Politik „Ich bin sehr zuversichtlich, dass Ceta Erfolg haben wird“

Sieht die USA in einer Phase der Wendung nach innen: Justin Trudeau (rechts) im Gespräch mit RHEINPFALZ-Korrespondent Gerd Braun
Sieht die USA in einer Phase der Wendung nach innen: Justin Trudeau (rechts) im Gespräch mit RHEINPFALZ-Korrespondent Gerd Braune.

Kanada gilt vielen Europäern als verlässlicher Partner im transatlantischen Verhältnis – eine Rolle, die seit dem Amtsantritt Donald Trumps als US-Präsident noch wichtiger geworden ist. Mit dem kanadischen Premierminister Justin Trudeau sprach unser Korrespondent Gerd Braune über die Beziehungen Kanadas zu den USA, die neue Kräfteverteilung im „Westen“ und die Chancen für das Freihandelsabkommen Ceta.

Herr Premierminister, Sie waren in diesem Jahr zweimal in Deutschland, trafen Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin und kürzlich beim G-20-Gipfel in Hamburg. Sie waren 1982 als Zehnjähriger mit Ihrem Vater, Premierminister Pierre Trudeau, bei Helmut Kohl. Haben Sie dazwischen Deutschland auch als Privatperson besucht?

O ja, mehrmals. Als Teenager bin ich mit Rucksack mit einem Eurail-Ticket durch Europa gereist, und bei anderen Gelegenheiten habe ich Europa im Urlaub besucht. Und ich bin mehrmals durch den Frankfurter Flughafen gekommen. Aber das zählt natürlich nicht. Viele Europäer blicken mit gestiegenem Interesse auf Kanada. Das hat etwas mit Ihnen zu tun, aber auch mit den Entwicklungen in den USA. Kanada wird als verlässlicher Partner gesehen, gerade das Gegenteil dessen, was viele von den USA denken. Und es wird erwartet, dass Kanada mehr Verantwortung in der Welt übernimmt. Ist das für Sie eine Belastung? Die Reaktion, die wir international bekommen, ist sehr positiv für mich. Ich konzentriere mich sehr darauf, die Werte und Ansichten der Kanadier hervorzuheben und darzustellen. Kanada und die Kanadier haben sich nicht sehr verändert, als die Regierung vor zwei Jahren wechselte. Kanadier waren immer aufmerksam, interessiert zu helfen und sich in der Welt zu engagieren. Ich habe nicht das Gefühl, etwas anderes getan zu haben, als Kanadiern die Gelegenheit zu geben, so gesehen zu werden, wie sie immer auf der Weltbühne auftraten. US-Medien zeichneten Sie sehr früh im US-Wahlkampf als Anti-Trump, und dieses Bild haben viele in Europa aufgegriffen. Abgesehen davon, dass Sie beide Arbeitsplätze für die Mittelschicht schaffen wollen, sind Sie sehr unterschiedliche Persönlichkeiten. Wie gehen Sie mit Mr. Trump um? Ich möchte nicht die Tatsache herunterspielen, dass der Kern unseres ökonomischen Ansatzes und unserer Verantwortung als Regierung der gleiche ist wie seiner. Wir beide wollen Arbeitsplätze und Chancen für die Mittelschicht schaffen. Dies ist die große Herausforderung für so viele entwickelte Volkswirtschaften. Dass die Wachstumsstrategie, die wir in den vergangenen Jahrzehnten hatten, den wenigen nutzte, nicht den vielen, einem kleinen Prozentsatz der Bevölkerung, nicht der Mittelschicht und denen, die zu ihr aufschließen wollen. Hier eine gemeinsame Grundlage zu haben, hilft sehr beim Umgang mit dem Präsidenten. Der andere Aspekt ist die Art der Beziehungen zwischen Kanada und den USA, die wie keine anderen Beziehungen zwischen zwei Ländern sind. Wir sind so sehr verbunden in gegenseitig nützlicher Weise, dass uns dies viele Möglichkeiten für eine konstruktive Beziehung eröffnet. Was bleibt nach dem G-20-Gipfel vom „Westen“ ohne die USA als Führungskraft, eine USA, die ihren eigenen Weg gehen will. Welche Rolle haben Kanada oder Deutschland oder Frankreich zu spielen, um Kurs zu halten? Wir sollten nicht nur auf Länder und Regierungen schauen – Deutschland spielt eine wichtige Rolle in Europa und global, Frankreich verstärkt sein Engagement, und Kanada sieht sich weiter in einer wichtigen Rolle, bescheiden aber wichtig –, sondern darüber hinaus. Die Bürger zeigen, dass sie verstehen, wie vernetzt die Welt heute ist, dass man nicht in seiner kleinen Ecke in der Welt sitzen und seine Verantwortung für Entwicklungen auf der anderen Seite der Welt ignorieren kann. Es ist dieses Bewusstsein, im Sinne von Verantwortungsgefühl sich zu engagieren, um Chancen zu schaffen und Lösungen zu finden, sei es durch Entwicklung, sei es durch Antwort auf Migration, sei es durch Konfliktbekämpfung und Stabilisierung von gescheiterten Staaten. Ich glaube, die Bürger verstehen, dass wir alle eine Rolle spielen, um eine bessere Zukunft für jeden zu schaffen. Die Bundeskanzlerin und auch Ihre eigene Außenministerin Chrystia Freeland haben gesagt, dass wir nicht mehr wie in der Vergangenheit auf die USA bauen können… Wenn wir auf die Geschichte der Vereinigten Staaten blicken, dann gibt es Momente des Engagements mit der Welt und Momente eines stärker protektionistischen oder nationalistischen Denkens, und dieser Wandel vollzieht sich von Zeit zu Zeit. Wir gehen nun durch eine Phase, in der sich die USA unter der jetzigen Administration etwas stärker nach innen wenden oder sich zumindest auf das konzentrieren, was der Präsident „America First“ nennt. Für andere Länder öffnet dies Gelegenheiten und Verantwortung sicherzustellen, dass wir weiter über das globale Bild nachdenken. Wir sahen Anfang des Jahres eine bemerkenswerte Unsicherheit, ob das kanadisch-europäische Handelsabkommen Ceta von den Europäern unterzeichnet wird, und es besteht weiterhin eine Unsicherheit. Was bedeutet Ceta jenseits von Handel für die Partnerschaft zwischen EU und Kanada? Ein progressives Handelsabkommen ermöglicht Handel und Wachstum, was jedem in der Gesellschaft hilft. Dass wir uns auf Chancen für kleine Unternehmen, den Schutz von Arbeitnehmerrechten und den Schutz der Umwelt fokussieren, wird spürbaren Nutzen für die ganze Gesellschaft bringen. Darüber hinaus gibt es auch einen symbolischen Erfolg. Dass wir ein umfassendes Handelsabkommen zu einem Zeitpunkt unterzeichnen, an dem Befürchtungen über Protektionismus, Populismus, Globalisierung bestehen, dass wir zeigen, dass wir die Fähigkeit haben, konkret und positiv zusammenzuarbeiten, ist ein sehr wichtiges Symbol in Zeiten, in denen Menschen Angst haben über ihre Zukunft, die Zukunft ihrer Kinder, und ihren Ruhestand. Zu zeigen, dass Regierungen über nationale und kontinentale Grenzen hinweg zusammenarbeiten können, um diese Ängste zu zerstreuen, ist eine sehr mächtige Botschaft. Was passiert, wenn Ceta doch noch scheitert? Kanada ist in vielen Verhandlungen engagiert. Wir werden in diesem Herbst die Neuverhandlung und Genehmigung von Nafta (des nordamerikanischen Freihandelsabkommens, die Red.) haben. Ich bin sehr zuversichtlich, dass Ceta, das ein gutes Abkommen für Europa und Kanada ist, Erfolg haben wird.

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