Politik Leitartikel: Die Mühen der Annäherung

Der Besuch von Außenminister Maas in der Türkei ist ein Beleg für

diplomatischen Fortschritt in den Beziehungen zwischen Berlin und Ankara.

Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Auf die derzeit freundlichen Worte könnten schon bald neue Tiraden

von Präsident Erdogan folgen.

Man redete sich als „lieber Mevlüt“ und als „geschätzer Freund“ an: Das Bemühen, wenigstens atmosphärisch voranzukommen, war dem deutschen Außenminister Heiko Maas und seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu bei Maas’ Visite anzumerken. So ganz neu ist dieser Stil aber nicht. Schon Vorgänger Sigmar Gabriel ließ nichts aus, um die doch rüden Töne vergessen zu machen, die 2015 und 2016 einen Tiefpunkt in den historisch so engen Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei markierten. Gabriel lud Cavusoglu in seine Heimat nach Goslar ein, nachdem dieser ihn in Antalya empfangen hatte. Wie tief reichen die Wurzeln der Beziehungen? Schon zu Kaiserzeiten waren Deutsche und Türken Alliierte, sie sind es bis heute in der Nato. Infolge der Zuwanderung von Gastarbeitern gibt es in der Bundesrepublik mehr als vier Millionen Menschen, die Türken oder zumindest türkischstämmig sind. Seit 1996 verbindet eine Zollunion die EU mit der Türkei; auch deutsche Unternehmen sind Nutznießer. Wie tiefgreifend sind die Verwerfungen, die das Verhältnis seit Jahren belasten? Sie gehen weit über die Spannungen hinaus, die sich entluden, als im Juli 2016 in der Türkei geputscht wurde und Deutschland die dann folgende Hexenjagd auf Regierungsgegner scharf kritisieren musste. Schon 2014 hielt der damalige Bundespräsident Joachim Gauck in Ankara eine Rede, in der er freundschaftlich Demokratiedefizite in der Türkei benannte. Präsident Recep Tayyip Erdogan stieß dies sehr übel auf. Auch das Ringen um eine Resolution des Bundestags zu den Massakern an den Armeniern im Ersten Weltkrieg sorgte für viel böses Blut. Nicht zu vergessen der Dauerstreit um die zigtausenden Anhänger der terroristischen Kurdenorganisation PKK, die in Deutschland leben. Islamophobie in Deutschland tut ein Übriges, um die Beziehungen auch künftig auf die Probe zu stellen. Der politische Graben zwischen Berlin und Ankara wird nicht in Tagen, nicht in Wochen und auch nicht in Monaten zuzuschütten sein. Dass die Minister Maas und Cavusoglu in ihren Statements vor allem auf die Lage in Syrien abhoben, war angesichts der dramatischen Lage in Idlib auch angezeigt. Es kann aber die massiven Differenzen, die fortbestehen, nicht kaschieren. Auf der Plusseite der Maas-Reise steht, dass Staatspräsident Erdogan den deutschen Chefdiplomaten 50 Minuten empfangen hat und auch Parlamentspräsident Binali Yildirim Zeit hatte. So ein Protokoll bekommt nicht jeder Außenminister, der nach Ankara fährt. Die Türken wissen, dass Deutschland die Schlüsselmacht in der EU ist, nicht zuletzt wirtschaftlich. Und nicht von ungefähr soll schon im Oktober Wirtschaftsminister Peter Altmaier mit einer großen Delegation von Firmenchefs in die Türkei reisen. Selbst die atmosphärische Annäherung könnte aber schnell wieder von Tiraden Erdogans zunichte gemacht werden. Er will bei seinem Besuch in Deutschland Ende des Monats wie schon 2008, 2010, 2014 und 2016 vor deutsch-türkischen Landsleuten reden, am liebsten wieder in Köln. In der momentanen innenpolitischen Lage ist das für die Bundesregierung ein heikler Wunsch: Große Gegendemos scheinen programmiert. Denn dass es diesen Staatsbesuch überhaupt geben soll, so lange deutsche Bürger wie politische Geiseln in der Türkei weggesperrt sind, ist und bleibt schwer erträglich. Mutmaßlich hat Maas Erdogan nahegelegt, nicht zu viel zu wollen. Ob der nachgibt? Eher nicht.

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