermischt. Es wird beispielsweise ein Einwanderungsgesetz gefordert, das Migration auf den deutschen Arbeitsmarkt steuernd zulässt, zugleich aber Zuwanderung aufgrund des herrschenden Asyl- oder Flüchtlingsrechts begrenzen soll. Doch die Vermischung der jeweiligen Rechtskreise ist unzulässig. Denn dass politisch Verfolgte Asylrecht genießen, ist als eines der Grundrechte in der Verfassung verankert. Ferner hat Deutschland die völkerrechtsverbindliche Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet sowie ähnliche Vertragswerke auf europäischer Ebene.

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