Kriege Landauer Konfliktforscher fordert: Umdenken, bitte!
Am Freitag jährt sich das Ende des Zweiten Weltkriegs zum 75. Mal. Dass es die Menschheit geschafft hat, ein Dreivierteljahrhundert ohne Weltkrieg auszukommen, ist eigentlich ein Grund zur Freude – wären da nicht die unzähligen bewaffneten Konflikte, die auch heute noch großes Leid in der Welt verursachen. Heute sterben die meisten Menschen allerdings nicht mehr in klassischen Kriegen, also Staat gegen Staat in direkter Auseinandersetzung, sondern in „internationalisierten Bürgerkriegen“. So nennt man es, wenn ein Staat gegen eine Gruppe innerhalb des Staats kämpft und mindestens ein weiterer Staat beteiligt ist – siehe Afghanistan, Syrien und Jemen. Allein in diesen Ländern starben 2018 über die Hälfte der weltweit etwa 77.000 Menschen, die in bewaffneten Konflikten ihr Leben verloren.
Wenn Staaten sich in Bürgerkriege einmischen
Wenige internationalisierte Bürgerkriege verursachen die meisten Toten, gleichzeitig hat die Anzahl an bewaffneten Konflikten ohne staatliche Beteiligung – wir denken an Konflikte zwischen mexikanischen Drogenkartellen – und die Gewalt gegen Zivilisten – Stichwort Islamischer Staat – in den vergangenen zehn Jahren zugenommen. Was treibt eigentlich bewaffnete Konflikte an? Welche Rolle spielt dabei der Klimawandel? Wie wirkt sich die Corona-Pandemie auf Krieg und Frieden aus? Wie können wir mit alldem besser umgehen?
Konflikte entstehen meist aus einem Zusammenspiel verschiedener Faktoren, deren Identifizierung und Gewichtung oft schwerfällt. So können wirtschaftliche und soziale Ungleichheit in Kombination mit einer wachsenden Unzufriedenheit in der Bevölkerung zu Treibern von Bürgerkriegen werden. Damit es dazu kommt, muss es Akteure geben, die sich vom Konflikt einen Gewinn versprechen und die in der Lage sind, Gruppen zu bewaffnen und gegen andere aufzubringen. Oft werden Religion oder ethnische Zugehörigkeit dazu instrumentalisiert. Wenn andere Staaten sich in Bürgerkriege einmischen, dann meist deshalb, weil sie Vorteile wittern: Sie wollen ihre eigene Machtstellung in einer Weltregion stärken oder Zugang zu Ressourcen bekommen.
Begehrt sind erstens wertvolle Ressourcen wie Öl, Gold und Diamanten, mit denen sich Konflikte wie in der Demokratischen Republik Kongo finanzieren lassen. Wenn zumindest eine der Konfliktparteien vom Konflikt profitiert, hat sie ein handfestes Interesse an dessen Fortbestand: Man spricht dann von „Kriegsökonomien“.
Stimmt das Wort von den „Klimakriegen“?
Es gibt aber noch eine andere Art von begehrten Ressourcen: Land, Wasser oder Wald. Und schon sind wir beim beliebten Schlagwort „Klimakonflikte“ oder gar „Klimakriege“. Der Klimawandel verknappe das Wasser und daraus entstünden bewaffnete Konflikte, liest man oft. Davon halte ich wenig. Wissenschaftlich ist kein einziger Fall belegt, in dem Klimaveränderungen Hauptauslöser eines Konfliktes waren. Unbestritten ist dagegen, dass der Klimawandel sich überwiegend negativ auf Ressourcen wie Wasser und Land auswirkt und dass dies insbesondere ärmere und landwirtschaftlich geprägte Länder vor große Herausforderungen stellt. Ein direkter und unvermeidbarer Zusammenhang zu Kriegen lässt sich jedoch nicht ableiten. Oft wird vergessen, dass Menschen auf eine Verknappung von Ressourcen auch mit Zusammenarbeit reagieren können.
Dort, wo schon bewaffnete Konflikte um erneuerbare Ressourcen ausgetragen werden, kann eine durch den Klimawandel beeinflusste Verschlechterung Konflikte allerdings durchaus verschärfen. Ein Beispiel findet sich in Nordwestkenia, wo längere Trockenphasen Kämpfe um Vieh, Weideland und Wasser eskalieren lassen. Bevor Sie nun jedoch den Klimawandel als potentiellen Konfliktbeschleuniger abspeichern, sei angemerkt, dass die Verfügbarkeit von Ressourcen (egal ob erneuerbar oder wertvoll) eine wesentlich geringere Rolle in Konflikten spielt als die Kontrolle und die Verteilung der Ressourcen. Das heißt: Institutionen, vom Ältestenrat eines Dorfs über Staatsregierungen bis zu den Vereinten Nationen, beeinflussen maßgeblich, ob es zu bewaffneten Konflikten kommt oder nicht.
Was die Corona-Pandemie anrichten kann
Wie wichtig Institutionen sind, merken wir in der aktuellen Corona-Pandemie ganz besonders. Die Auswirkungen der Pandemie auf Krieg und Frieden in der Welt werden stark davon abhängen, wann und wie die Corona-Krise überwunden wird. Das ist im Moment schwer absehbar. Eines ist jedoch jetzt schon klar. Der Staat ist gefragt und er rückt seiner Bevölkerung nicht nur näher, sondern er steht auch verstärkt unter ihrer Beobachtung. Zeigt der Staat Handlungsfähigkeit verknüpft mit Fürsorge, steigt sein Ansehen in der Bevölkerung. Dies ist derzeit in Deutschland zu beobachten. Während die Zustimmungswerte der regierenden Parteien steigen, konnten populistische Kräfte wie die AfD bisher kein Kapital aus der Pandemie schlagen. Mittelfristig kann Corona jedoch auch bei uns zu sozialen Verwerfungen und Konflikten führen: wenn Arbeitslosenzahlen steigen und Menschen das Gefühl haben, dass die Ungleichheit im Land zunimmt.
In Ländern, in denen die Fähigkeiten des Staates ohnehin begrenzt sind, kann die Pandemie das Gesundheitssystem überfordern und damit das Vertrauen der Menschen in den Staat untergraben. Das ist besonders dort der Fall, wo der Staat mit Polizeigewalt gegen Bürger*innen vorgeht, die sich nicht an Ausgangsbeschränkungen halten oder halten können, weil sie und ihre Familien ohne das Einkommen Hunger leiden würden. In den Armenvierteln von Nairobi und Kapstadt sind solche Entwicklungen bereits zu beobachten. Es besteht die Gefahr, dass die Corona-Seuche verwundbare Länder näher an einen gesellschaftlichen Kipppunkt führt, auf dessen anderer Seite Gewalt, Krieg und Kollaps stehen.
Wie die Politik umdenken muss
Um das zu vermeiden, ist mehr nötig als die jüngst beschlossene Stundung der Schulden für arme Länder oder der Appell der Vereinten Nationen zu einem „Globalen Waffenstillstand“. Es ist Zeit für ein Umdenken – in allen Politikfeldern. Erst wenn wir unsere Außen-, Wirtschafts-, Handels-, Agrar-, Sicherheits-, Rüstungs-, Flüchtlings-, Entwicklungs- und Umweltpolitik nicht mehr ausschließlich an den eigenen (überwiegend wirtschaftlichen) Interessen ausrichten, sondern die Verbesserung der Lebensbedingungen in besonders verwundbaren Staaten zur Priorität machen, können wir andere reiche Staaten von diesem Weg überzeugen und gemeinsam soziale Kipppunkte vermeiden. Vier Handlungsempfehlungen, damit das gelingt:
Erstens, es braucht ein Umdenken bei der Verteilung der Ausgaben. Die nun in der Corona-Krise eingesetzten Milliarden dürfen nicht nur für die Rettung heimischer Unternehmen und Arbeitsplätze ausgegeben werden, sondern müssen ausdrücklich auch das Ziel verfolgen, verwundbare Staaten bei der Bewältigung von Konflikten, Klimafolgen und der Corona-Krise zu unterstützen. Im Bundeshaushalt muss Entwicklungszusammenarbeit vor militärischer Verteidigung gehen. Bisher verfolgt die Bundesregierung das Ziel, zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung und nur 0,7 Prozent für Entwicklungszusammenarbeit auszugeben. Die Corona-Krise ist ein guter Zeitpunkt, sich vom Zwei-Prozent-Ziel für Verteidigung zu verabschieden. Um hier nicht falsch verstanden zu werden: Die Bundeswehr sollte nicht abgeschafft werden. Doch nach aller Erfahrung der letzten Jahre, sei es in Afghanistan oder in Mali, zeigt sich, dass das Militär nicht das geeignete Instrument ist, um bewaffnete Konflikte zu bewältigen. Generell gilt: Bewaffnete Konflikte zu verhindern ist einfacher und günstiger, als sie zu lösen. Daher brauchen wir ein Zwei-Prozent-Ziel für Entwicklungszusammenarbeit in Kombination mit dem nun folgenden Punkt:
Ein Hightech-Brunnen löst keine Spannungen
Zweitens, ein Umdenken in der Entwicklungszusammenarbeit: weg von der Gießkanne, hin zu einer gezielten Zusammenarbeit mit Ländern, die bereits besonders von Krisen, Kriegen und Klimafolgen betroffen sind, und Ländern, wo dies absehbar ist. Der derzeitige Schwerpunkt der Entwicklungspolitik auf Wirtschaftsförderung muss ersetzt werden durch das Ziel, wirtschaftliche und soziale Ungleichheit in den jeweiligen Ländern zu verringern und dort Institutionen zu stärken, die helfen können, Krisen gewaltfrei zu managen. Ein bewaffneter Konflikt ist letztlich immer auch die Folge eines Versagens der Institutionen, denen es nicht gelang, Missstände zu mindern und Spannungen gewaltfrei zu lösen.
Nach dieser Logik muss sich Deutschland auch von der Annahme verabschieden, soziale Probleme in Entwicklungsländern ließen sich durch deutsche Technik lösen. Ein neuer Hightech-Brunnen löst keine Spannungen, die um die Kontrolle und die Verteilung von Wasser bestehen. Stattdessen muss jede Maßnahme vorsichtig und sensibel in das örtliche Sozialgefüge eingebettet werden. Dies gelingt eher, wenn auch andere Politikfelder mitziehen.
Was Deutschland noch tun kann
Drittens: Wirtschafts-, Handels- und Rüstungspolitik müssen ausdrücklich berücksichtigen, wie sie sich auf die Ungleichheit in verwundbaren Ländern auswirken. Zum Beispiel müsste Deutschland darauf drängen, dass keine EU-Subventionen an industrielle Fangschiffe gezahlt werden, die an der Küste vor Westafrika lokalen Fischern die Lebensgrundlage nehmen. Hähnchenteile, die in der EU niemand will, dürften dann auch nicht mehr zu Spottpreisen in Länder wie Ghana exportiert werden, wo die billigen Importe die lokale Geflügelzucht unrentabel machen. Stattdessen müssten sich Deutschland und die EU stärker für Agrarprodukte aus Entwicklungsländern öffnen.
In der Rüstungspolitik kommt Deutschland als dem fünftgrößten Rüstungsexporteur eine große Verantwortung zu. Rüstungsexporte in (mögliche) Unterdrückerstaaten sind zuletzt aber sogar gestiegen. Waffen verursachen keine Konflikte, aber sie machen sie gewaltvoller und Lösungen schwieriger. Man sieht das in den langwierigen Kriegen in Afghanistan oder Syrien. Bei deren Lösung würde der folgende Punkt helfen:
Viertens, Deutschland sollte seine Zurückhaltung in der internationalen Politik überdenken und sich klar als Fürsprecher und Wegbereiter von Frieden positionieren. Die Voraussetzungen dafür sind gut. Deutschland genießt international ein hohes Ansehen und Vertrauen. Die Bundesregierung könnte es nutzen, um sich für eine globale Zusammenarbeit einzusetzen und sich als Vermittler in internationalisierten Bürgerkriegen anzubieten. Dabei muss sie einen langen Atem haben und darf sich nicht von Rückschlägen wie jüngst im Ukrainekonflikt entmutigen lassen.
Gewiss: Solche Vorschläge haben es nicht leicht, wenn der Populismus wächst und eine schwere Rezession in Deutschland und der Welt droht. Aber sich neue Ziele zu setzen, wäre ein Anfang.