Leitartikel Gaza-Krieg: Israels tödliches Dilemma

Auch bei der Oscar-Verleihung in Los Angeles gab es pro-palästinensische Demonstrationen.
Auch bei der Oscar-Verleihung in Los Angeles gab es pro-palästinensische Demonstrationen.

Je unerbittlicher die israelische Regierung im Gazastreifen agiert, desto mehr Propaganda-Munition liefert sie ihren Feinden. Es gibt nur einen Weg heraus aus dieser Spirale von Gewalt und Gegengewalt.

Nach dem extrem grausamen Überfall der Terrormiliz Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 war das Entsetzen groß, und auch die Solidarität mit Israel. Doch je länger die Kämpfe im Gazastreifen dauern, desto stärker bröckelt der Rückhalt, den die Regierung in Tel Aviv in westlichen Staaten hat. Die Hauptschuld daran tragen Premier Benjamin Netanjahu und seine in Teilen rechtsextreme, von Ultrareligiösen und militanten Siedlern getragene Koalitionsregierung. Sie schaden ihrem eigenen Land und arbeiten der radikalislamischen Hamas in die Hände.

Propaganda-Munition für die Hamas

Dass die Israelis den Hamas-Überfall nicht so einfach hinnehmen würden, war klar. Dass inzwischen aber kaum noch Hilfslieferungen zu den verzweifelten Menschen im abgeriegelten, fast komplett zerstörten Gazastreifen durchgelassen werden, ist nicht nur unmenschlich sondern auch für die israelische Seite äußerst schädlich. Denn das Land droht nach und nach die Unterstützung seiner westlichen Partner zu verlieren. Die einzige funktionierende Demokratie der Region setzt sich damit selbst ins Unrecht und liefert ihren Feinden die Propaganda-Munition frei Haus.

Profiteure dieser verfehlten Politik der Gewalt sind die Drahtzieher des islamistischen Terrors, die Führungsriegen von Hamas und Hisbollah, die meist in sicheren Quartieren irgendwo in Katar oder sonstwo sitzen. Deren Anhängerschaft wächst mit jedem Tag, an denen Bilder von ausgemergelten, verzweifelten Palästinensern in Gaza über die Fernsehschirme flimmern. Es sind aber auch die Mullahs in Teheran, deren Traum es ist, den Staat Israel von der Landkarte zu tilgen. Und es ist nicht zuletzt der Kremlherrscher Wladimir Putin, der Iran unterstützt und dem das unkluge Agieren der israelischen Regierung die Gelegenheit verschafft, die Welt dauerhaft von seinen Gräueltaten in der Ukraine abzulenken und ganz nebenbei die Gesellschaften in den westlichen Staaten weiter zu spalten.

Sicherheit durch Grenzanlagen und Mauern?

Jahrzehntelang hat man in Israel geglaubt, Sicherheit durch Grenzanlagen und Mauern, durch Polizeikontrollen und Militärpräsenz gewährleisten zu können. An die Wurzel des Problems traute sich niemand ran. Zu kompliziert war und ist die Gemengelage im Nahen Osten, wo das Existenzrecht Israels mit dem Wunsch der Palästinenser nach einem eigenen Staat kollidiert.

Inzwischen sind Israelis und Palästinenser an einem Punkt angelangt, wo eine friedliche Zukunft fast undenkbar erscheint. Jede Seite ist gefangen im eigenen Leid und voller Hass. Verständnis, Mitgefühl für den anderen ist nur noch in Ausnahmefällen anzutreffen. Umso erstaunlicher ist, dass beispielsweise einzelne zivilgesellschaftliche israelische Initiativen immer noch versuchen, Hilfsgüter nach Gaza zu bringen. Leider meist erfolglos.

Die Zukunft muss geplant werden

Doch genau dieses Aufeinanderzugehen ist der einzige Weg aus dem tödlichen Dilemma. Genau jetzt und gerade jetzt müsste Israels Regierung alles daran setzen, Perspektiven für ein Miteinander nach dem Krieg zu entwickeln. Sie müsste Palästinensern in Israel, in den besetzten Gebieten und im Gazastreifen signalisieren, dass ein Leben in Frieden und Freiheit möglich ist, wenn sie sich vom Terror lösen. Sie müsste den Menschen Hoffnung geben auf ein besseres Leben und dürfte sie nicht erneut wegsperren auf einen kargen Küstenstreifen.

Egal, wie die Lösung am Ende aussähe, ob Zwei-Staaten-Lösung, Staatenbündnis, Bundesstaat – es wäre eine Herkulesaufgabe, bei der beide Seiten weit über ihren Schatten springen müssten. Die Frage ist also, wie viel Leid, Tod und Elend noch über diese Region kommen muss, bis die Einsicht siegt, dass es am Ende nur gemeinsam geht.

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