Politik Hintergrund: Streit in der EU um Ratspräsident Tusks Vorstoß zur Flüchtlingsfrage

Die Visegrad-Staaten Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn reagieren hoch erfreut auf den Vorstoß von EU-Ratspräsident Donald Tusk, den Streit um die verpflichtenden Quoten bei der Flüchtlingsaufnahme beizulegen. Ganz anders die deutsche Bundeskanzlerin und ihr scheidender Kollege aus Wien. Wieder einmal sorgt das Thema Flüchtlinge für Debatten bei einem EU-Gipfel.

Angela Merkel wird ganz schön deutlich. Bei ihrem Eintreffen beim EU-Gipfel nimmt sie eine eindeutige Position im Streit um die künftige Flüchtlingspolitik ein. „Die Beratungsgrundlagen“, bemängelt die Kanzlerin, „die wir von unserem Ratspräsidenten bekommen haben, sind noch nicht ausreichend.“ Donald Tusk hat vorgeschlagen, die verpflichtenden Quoten bei der Verteilung von Flüchtlingen auf die Mitgliedstaaten zu kippen. Er bezeichnet dieses Prinzip, das im September 2015 beschlossen wurde und das Ungarn, Tschechien und Polen nicht anwenden wollen, als „entzweiend“ und „nicht effektiv“. Merkel macht deutlich, dass sie Widerstand leisten wird: „Wir brauchen nicht nur eine Solidarität bei der Außengrenze, sondern auch nach innen.“ Und dann sind Polen, Tschechien und Ungarn dran, die trotz Mehrheitsbeschlüssen im Rat der Innenminister und einem EuGH-Urteil sich weiterhin der Aufnahme verweigern: „Eine selektive Solidarität kann es unter EU-Mitgliedstaaten nicht geben.“ Hart mit Tusk ins Gericht geht auch der österreichische Bundeskanzler. Christian Kern kann vielleicht deutlicher werden als andere, ist es doch nach der Wahlniederlage für ihn absehbar der letzte Gipfel, an dem er teilnimmt. „Ich bin über die Formulierungen von Tusk ausgesprochen unglücklich“, schimpft Kern. Lediglich der französische Staatspräsident Emmanuel Macron äußert sich vor dem Gipfel nicht in einer scharfen Weise. Tusk dürfte dem Abendessen, bei dem es eine Aussprache zur Migrationspolitik gab, mit gemischten Gefühlen entgegen gesehen haben. Beschlüsse standen freilich noch nicht an. Sie sollen erst im nächsten Juni folgen. Groß ist derweil die Freude bei den drei betroffenen Mitgliedstaaten Tschechien, Ungarn und Polen über Tusks Lockerungsübungen. Sie unterlassen es aber, offen zu triumphieren. Sie nehmen den Ball Tusks dankbar auf. Zusammen mit der Slowakei bilden sie die Visegrad-Staaten und verkünden in diesem Format, mit insgesamt 35 Millionen Euro die Bemühungen Italiens in Libyen zu unterstützen, die illegale Zuwanderung nach Europa einzudämmen. Sie machen deutlich, dass sie unter der eingeforderten Solidarität der anderen Mitgliedstaaten in der Flüchtlingsfrage vor allem Geld verstehen: Die Millionen seien „ein Beleg für die Überzeugung der Visegrad-Gruppe, dass der hohe Migrationsdruck nur mit einem robusten Schutz der Außengrenzen begegnet werden kann“, heißt es in ihrer Erklärung. Der Druck auf sie ist hoch: Die EU-Kommission hat gegen Ungarn, Polen und Tschechien Klage vor dem EuGH eingereicht, weil sich die Länder weigern, den Beschluss zur Umverteilung von 160.000 Flüchtlingen auf alle EU-Staaten umzusetzen. Ungarns Regierungschef Viktor Orbán sagt nun, das Vorhaben in Libyen sei „ein klares Zeichen“, dass es Möglichkeiten der Kooperation in der EU-Migrationspolitik mit den Visegrad-Staaten gebe. Wenn es nach dem Österreicher Kern geht, reicht es aber nicht, wenn die Visegrad-Staaten unter Solidarität lediglich das Zücken des Scheckbuchs verstehen: „Man kann sich mit 35 Millionen Euro nicht aus einem EU-Beschluss freikaufen.“ Die grundsätzlichen Spielregeln müssten schon eingehalten werden.

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