Politik Kurz laviert im Nazi-Skandal

Österreichs schwarz-blaue Koalition gerät wegen des jüngsten Nazi-Skandals der FPÖ zunehmend unter Druck. Der Erfolg von ÖVP und FPÖ bei der Regionalwahl in Niederösterreich ändert daran nichts.

Die FPÖ legte gestern im größten Bundesland um sechs Prozentpunkte zu und kam auf fast 15 Prozent. Auch der konservativen ÖVP von Bundeskanzler Sebastian Kurz bleibt eine Schlappe erspart: Johanna Mikl-Leitner, Landeshauptfrau (Regierungschefin) von Niederösterreich, rettete wider Erwarten die absolute ÖVP-Mehrheit. Die Sozialdemokraten verzeichnen zwar leichte Gewinne, konnten aber von der Proteststimmung gegen die FPÖ nicht profitieren. Gleichwohl ist der Skandal um die Nazi-Liederbücher der FPÖ-nahen Burschenschaft „Germania“, der der niederösterreichische FPÖ-Spitzenkandidat Udo Landbauer angehört, für die Bundesregierung von ÖVP und FPÖ noch nicht ausgestanden. Für das Bild, das Österreich im Ausland abgibt, ist es vorderhand ein Glücksfall, dass der Ex-Grüne Alexander Van der Bellen Bundespräsident ist. Der hat bisher eine dem Amt angemessene Haltung gezeigt. Van der Bellen spricht Klartext nach sorgfältiger Abwägung. Namentlich die zynische Liedstrophe im „Germania“-Liederbuch, „Gebt Gas, ihr alten Germanen, wir schaffen die siebte Million“, taxiert der seit einem Jahr amtierende Bundespräsident in einem Radiointerview als das, was es ist: „Ein Lächerlichmachen des Massenmords im Zuge des Holocausts, ein Lächerlichmachen der Vergasung von Millionen Juden in Auschwitz – ich meine, wo sind wir denn?“ Damit setzt Van der Bellen die schwarz-blaue Regierung unter Druck, Konsequenzen zu ziehen. Bundeskanzler Sebastian Kurz, zugleich ÖVP-Chef, war zunächst abgetaucht, bis er bei einer Rede anlässlich des Gedenkens zum Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz am Samstag sagte: „Für Antisemitismus, Rassismus und Hetze darf es keinen Platz in unserer Gesellschaft geben. Es ist daher sehr wichtig, solchen Tendenzen mehr denn je entschieden entgegenzutreten.“ Vor Kurz saß die gesamte Riege der FPÖ-Minister. Der 31-jährige Kanzler verkniff sich jedes Wort über mögliche Konsequenzen, denn „solche Tendenzen“ kommen ja vorwiegend aus den Reihen des Koalitionspartners, den er wegen dessen ungeklärten Verhältnis zur nationalsozialistischen Vergangenheit bisher nicht behelligt hat. Mit wiederholten Hinweisen, für ihn seit das Strafrecht maßgeblich – in Österreich wird (theoretisch) nationalsozialistische Wiederbetätigung streng bestraft – signalisiert Kurz, dass er eine gesellschaftspolitische Debatte vermeiden will.

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