Politik Leitartikel: Ein Sieger, viele Verlierer

Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron ist aus der ersten Runde der Parlamentswahl als großer Gewinner hervorgegangen. Vielen künftigen

Abgeordneten seiner Partei fehlt aber parlamentarische Erfahrung. Macrons Partei wird Mühe haben, Spitzenposten im Parlament

angemessen zu besetzen.

Die Franzosen reiben sich nach der ersten Runde der Parlamentswahl verwundert die Augen. Die politische Landschaft im westlichen Nachbarland ist nicht wiederzuerkennen. Eine Partei, die es vor gut einem Jahr noch gar nicht gab und die weder rechts noch links verortet sein will, La République en Marche (LRM, Vorwärts die Republik), hat sich am Sonntag an der Seite ihres Juniorpartners, der Zentrumspartei Modem, mit 32,3 Prozent durchgesetzt und wird in der neuen Nationalversammlung voraussichtlich mehr als 400 der 577 Abgeordneten stellen. Von der Opposition dagegen sind nur noch Krümel übrig. Die konservativen Republikaner und ihre Verbündeten dürfen auf 70 bis 110 Abgeordnete hoffen, die mit 9,5 Prozent zur Kleinpartei verkommenen Sozialisten und ihre Partner auf 20 bis 30. Einen wichtigen Beitrag zur Einordnung dieses politischen Erdbebens lieferten gestern diejenigen, die am Vortag zu Hause geblieben waren. „Wir haben Macron zum Präsidenten gewählt, jetzt sollten wir ihm beim Regieren nicht in die Parade fahren“, war aus Nichtwählermunde zu hören. Anders gesagt: Ohne vom neuen Staatschef restlos überzeugt zu sein, dem die Meinungsforscher einen sicheren Sieg prophezeit hatten, wollte so mancher Daheimgebliebene den Dingen ihren Lauf lassen. Zumal die Opposition eben ein klägliches Bild abgibt, sich nicht als Alternative aufdrängt. Drei der auf den Plätzen zwei bis fünf gelandeten Formationen sind intern heillos zerstritten. Bei den Republikanern liegen bürgerlich-liberale Politiker im Clinch mit Rechtsnationalisten, bei den Sozialisten Sozialdemokraten mit Altlinken. Im Front National ist es das Festhalten am Euro ein Thema, das entzweit. Bis zur zweiten Wahlrunde wird der Kitt der Parteidisziplin wohl noch halten. Anschließend aber dürfte abgerechnet werden. Ganz besonders gilt dies für die Sozialisten, deren Führungspersonal am Sonntag weitgehend auf der Strecke geblieben ist. Ob Parteichef Jean-Christophe Cambadélis oder Ex-Präsidentschaftskandidat Benoît Hamon: Am kommenden Sonntag, wenn in der zweiten Wahlrunde nur antreten darf, wer in der ersten mindestens 12,5 Prozent der Stimmberechtigten hinter sich gebracht hat, sind beide nur Zuschauer. Diejenigen, die am Sonntag die Wahllokale aufgesucht und die LRM zum Sieger gemacht haben, dürften nicht zuletzt dem Präsidenten ihre Reverenz erwiesen haben. Die überwiegend unbekannten, zur Hälfte aus der Zivilgesellschaft kommenden Kandidaten der Partei hatten meist nicht die Zeit, sich zu profilieren. Ganze 27 der von LRM und Modem aufgebotenen 517 Mitstreiter saßen bereits in der vergangenen Legislaturperiode im Parlament. Die Hälfte verfügt nicht einmal über lokalpolitische Erfahrung. Anders als der Wechsel prominenter konservativer und sozialistischer Überläufer vermuten lässt, die bei der neuen Regierung angeheuert haben, hat der Erneuerer Macron darauf geachtet, LRM nicht zur Recycling-Anstalt für abgehalfterte Altpolitiker zu machen. Soweit Sozialisten und Republikaner aufgenommen wurden, durften sie zwar ihr altes Parteibuch behalten, mussten aber glaubhaft belegen, dass sie „Macron-kompatibel“ waren, sprich: der Sozialdemokratie verpflichtete Sozialisten oder zur bürgerlichen Mitte tendierende Republikaner. Die Erneuerung hat freilich ihren Preis. LRM wird Mühe haben, Spitzenposten in der Nationalversammlung angemessen zu besetzen.

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