Politik Leitartikel: Der Zauber des Neuen

Frankreichs neue Regierung sagt: Zunächst machen wir unsere

Hausaufgaben, dann reformieren wir die Euro-Zone. Auf dieser

Geschäftsgrundlage sollte Deutschland offen, kooperativ und hilfreich sein. Von Vertrauen war da wenig

zu spüren. Genau das scheint

Macron begriffen zu haben.

Gehen wir auf der Zeitachse zurück ins Jahr 2015. Erinnern wir uns an eine Rede von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker im Europaparlament. Damals sagte Juncker: „Unsere Europäische Union befindet sich in keinem guten Zustand.“ Mit diesen Worten hat Juncker wertend zusammengefasst, was sich seit Euro-Krise und Flüchtlingszustrom in Europa so alles verspannt hat. Seitdem ist keine Besserung eingetreten. Im Gegenteil. Dem Patienten Europa geht es eher schlechter. Die einst beflügelnde Idee eines geeinten Europa wird geschichtsvergessen angegriffen. Gegen die Europamüdigkeit schien niemand einen Muntermacher aus der Zaubertüte ziehen zu können. Aber noch ist nicht aller Tage Abend. Vielleicht ist mit Emmanuel Macron ein Muntermacher voller guter Ideen und realistischer Vernunft in den Élysée-Palast eingezogen. Im Wahlkampf, aber auch davor und danach, hat der neue französische Präsident seinen Bürgern erklärt, zunächst müsse Frankreich seine Hausaufgaben machen. „Solange wir die hinauszögern, können wir nicht auf das Vertrauen der Deutschen setzen, die wir in diesem Punkt bereits 2003 und 2007 enttäuscht haben“, so Macron. Vertrauen. Das ist in den europäischen Zusammenhängen ein unterschätzter Begriff, auch im deutsch-französischen Verhältnis. Zwar hat noch jede Bundesregierung pflichtschuldig das Bild vom deutsch-französischen Motor bemüht, der Europa voranbringen soll. Doch das waren zuletzt nur Lippenbekenntnisse. In Wahrheit hat Berlin den Regierungen Sarkozy oder Hollande weder ver- noch ihnen Handlungswillen zugetraut. Jedenfalls nicht, dass sie ihre Hausaufgaben machen. Die da wären: das Defizit abbauen, die Arbeitslosigkeit bekämpfen, das Land wettbewerbsfähig machen. Vor diesem Hintergrund sind wohl auch die ohnehin nur als Stichworte hierzulande bekanntgewordenen europapolitischen Visionen des Emmanuel Macron bewertet worden. Euro-Finanzminister, eigener Etat für die Eurozone, gemeinsame Finanzierung von Projekten – für viele klangen diese Reformüberlegungen wie eine Drohung. Denn es geht längst nicht mehr um die Güte von Vorschlägen. Vielmehr lauert im Hintergrund immer die Frage: „Müssen wir wieder zahlen?“ Von Vertrauen war da wenig zu spüren. Genau das scheint Macron begriffen zu haben, jedenfalls im Umgang mit dem deutschen Nachbarn. Ob bei seinem Besuch in Berlin oder nach dem gestrigen Gespräch des neuen französischen Finanzministers Bruno Le Maire beim deutschen Kollegen Wolfgang Schäuble – die Reihenfolge der Botschaften war immer die gleiche: Zunächst will Frankreich seine Hausaufgaben anpacken. Und auf dieser Basis zusammen mit Berlin grundlegende Veränderungen in der Euro-Zone anstoßen. Das könnte geeignet sein, Vertrauen wieder herzustellen. Klar, das sind zunächst Willensbekundungen der Regierung Macron. Die machen es in der Sache nicht leichter. Aber in den vergangenen Jahren war nicht einmal der beiderseitige Willen zum Fortschritt zu erkennen. Das hat sich nun geändert. Und die Bundesregierung scheint das auch begriffen zu haben. Daher: Auf der klaren Geschäftsgrundlage, dass Frankreich zunächst seine Hausaufgaben macht, sollte Deutschland offen, kooperativ und hilfreich sein. Der deutsch-französische Motor muss wieder brummen – und Zugkraft für die gesamte EU entwickeln. Dann könnte der EU-Kommissionspräsident möglicherweise 2022 verkünden: „Unsere Europäische Union befindet sich in einem guten Zustand.“

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