Politik Leitartikel: Gewalt wird die Norm

Seit sieben Jahren wird in Syrien Krieg geführt – und niemand ist in der Lage, das Blutbad zu beenden. Die Tragödie in Syrien ist auch die Tragödie der

Vereinten Nationen. Das Recht des Stärkeren verdrängt das Völkerrecht. Der UN-Sicherheitsrat, die zentrale

Instanz zur Regulierung von

Konflikten, wird zum Papiertiger.

Schon früh fand António Guterres die passenden Worte. Im September 2013 warnte der Portugiese: „Syrien ist die große Tragödie dieses Jahrhunderts geworden.“ Damals kümmerte sich Guterres als Hochkommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge um die Millionen Opfer des Konflikts, der im März 2011 seinen blutigen Lauf nahm. Heute trägt Guterres als Generalsekretär Verantwortung für die gesamten Vereinten Nationen. Und er blickt auf ein sieben Jahre dauerndes Blutbad in Syrien. Seine Worte treffen noch immer zu. Der Syrien-Krieg ist die große Tragödie für das Land und seine Menschen. Der Syrien-Krieg ist aber auch die große Tragödie für die Vereinten Nationen. Denn der Waffengang in dem arabischen Land beschädigt Autorität und Legitimation der Weltorganisation. Es ist die Organisation, die 1945 als Gerüst der internationalen Ordnung aufgebaut wurde, um den Weltfrieden zu wahren. Heute aber verdrängt das Recht des Stärkeren das Völkerrecht. Rohe Gewalt wird die Norm. Nie fanden die Vereinten Nationen eine Strategie, den Syrienkrieg zu beenden. Drei UN-Sondergesandte mühten sich bislang vergeblich ab. Im Weltsicherheitsrat blockiert Russland alle Beschlüsse, die seinem Waffenbruder Assad gefährlich werden können. Diejenigen Resolutionen, die verabschiedet werden, erweisen sich nicht selten als wertloses Papier. So etwa die im Februar beschlossene Resolution 2401. Darin fordert das UN-Gremium eine 30-tägige Waffenruhe. Doch die Kriegsparteien scherten sich nicht darum. Im Gegenteil. Sie verschärften die Gemetzel. Der Sicherheitsrat, die zentrale Instanz zur Regulierung von Konflikten im UN-System, wird zum Papiertiger. Ein ebenso düsteres Bild bietet sich auf einem anderen zentralen Feld der internationalen Ordnung: der juristischen Verfolgung von Kriegsverbrechen. Syriens Konfliktparteien, allen voran das Assad-Regime und die Terrormiliz „Islamischer Staat“, verübten unvorstellbare Gräueltaten: von gezielten Luftangriffen auf Schulen und Krankenhäuser über den Einsatz von Giftgas bis hin zu massenhaften Vergewaltigungen. UN-Ermittler sammelten in den vergangenen Jahren erdrückende Beweise, die Namen vieler Täter und Befehlsgeber sind bekannt. Ob der Internationale Strafgerichtshof, ein internationales Syrien-Tribunal oder die Syrer selbst die Kriminellen jemals zur Rechenschaft ziehen werden, ist aber fraglich. Die Vereinten Nationen können den Syrien-Konflikt nicht stoppen, und die Verbrecher könnten straffrei ausgehen. Eine Tragödie. Andere Kriegstreiber und Despoten rund um den Globus schauen auf Syrien und fühlen sich in ihrem Tun bestärkt. Was in Syrien klappt, das klappt auch anderswo. So lautet die verhängnisvolle Botschaft. Die Schuld für die langsame Erosion der internationalen Ordnung tragen viele. Russland ist zu nennen, natürlich. Zu reden ist aber auch über die anderen vier ständigen Mitglieder des Weltsicherheitsrates: die USA, China, Frankreich und Großbritannien. Sie unternehmen viel zu wenig, um die internationale Ordnung zu stabilisieren. Die fünf Vetomächte genehmigten sich bei der Gründung der Vereinten Nationen selbst ihre herausgehobene Stellung. Somit tragen diese Länder auch eine besondere Verantwortung für die Vereinten Nationen. Dieser Verantwortung werden sie nicht gerecht. Die vielen Opfer von Unterdrückung, Gewalt und Krieg rund um den Globus zahlen den Preis. Nicht nur in Syrien.

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